Staatsfinanzen:Rauchen für die Reform

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Gut, dass es sie gibt, die 28 Millionen Raucher hier zu Lande. Zumindest für Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD).

Von Andreas Hoffmann

(SZ vom 7.11.03) — Von dem Griff zur Zigarette hängt auch das Schicksal der Gesundheitsreform ab, um die die Parteien im Sommer gerungen haben, um am Ende vor allem den Bürgern neue Lasten aufzubürden.

Auch andere Staaten kassieren kräftig mit beim Rauchen. (Foto: Grafik: dpa)

Auch den Rauchern. Sie sollen die Reform über eine höhere Tabaksteuer mitfinanzieren. Die zusätzlichen Milliarden sollen den Krankenkassen zufließen, damit sie ihre "versicherungsfremden Leistungen" wie das Mutterschaftsgeld finanzieren können. AOK und Co. sollen ihre Beiträge senken, Ulla Schmidt hofft, so politisch zu punkten.

Über 100.000 Tabaktote pro Jahr

Natürlich geht es bei der Tabaksteuer nicht nur ums Geld, sondern auch um die Gesundheit, sagen Abgeordnete der Regierungskoalition. Sie denken an die vielen Krebskranken, an die 110 000 bis 140000 Tabaktoten pro Jahr in Deutschland und setzen auf die abschreckende Wirkung einer Steuererhöhung, weil weniger Menschen rauchen würden.

Andere, wie Finanzminister Hans Eichel, denken vor allem an die Steuermilliarden. Daher wollte er kürzlich die Steuer nicht so stark erhöhen, damit mehr in die Bundeskasse fließt. Die Tabaksteuer ist schließlich nach der Mineralölsteuer die ertragsreichste Verbrauchsteuer.

Rund 13,7 Milliarden Euro brachte sie Eichel 2002 ein, und zwar nur ihm; Länder und Gemeinden gehen leer aus. So greift der Staat gerne auf die Raucher zurück, um die Finanzen zu sanieren. Das war nach den Anschlägen des 11. September so, als die Tabaksteuer stieg, um ein Anti-Terrorpaket zu finanzieren.

Rauchen gegen Terror

Während es also damals bei Rot-Grün hieß: "Rauchen gegen den Terror", lautet die Parole heute: "Qualmen für die Gesundheitsreform". So wechseln die Argumente, und das Geld fließt. Das geht schon seit dem 17. Jahrhundert so, als der Fiskus erstmals Steuern auf Genussmittel einführte.

Das Thema Rauchen beschäftigt den Staat noch anderweitig, auf zuweilen widersprüchlichen Wegen. Ulla Schmidt etwa will junge Leute von der Zigarette abhalten. Dazu rief sie vor einiger Zeit eine spezielle Anti-Raucher-Kampagne ins Leben, die übrigens die Tabakindustrie gleich mitfinanzierte, was einzelne Gesundheitsexperten grübeln ließ, ob dies die richtigen Geldgeber seien.

Zugleich aber kämpft Deutschland gegen eine Brüsseler Richtlinie, die von Mitte 2005 an die Tabakwerbung aus Presse, Radio, Internet und bei Sportveranstaltungen verbannen will. Ein durchaus berechtigtes Anliegen, weil bei weniger Werbung vielleicht auch weniger Menschen rauchen würden. Aber irgendwie liegt dies nicht im deutschen Interesse und so klagt die Bundesrepublik gegen die Richtlinie.

Widersprüche in Brüssel

Offiziell wird dies mit der Meinungsfreiheit begründet, tatsächlich aber geht es um Arbeitsplätze, und zwar nicht nur um die mehr als 10000 Stellen in der Zigarettenindustrie, sondern auch um die Jobs in den Werbeagenturen, Zeitungen und Zeitschriften, die die Tabakanzeigen gerne abdrucken.

Doch auch in Brüssel ist der Umgang mit dem Rauchen widersprüchlich. Die EU-Kommission will die Werbung für ein Produkt verbieten, dessen Anbau sie zugleich mit gut einer Milliarde Euro aus ihrem Haushalt fördert. Am meisten Geld erhalten Griechen und Italiener.

Aber auch in Deutschland werden einige Tabakpflanzer subventioniert, wie beispielsweise in Franken. Das bayerische Landwirtschaftsministerium empfiehlt den Bauern den Tabakanbau seit Jahren als "Nische, die sich lohnt".

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