Spurensuche im Mannesmann-Prozess:Eitelkeiten und Erinnerungslücken

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Die Strafrichter sind souverän, die Verteidiger sehr selbstbewusst, die Angeklagten uneins - und Staatsanwalt Johannes Puls lässt nicht locker.

Von Daniela Kuhr

Brigitte Koppenhöfer wird es zu bunt. "Herr Verteidiger, achten Sie bitte auf den Stil Ihrer Befragung", sagt die 52-Jährige mit den kurzen dunkelblonden Haaren ungehalten. "Sie meinen, ich soll nicht ironisch fragen?" Koppenhöfer nickt, "zum Beispiel".

Brigitte Koppenhöfer leitet einen der spektakulärsten Prozesse der deutschen Geschichte. (Foto: Foto: dpa)

Der Verteidiger legt nach: "Manchmal kann Ironie aber sehr Erhellendes zu Tage fördern." Doch auf eine Diskussion lässt sich die Vorsitzende Richterin nicht ein. "Fahren Sie bitte einfach fort", sagt sie knapp. Nach 15 Verhandlungstagen im Mannesmann-Prozess steht fest: Koppenhöfer hat die Zügel fest in der Hand.

Koppenhöfer ist der Chef

Die Vorsitzende zeigt sich unbeeindruckt - und zwar in jeder Hinsicht: unbeeindruckt von den zwölf Topanwälten, die seit Ende Januar Woche für Woche in den zwei Stuhlreihen vor ihr Platz nehmen. Unbeeindruckt vom Status der sechs Angeklagten - immerhin zählen dazu der frühere Mannesmann-Chef Klaus Esser und der heutige Deutsche-Bank-Vorstandssprecher Josef Ackermann.

Auch die Schlagzeilen in den Medien, wo vom "spektakulärsten Wirtschaftsprozess der Bundesrepublik" die Rede ist, scheinen Koppenhöfer ungerührt zu lassen. Als Esser sich einmal vor Gericht gegen eine Pressemeldung des nordrhein-westfälischen Justizministeriums wehren will, unterbricht die Richterin ihn umgehend. "Dieser Prozess findet nicht in den Medien statt, sondern immer noch und ausschließlich im Saal 111 des Düsseldorfer Landgerichts", sagt sie barsch.

Kritiker, die bezweifelt hatten, dass die frühere Jugendrichterin dem Mammutverfahren gewachsen ist, sind längst verstummt. Seit nunmehr knapp zwei Monaten versucht die 14. große Strafkammer unter ihrem Vorsitz die Vorgänge rund um die Übernahme von Mannesmann durch den britischen Telekommunikationskonzern Vodafone aufzuarbeiten.

Fragen über Fragen

Was hat sich im Februar 2000 und den darauf folgenden Wochen tatsächlich in der 21. Etage des Mannesmann-Hochhauses am Düsseldorfer Rheinufer zugetragen? Hat sich Esser seine Zustimmung zur Fusion mit 30 Millionen DM bezahlen lassen? Waren die 111,5 Millionen DM, die das vierköpfige Präsidium des Aufsichtsrats an Manager und Pensionäre verteilte, rechtmäßig?

Die Verteidiger sagen "Ja", hier wurden außergewöhnliche Leistungen honoriert. Die drei Staatsanwälte sagen "Nein" und sprechen von Untreue in einem besonders schweren Fall. Was das Gericht meint, ist völlig offen. Koppenhöfer gibt keine Anzeichen, auf wessen Seite sie steht.

Esser mag sich

Klaus Esser jedenfalls ist der Ansicht, dass er seine Prämie verdient hat. "Das Unternehmen Mannesmann genoss damals höchstes Ansehen, und verzeihen Sie, wenn ich das jetzt so sage, aber ich habe das auf mich bezogen", sagt er an einem der ersten Verhandlungstage und blickt zur Richterbank.

Koppenhöfer verzieht keine Miene. Sie sitzt leicht erhöht an der Kopfseite des etwa Turnhallen großen holzgetäfelten Saals, links und rechts von ihr je ein weiterer Richter und ein Schöffe. Esser berichtet über seine Verhandlungen mit dem damaligen Vodafone-Chef Chris Gent in der heißen Phase Ende Januar, Anfang Februar 2000.

"Ich sagte Herrn Gent, dass er im Haupthaus von Mannesmann nicht willkommen ist und wir uns besser im Projektzentrum Oberkassel auf der anderen Rheinseite treffen", liest er aus seiner vorbereiteten Einlassung vor. Nur für den Fall, dass es jemanden entgangen sein sollte, stellt er klar: "Eine bemerkenswerte Handlung gegenüber demjenigen, der gerade das Unternehmen kauft."

Funk hat's nicht leicht

Er blickt in die Runde, doch keiner blickt zurück. Esser findet sich gut, daran lässt er keinen Zweifel. Weniger gut dagegen findet er offenbar seinen Mitangeklagten Joachim Funk.

Funk war im Frühjahr 2000 Vorsitzender des Mannesmann-Aufsichtsrats und somit auch im Präsidium. Dieses Gremium, zu dem auch Ackermann, der Ex-IG-Metall-Chef Klaus Zwickel und der oberste Betriebsrat Jürgen Ladberg zählten, hatte die Millionenzahlungen beschlossen. Funk hat sich dabei selbst eine Prämie in Höhe von zunächst neun Millionen DM genehmigt, später wurde sie auf sechs Millionen reduziert.

"Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu Herrn Funk beschreiben, damals und heute?", will Koppenhöfer von Esser wissen. Er zögert. "Das ist eine ziemlich persönliche Frage", sagt er und fügt nach einer langen Pause hinzu: "Ich habe sehr erfolgreich mit ihm zusammengearbeitet." Die Richterin fragt nicht weiter nach. So wenig Probleme Esser mit seiner eigenen Prämie hat, so groß scheinen seine Bedenken gegen die von Funk zu sein.

Keine Gemeinschaft

Eine eingeschworene Gemeinschaft sind die sechs Angeklagten nicht. Das wird auch jeden Morgen vor Prozessbeginn deutlich. Es sind stets die Gleichen, die sich zueinander gesellen. Ackermann steht mit verschränkten Armen da, wie eigentlich immer, seit er am ersten Tag seine Hände nicht unter Kontrolle und mit dem Victory-Zeichen einen Eklat ausgelöst hatte.

Esser neben ihm, beide von Fotografen umringt. Sie plaudern, ab und zu wird gelacht. Funk drängt sich an diesem Tag zu Dietmar Droste, vielleicht um nicht allein stehen zu müssen - wie Betriebsrat Ladberg. Zwickel hat sich als einziger schon gesetzt, in die erste Reihe zu seinen Verteidigern.

Ackermann ist anders

Zweimal die Woche tagt das Gericht in der Regel. Oft zieht sich die Verhandlung bis in den späten Nachmittag. Fünf der sechs Angeklagten verfolgen den Prozess aufmerksam, hören den Zeugen zu und sprechen zwischendurch kurz mit ihren Verteidigern. Nur einer gibt ein anderes Bild ab: Josef Ackermann. Er liest, und das eigentlich ständig. Was er liest, ist von den Zuschauerplätzen aus nicht zu erkennen. Außer einmal: Vornüber gebeugt, die Ellenbogen auf den Tisch gestützt, studiert Ackermann den Pressespiegel.

Am Tag zuvor hatte die Deutsche Bank ihre Bilanzpressekonferenz. Die Richterin vernimmt gerade einen Zeugen. Ackermann blickt nicht auf, obwohl mehrmals sein Name fällt. Nach 45 Minuten legt er den Stapel Papier kurz ab, reibt sich die Augen und faltet seine Hände. Sein Verteidiger zeigt ihm auf dem Laptop, über welche E-Mail der Zeuge gerade redet. Ackermann nickt, um sich dann aber gleich wieder seinen Artikeln zuzuwenden.

Eine Stunde später ist er endgültig durch, die Papiere landen in einer grünen Pappmappe. Der Deutsche-Bank-Chef lehnt sich in seinem Sitz zurück, verschränkt die Arme und blickt sich um. Nicht zum ersten Mal scheint er sich zu fragen, wo er hier eigentlich ist und was er hier eigentlich soll.

Die Anklage wirft ihm schwere Untreue vor, wie auch den weiteren Präsidiumsmitgliedern Funk, Zwickel und Ladberg. Esser und sein Mitarbeiter Droste dagegen sind nur wegen Beihilfe angeklagt. Leicht haben es die drei Staatsanwälte bislang nicht.

Schlüsselfigur Canning Fok

Eine Schlüsselfigur ihrer Vorwürfe ist Canning Fok. Der Chinese saß im Frühjahr 2000 als Vertreter des Mannesmann-Großaktionärs Hutchison Whampoa im Aufsichtsrat des Düsseldorfer Konzerns. Laut Anklage hatte er ein handfestes Interesse daran, dass Esser der Fusion mit Vodafone zustimmt.

Denn nur bei einer freundlichen Übernahme hätten die Chinesen ihre Mannesmann-Aktien verkaufen dürfen und so ihre Kursgewinne in Höhe von acht Milliarden Euro realisieren können - meint Staatsanwalt Johannes Puls, der die 460-seitige Anklage geschrieben hat. Der 43-Jährige mit den grauen kurzen Haaren und der metallgerahmten Brille ist überzeugt: Fok hat Esser die Millionenprämie angeboten, um ihn zur Zustimmung zu bewegen.

Die Vernehmung des Zeugen, der per Video aus Hongkong zugeschaltet ist, hätte also ein wichtiger Tag für die Anklage werden können. Hätte. Denn Canning Fok, dessen rundes Gesicht auf zwei riesigen aus der Decke gelassenen Leinwänden erscheint, beruft sich auf Erinnerungslücken.

Aussagen über Anzüge

Statt zu erzählen, mit wem und wann genau er sich am 2. Februar 2000 in Düsseldorf getroffen hat, berichtet der Chinese, wie ärgerlich es war, dass damals auf dem Flug sein Gepäck verloren gegangen war. "Ich musste erstmal einkaufen gehen, deutsches Hemd, deutschen Anzug, deutsche Schuhe." Nicht gerade brauchbare Aussagen für die Anklage.

Bei seinem Treffen "mit Klaus" am Abend sei dieser sehr bedrückt gewesen. "Er saß so da", sagt Fok und legt mit gesenktem Kopf die Hände in den Schoß, um dem Gericht zu zeigen, wie schlimm es damals um "Klaus" stand. Alle lachen, selbst auf der Richterbank zucken die Mundwinkel. Doch der Staatsanwalt gibt nicht auf. Irgendwann wird die Richterin ungeduldig. "Verstehen Sie das bitte nicht falsch, Herr Staatsanwalt, aber welchen Hintergrund haben Ihre Fragen?" Puls versucht, es zu erklären, so richtig gelingen will ihm das aber nicht.

Überall Erinnerungslücken

Auch andere Zeugen berufen sich auf Erinnerungslücken: "Verzeihen Sie, aber das Ganze ist vier Jahre her", bekommt Puls immer wieder zu hören. Er ist genervt. Als dann auch noch ein Verteidiger seine angebliche Unkenntnis in Wirtschaftssachen kritisiert, unterbricht ihn Puls aufgebracht.

"Soll das hier ein vorgezogenes Schlussplädoyer werden, oder was?" Unbeirrt fährt der Verteidiger fort. "Nein, ich möchte nur loben, wie viel Geduld die Zeugen bei der Befragung durch die Staatsanwaltschaft aufbringen." Puls schäumt. Später wird er eine Entschuldigung von dem Anwalt fordern - bekommt sie aber nicht.

Das Rad läuft nur vorwärts

"Der ist ein bisschen schwach", sagt ein älterer Mann im roten Poloshirt und beiger Cordhose. Von 15 Prozesstagen hat er 13 beobachtet. Er sitzt im Zuschauerraum, in der letzten von gut einem Dutzend Stuhlreihen. Seinen Namen will er nicht nennen. Nur so viel: 42-einhalb Jahre hat er bei Mannesmann in der Düsseldorfer Hauptverwaltung gearbeitet.

2001 ist er im Alter von 65 Jahren ausgeschieden. Er zieht die Augenbrauen hoch: "In der entscheidenden Phase war ich also noch dabei." Den Prozess verfolge er, weil es "ein einmaliger Vorgang ist, dass ein Unternehmen mit 110-jähriger Industriegeschichte wie beim Monopoly verkauft wird". Was er sich von dem Verfahren erhofft? "Nichts", sagt er und klingt resigniert. "Das Rad lässt sich sowieso nicht mehr zurückdrehen."

© SZ vom 20.3.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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