Springer übernimmt ProSiebenSat1:Macht über Wort und Bild

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Der bedenkliche Zugriff des Springer-Verlags auf das private Fernsehen: Hier wächst zusammen, was nicht zusammengehört, wenn die Meinungsvielfalt erhalten bleiben soll.

Hans-Jürgen Jakobs

Schon immer hat sich Axel Springer auf die Kunst der Schlagzeile, manchmal auch der rustikalen Art, verstanden. "Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil", urteilte die Welt einst über den "immatrikulierten Mob" der Studenten, und die Berliner Morgenpost schrieb: "Störenfriede ausmerzen."

Gibt es in Zukunft noch so viele unabhängige Journalisten, dass die Kontrolle der Parteien funktioniert? (Foto: Foto: Reuters)

Bild schließlich empfahl "Polizeihiebe auf Krawallköpfe, um den möglicherweise doch vorhandenen Grips lockerzumachen".

Das war vor fast vierzig Jahren, rund um die Studentenunruhen der 68er Zeit, und Springer machte die Eskalation damals gern mit, was wiederum zu Enteignungsforderungen führte - eine Ära, die im heutigen Verlag weit entfernt scheint.

Geradezu spontihaft

Selbstverständlich ist das Berliner Medienhaus weiterhin anti-links und konservativ, hat aber so etwas wie einen liberalen Vollwaschgang hinter sich. Der Verlag wirkt unter der Hauptaktionärin Friede Springer und Vorstandschef Mathias Döpfner, verglichen mit der alten Epoche, geradezu spontihaft offen.

Harmlos, unpolitisch ist das Unternehmen freilich nicht - und will es auch nicht sein. Man hat gern Einfluss, man hat auch gern Medienmacht, um Dinge zu bewegen.

So ist es mehr als eine Pointe der Geschichte, dass der Springer-Verlag just am Vorabend des möglichen Regierungsabschieds der 68er und des Wechsels zu einer konservativen Koalition zum bedeutendsten Medienunternehmen in Deutschland aufsteigt: durch den Kauf der größten Privatfernsehgruppe ProSiebenSat1Media AG.

Hier wächst zusammen, was nicht zusammengehört, wenn die Meinungsvielfalt erhalten bleiben soll: Das prägende, mitunter meinungsfrivole Boulevardblatt Bild mit einer Massenauflage von gut 3,6 Millionen Exemplaren, die überregionale Tageszeitung Welt, die Sonntagsschwestern der beiden, etliche Regionalzeitungen - und auf der anderen Seite die Sender Sat1 und ProSieben, die auf Unterhaltung ausgelegt sind, gleichwohl aber das politische Klima mitbeeinflussen.

Beim anstehenden Fernsehduell zwischen Kanzler Gerhard Schröder und Aspirantin Angela Merkel war klar, dass die neuen Sender vertreten sein müssen, schon weil Springer einsteigt.

Das gefürchtete Blatt

Man fürchtet in politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Kreisen vor allem Bild. Es gibt Stars wie Stefan Raab, Anke Engelke oder Herbert Grönemeyer, die sich dem Blatt, das die bunteren Geschichten druckt, bewusst verweigern.

Und es gibt Politiker wie Kanzler Schröder, die sich einer Kampagne ausgesetzt sehen und sich deshalb lange Zeit den Interviews entziehen. Allein das Wissen, dass hinter Bild nun auch Sat1 und ProSieben stehen, macht die Leute aller menschlichen Erfahrung nach gefügiger.

Schon jetzt zählen die Vertreter der Unionsparteien in ihren Treffen mit Springer-Chefredakteuren das Berliner Haus wie selbstverständlich zu ihrem Lager.

In einem derart veränderten Umfeld ist es vielleicht kein Zufall, wenn - wie jüngst geschehen - die Bild-Zeitung unablässig gegen die öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF anschreibt.

Ist es noch verständlich, dass die Schleichwerbungsaffäre der Pro-Sieben-Konkurrenz detailversessen geschildert wurde, so klagte das Blatt ("Und dafür zahlen wir auch noch TV-Gebühren!") aber auch noch scheinheilig über die vielen Sommer-Wiederholungen bei den Öffentlich-Rechtlichen, als hätten nicht gerade die Privatsender diese Form der Kostenersparnis im deutschen Fernsehsystem eingeführt.

Springer-Chef Döpfner beteuert stets, dass für ihn das "Chefredakteursprinzip" und die "Binnenpluralität" zählten, also die freie Entscheidung der Journalisten in seinem Haus. Das klingt gut.

Döpfner hat auf der anderen Seite aber bei bestimmten Themen keinen Zweifel daran gelassen, dass er die eigenen Standpunkte gern prononciert in seinen Medien finden möchte. So verkündete der Verlag mehrfach plakativ die generelle Ablehnung der Rechtschreibreform oder polemisierte gegen das "Caroline-Urteil" des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, das einen größeren Schutz der Privatsphäre vor Reportern in Deutschland forderte.

Solcher Druck soll erkennbar Eindruck bei Regierenden machen - auf dass sie also zum Beispiel komplett zur alten Rechtschreibung zurückkehren oder aber gegen ein Straßburger Urteil zu Felde ziehen.

Gefahr des Missbrauchs

Man wird künftig des öfteren hinschauen müssen, ob Berichte eines Springer-Objekts aus einem berechtigten journalistischen Interesse heraus entstehen oder ob sie vielleicht Teil einer höheren Konzernrationalität sind.

Die Gefahr des Missbrauchs steigt mit dem Grad der Machtkonzentration. Darüber haben Regierungen früher ernsthaft diskutieren lassen - in den neunziger Jahren aber haben sie durch eine exzessive Lockerung die Zusammenballung von Macht über Wort und Bild in wenigen Händen erst ermöglicht.

Erster Nutzer war der Bertelsmann-Konzern, der bei Zeitschriften in Deutschland dominiert und sich RTL kaufen durfte. Auf dieses Vorbild verweist nun logischerweise Springer - und vergisst zu erwähnen, dass es einen Unterschied macht, ob man Bild verlegt oder Brigitte, Essen und Trinken, Geo und das allenfalls viertelpolitische Donnerstagsmagazin Stern. Unerwähnt bleibt auch, dass Springer und Bertelsmann über gemeinsame Tiefdruck-Geschäfte eng verbunden sind. Und dass Friede Springer genau wie die Bertelsmann-Eigentümerin Liz Mohn zum engeren Sympathisantenkreis rund um Unionschefin Angela Merkel gehören.

Wohin driftet die Republik?

Das neue Establishment beginnt sich in den Räumen der Macht einzurichten. Die Regierung wird aller Voraussicht nach schwarz, pardon, orange, der neue Medienriese ist auf Kurs.

Wohin driftet die Republik? Gibt es in Zukunft noch so viele unabhängige Journalisten, dass die Kontrolle der Parteien funktioniert? Ein ganz normaler Deal ist Springers TV-Kauf nicht. Der Helmut-Kohl-Freund Leo Kirch hat von so viel Macht immer geträumt - bis er darüber Pleite ging.

Was bleibt, ist eine Parabel vom Wirtschaftsstandort, erzählt vom Privatfernsehen, dessen größtes Unternehmen vor zwei Jahren nach der Pleite des deutschen Patrons Kirch zum Schleuderpreis zu kaufen war, und das dann doch die deutschen Unternehmer überforderte.

Kein Investor wagte sich auf dieses Feld, und der Hamburger Zeitschriftenverleger Heinz Bauer zickte und zockte so lange herum, bis Kirchs Insolvenzverwalter lieber auf eine Investorengruppe aus den USA setzte, die wenig genug einbrachte: ihre Millionen, kühne Renditepläne und einen Unterhalter namens Haim Saban, der die heimischen Größen tanzen ließ und am Ende mit seinen Kofinanziers um vieles reicher das Land verlässt.

Manchmal hat Saban diese Geschichte so sehr gepackt, dass er sie öffentlich in den USA erzählen musste. Er wunderte sich dann, dass die Deutschen es nicht selbst konnten.

Aber so ist der moderne Kapitalismus, und auch in den konservativen Springer-Zeitungen war einiges über "Heuschrecken" zu lesen. Der Verlag habe Werte, sagt der Vorstandschef - man wird sehen, welche.

© SZ vom 6.8.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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