Springer buhlt um die Zeitung der Queen:London calling

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Springer wirbt um den "Daily Telegraph" — und damit um einen Markt, in dem der Konkurrent Rupert Murdoch heißt. Die Risiken sind groß — die Chancen ebenso.

Von Gerd Zitzelsberger

Auf der Insel ist er eine Institution beinahe wie die Queen, Doppeldecker-Busse oder gesalzene Butter. Und Conrad Black, bisher der starke Mann hinter dem 149-jährigen Daily Telegraph, durfte im Hermelin-Mantel in das House of Lords einziehen. Auf internationalem Parkett zwar gelten Times und Guardian als die führenden britischen Zeitungen. Doch gemessen an der Auflage stellt der Daily Telegraph mit 906.000 verkauften Exemplaren pro Tag beide Blätter weit in den Schatten.

Mit dem Erwerb des Daily Telegraph würde Springer vor allen Dingen an Renommee gewinnen. (Foto: Foto: dpa)

Mögliche Zierde des Verlags

Dieses Traditionsblatt hat nun der Berliner Axel Springer Verlag als mögliche Zierde seines Konzerns entdeckt: Er hat, wie es heißt und von Springer nicht dementiert wird, neben etlichen britischen Unternehmen ein Übernahme-Angebot in beträchtlicher Höhe abgegeben. 900 Millionen Euro erhoffen sich die Verkäufer für den Daily Telegraph, sein Schwesterblatt Sunday Telegraph, das Magazin Spectator und die 50-prozentige Beteiligung an einer Druckerei.

Wie die Dinge im Augenblick stehen, darüber herrscht Stillschweigen: Alle pokern mit verdeckten Karten. Es geht um ein Blatt, das für sich den Titel eines europäischen Branchenführers unter den Qualitäts-Tageszeitungen in Anspruch nehmen kann. Doch solche Hitlisten haben ihre Tücken.

Der Telegraph verdankt seine Position in solchen Rankings auch dem Umstand, dass die noch wesentlich größere Daily Mail in England nur dem "Mittelmarkt" - nicht Boulevard- und nicht Qualitätszeitung - zugerechnet wird. Der redaktionelle Unterschied dagegen ist nicht sehr groß. Und bei den Boulevard-Blättern wiederum sind ohnehin weit höhere Auflagen gang und gäbe als im Qualitätssegment.

Stütze Ihrer Majestät

So kommt die Telegraph-Gruppe in Großbritannien insgesamt nur auf einen Marktanteil von gut sieben Prozent. Der australisch-amerikanische Medienunternehmer Rupert Murdoch dagegen bringt es mit dem Boulevardblatt Sun, der Times und anderen Titeln auf gut 32 Prozent. Schon im Herbst, als der Telegraph seinen Chefredakteur auswechselte, hatte die Branche begonnen, von Verkauf zu munkeln.

Dem Eigentümer, der kanadischen Holding Hollinger International, ging es schon damals nicht glänzend. Inzwischen hat es einen runden Skandal gegeben. Conrad Black, der Mann mit dem Hermelin-Mantel, der 70 Prozent der Stimmrechte hat, wurde abgesetzt. Seine Miteigentümer prozessieren gegen ihn wegen Verdachts auf Veruntreuung. Hollinger International, zu der auch die Jerusalem Post gehören, hat keine Zukunft mehr: Die Investmentbank Lazard bietet die Holding rund um den Globus feil.

Seit Murdochs spektakulärer Übernahme der Times im Jahr 1981 ist es das erste Mal, dass eines der seriösen Londoner Blätter verkauft wird. Die Seltenheit hebt den Preis, hofft man bei Lazard: 900 Millionen Euro entsprächen dem 36-fachen Rohgewinn der Telegraph-Gruppe, wenn man die jüngsten Quartalszahlen hochrechnet. Ein Politikum ist der Verkauf, weil jede Schwächung des Telegraph die Dominanz Murdochs stärken würde. Keiner mag ihn, aber alle sind seine Kunden: beim TV-Sender Sky oder beim Massenblatt Sun.

Ein delikater Verkauf

Delikat ist der Verkauf auch, weil der Telegraph als die wichtigste Stütze des Königshauses und als Sprachrohr der "Tories", der konservativen Partei gilt. Es hätte eine gewisse Ironie, wenn ausgerechnet der Telegraph, der beim Stichwort Deutschland oft noch ans Dritte Reich denkt, von einem Berliner Verlagshaus übernommen würde.

Der Springer-Verlag liebäugelte vor fünf Jahren schon einmal mit einem Kauf in England. Damals ging es um die linksliberale Boulevard-Zeitung Daily Mirror, deren Auflage sank; der Aufsichtsrat habe in letzter Minute das Geschäft gestoppt, hieß es später. Beim Telegraph stünde Springer vor einer ähnlichen Herausforderung. Spötter titulieren das Blatt als Lieblingslektüre aller pensionierten Obristen.

Bei jungen Lesern tut sich der Telegraph schwer: Er bietet zwar ein breites Nachrichtenangebot, aber gründlicher und origineller ist der Guardian, politisch relevanter die Times. Nur mit teueren Sonderaktionen hält das Management die Auflage über der Marke von 900.000 Exemplaren.

Ansatzmöglichkeiten zum Erfolg

Eines der ersten Projekte jedes neuen Telegraph-Eigners wird es wohl sein, eine zweite, kompakte Ausgabe im Kleinformat auf den Markt zu bringen. Independent und Times exerzieren das gerade mit überraschendem Erfolg vor. "Zeitung braucht Größe" hatte Axel Springer einmal mit Blick auf Bild doziert. Doch in den überfüllten englischen Zügen herrschen andere Regeln.

Springer würde die Konkurrenz möglicherweise mit einem Voll-Angebot nach deutschem Muster schocken: Bislang tragen Telegraph und die anderen die Nase zu hoch, um über die Stadtratssitzung oder Lokales zu berichten. Und einen Vertrieb bis hin zur Haustür der Leser ersparen sie sich ebenfalls. Selbst Murdoch hat in diesem Punkt vor der keep-it-simple-Mentalität in britischen Verlagshäusern kapituliert. Mit ihm müssten Springer-Chef Matthias Döpfner und sein Auslands-Vorstand Andreas Wiele sich bei einer Übernahme des Telegraph zuerst anlegen.

© SZ vom 26.3.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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