Spitzenjob:Attacken auf den Kandidaten

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Bundesbank-Chef Weidmann: Manche Gegenspieler wollen ihn nicht an der EZB-Spitze sehen. (Foto: Alex Kraus/Bloomberg)

Wer wird der nächste Präsident der Europäischen Zentralbank? Bundesbankchef Weidmann holt die Vergangenheit ein, die Franzosen haben ein gutes Gedächtnis. Und selbst der US-Präsident redet ein Wörtchen mit.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Das erlösende Kanzlerinnen-Wort kommt am 12. Mai. "Deutschland könnte "eine Kandidatur von ihm für das Amt des EZB-Präsidenten unterstützen", sagt Angela Merkel (CDU) in einem Interview mit der Zeit. Damit beendet sie den Poker um den nächsten Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) ein halbes Jahr vor dessen Amtsantritt. Kurz zuvor hatte bereits Merkels Koalitionspartner signalisiert, der Kandidat sei "geeignet"; etwa zur selben Zeit sagt der französische Präsident "oui". Das war vor acht Jahren. Der Italiener Mario Draghi wird Präsident der EZB.

Die Entscheidung ruft keine Verwerfungen hervor. Draghi ist nicht unumstritten, wegen seiner Goldman-Sachs-Vergangenheit und des Schuldenbergs in Rom, aber selbst kritische deutsche Ökonomen bescheinigen dem Italiener mehrheitlich "Glaubwürdigkeit". Draghi sei ein ausgezeichneter Notenbanker mit internationaler Erfahrung, sagt der Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Die Angst der Deutschen vor einem Italiener sei "unbegründet".

Inzwischen ist Draghis Amtszeit fast abgelaufen, ein Nachfolger wird gesucht. Aber anders als 2011 steht dieses Mal vier Monate vor dem Ausscheiden des jetzigen Präsidenten noch nicht fest, wer ihm folgen wird. Und anders als damals ist die Suche mit ungewöhnlichen politischen Attacken verbunden. Es geht dabei vor allem um die Vergangenheit eines Kandidaten, der sich ansonsten gute Chancen auf das Amt ausrechnen kann: Bundesbankpräsident Jens Weidmann.

Dieser macht keinen Hehl daraus, dass er Draghi gern nachfolgen würde. Aber anders als vor acht Jahren hat der Kandidat mächtige politische Gegenspieler, die ihrerseits kaum verhehlen, dass sie den Deutschen lieber nicht an der Spitze der mächtigen Zentralbank sehen wollen. Um die Besetzung des Amtes, dessen Inhaber ja per Statut politisch unabhängige Entscheidungen treffen soll, ist ein heftiges politisches Gerangel entbrannt, das geeignet ist Zweifel zu schüren, wie politisch unabhängig die Zentralbank noch sein kann.

Den vorläufigen Höhepunkt erreicht das Gerangel vergangene Woche. Der französische Präsident wird auf dem EU-Gipfel am Wochenende über Weidmann befragt, ob er eine Kandidatur Weidmanns unterstütze. Emmanuel Macron antwortet nicht direkt, sondern erinnert an Weidmanns heftigen einstigen Widerstand gegen Draghis Geldpolitik. Er sei "wirklich sehr froh, dass EZB-Ratsmitglieder, die stark gegen OMT gewesen sind, und sogar rechtlich Entscheidungen Mario Draghis und OMT angezweifelt haben, sich nachträglich dazu bekennen", sagt er. "Ich denke, das bedeutet, dass wir alle Gutes in uns haben und alle bessere Menschen werden können. Es gibt daher Gründe, optimistisch zu sein hinsichtlich der menschlichen Natur".

In Deutschland gibt es empörte Reaktionen. "Es ist schwer sich vorzustellen, dass Angela Merkel etwas ähnliches sagen würde über den französischen Notenbankchef", twittert die Wirtschaftsprofessorin Isabel Schnabel, eine Wirtschaftsweise der Bundesregierung. Andere Ökonomen sind verwundert, dass man den Franzosen für seine offenen Worte angreift. Im Netz beginnt eine Debatte. Was deutsche Politiker während der Euro-Krise von sich gegeben hätten, sei "empörend" gewesen, kritisiert Dominik Leusder von der London School of Economics. Der plötzliche Ruf nach Höflichkeit sei "unaufrichtig". Es sei nichts Skandalöses in Macrons Antwort zu erkennen, schreiben andere. Der Franzose habe humorvoll geantwortet - und habe Recht. Weidmann habe sich in der Euro-Krise so verhalten, als sei er vor allem für die deutschen Sparer da - und nicht für die Eurozone als Ganzes.

Macron hatte sich lustig gemacht über Weidmanns Versuch, sich noch hinter Draghis Notfallprogramm OMT (Outright Monetary Transactions) zu stellen. Weidmann hatte das Aufkaufprogramm einst vehement öffentlich kritisiert. Er sei bereit gewesen, den Euro aufzugeben, erinnert ein französischer Journalist im Netz an Weidmanns Position. Der Zentralbankrat hatte das Notfallprogramm in der akuten Euro-Krise verabschiedet, um das Aus der Währungsunion zu verhindern. Es ermächtigt die EZB, Staatsanleihen einzelner Länder kaufen, um das Land vor der Zahlungsunfähigkeit zu bewahren. Das Programm wurde nie aktiviert, trug aber entscheidend zur Beruhigung der Märkte bei.

Weidmann hat nun vergangene Woche eine Wende hingelegt und klargestellt, dass er das Notfallprogramm für vereinbar mit europäischem Recht halte und sich daran gebunden fühle. "Inzwischen hat sich der Europäische Gerichtshof mit dem OMT befasst und festgestellt, dass es rechtens ist. Im Übrigen ist das OMT geltende Beschlusslage", sagte Weidmann der Zeit.

Ob es hilft? Draghi hat nicht vergessen, dass Weidmann einst gegen das OMT-Programm gestimmt hat. Beim Zentralbanktreffen vergangene Woche im portugiesischen Sintra erinnert er daran, wie wichtig das Notfallprogramm war, das er mit einer Rede in London und der Ankündigung eingeleitet hatte, er werde den Euro retten, "whatever-it-takes". - "Man kann sich nur sehr schwer hypothetische Ereignisse vorstellen, in denen der EZB-Präsident nicht genau das tut, was nötig ist, um den Euro zu erhalten", sagte Draghi. Sein Nachfolger soll seine Politik fortsetzt.

Dass Weidmann seine Position klargestellt hat, mag auch mit dem Bundesverfassungsgericht zusammenhängen. Die Richter werden demnächst über eine Beschwerde des früheren Bayerischen Staatsministers Peter Gauweiler (CSU) gegen OMT beraten. Gauweiler hatte Verfassungsbeschwerdeverfahren gegen das von Draghi initiierte Staatsanleihenankaufprogramm der EZB eingelegt. Die Verhandlung wird am 30. und 31. Juli stattfinden - zu einer Zeit also, in der das Rennen um den EZB-Vorsitz noch nicht unbedingt entschieden sein muss. Weidmann hatte vor einigen Jahren in Karlsruhe seine kritische Position gegenüber den Aufkäufen geäußert. Es ist überliefert, dass ihn der frühere Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) damals einen Rat mitgegeben hatte, der in etwa lautete: bedenke das Ende. Schäuble hatte wohl geahnt, dass Weidmanns Widerstand gegen Draghis Politik später verhindern könnte, dass er Chef der EZB wird.

Wie 2011 hat sich übrigens auch 2019 der kleiner Koalitionspartner schon geoutet. Weidmann sei "eingeeigneter Kandidat", sagte Vize-Kanzler Olaf Scholz (SPD) kürzlich. Am Donnerstag ist er mit Merkel elf Stunden nach Japan unterwegs. Zeit genug, die Personalie zu beraten.

Draghi hat derweil ein Jobangebot bekommen - aus Washington. Die USA sollten lieber Draghi als Notenbankchef haben anstatt "unserer Person in der Fed", sagte US-Präsident Donald Trump am Mittwoch dem Sender Fox Business Network.

© SZ vom 27.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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