Spielzeug aus China:Wo Krokodile lächeln lernen

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Deutsche Holz-Puzzle entstehen in China, weil Handarbeit in Europa unerschwinglicher Luxus ist.

Von Anja Obst

(SZ vom 18.12.03) — Der Geruch von Lack mischt sich mit dem von feinen Holzspänen. Dünne Regentropfen rinnen an den Scheiben hinunter. Es regnet oft in Ningbo in der Provinz Zhejiang. Aber hinter den Mauern der Fabrik, da lächeln Krokodile - sofern man die roten, gelben, grünen und blauen Holzteile mit den Zahlen eins bis zehn richtig zusammenfügt, die vor Xie Guofeng auf dem Tisch liegen.

Eifrig reibt Xie das Schmirgelpapier über jeden Rand der einzelnen Teilchen. Nicht mehr lange, dann werden Kinder in ganz Europa das Krokodil sowie Steckspiele und Puzzle unter dem Weihnachtsbaum finden. Holzspielzeuge der Firma Ravensburger. Made in China. Bei "Happy Toys" in Ningbo.

Verlegenes Reiben

"Weihnachten? Ist das nicht das gleiche wie unser Neujahr?", fragt Arbeiterin Xie. "Das müsste dann im Januar sein, oder?" Etwas verlegen reibt sie mit dem rauen Papier über die Kante des roten Krokodilbauches, sagt dann mit entschuldigendem Lächeln: "Wir Chinesen feiern ja das Frühlingsfest Ende Januar."

Zheng Xiaohui, Teamleiter ihrer Gruppe, beteuert fröhlich, er möge das fremde Fest: "In Ningbo sind die Straßen mit Lichterketten geschmückt, hier in der Fabrik steht ein Weihnachtsbaum. Ich würde Weihnachten gern selbst einmal feiern, nur so zum Spaß."

Konsumförderung

In den Medien des offiziell atheistischen China ist es noch immer tabu, ausführlich über den christlichen Hintergrund des Festes zu berichten; Weihnachten in China dient allein der Konsumförderung.

Die Geschäftsleitung, immerhin, macht jedes Jahr eine Weihnachtsfeier und lädt die gesamte Belegschaft zu einem großen Essen ein: Die Chefs sind Deutsche, die Mutterfirma Hapi Holding ist in der Schweiz registriert. Als zu 100 Prozent europäisches Investment ist die Fabrik eine Ausnahme in Chinas Spielzeug-Industrie.

Hinter der schüchternen Xie sitzen acht Arbeiterinnen, die für sie die Vorarbeit leisten: sie zersägen das auf ein Brett gedruckte Krokodil in seine Einzelteile. Die Haare zu Zöpfen zusammen gebunden, beugen sie die Köpfe über die Stichsägen. "Mein Sohn ist leider schon zu alt, er ist 16", sagt Xie bedauernd. "Ich hätte ihm gern so etwas gekauft, aber bis ich hier anfing, wusste ich gar nicht, dass in China Holzspielzeug produziert wird."

Stolzer Gruppenführer

Der Farbengeruch wabert durch die Halle. An der Wand hängen verblichene Plakate mit Sicherheitsbestimmungen. "Unser Spielzeug ist ein Spitzenprodukt," sagt Zheng Xiaohui. Seit der Gründung der Fabrik ist er dabei, erst als Arbeiter, mittlerweile nennt er sich stolz Gruppenführer. "Ich habe meiner vierjährigen Tochter schon unser Holzpuzzle gekauft", erzählt er. Er bekommt die Sachen günstiger, zum Selbstkostenpreis.

Ansonsten liegen in der Spielzeugkiste der Tochter vorwiegend batteriebetriebene Teile: Die sind einfach beliebter - und billiger, werden sie doch maschinell in Serie produziert. Bei "Happy Toys" ist hingegen die menschliche Arbeitskraft das A und O: Das Zuschneiden der Bretter, das Aussägen der Einzelteile, das Schmirgeln der Ränder, das Einstanzen der kleinen Knöpfe auf den Puzzlestücken sowie die Verpackung - alles wird in Handarbeit erledigt.

Ein unbezahlbarer Luxus in Europa. "Wir arbeiten hier Akkord", erzählt Arbeiterin Xie. "Je mehr ich schaffe, desto mehr Geld bekomme ich. Normalerweise verdiene ich etwas über 1000 Yuan im Monat." Das sind ungefähr 100 Euro. Und das Doppelte dessen, was ein Arbeiter in China normalerweise verdient.

Streik

Die Umstellung von Festlohn auf Akkordlohn vor fünf Jahren hatte die Arbeiter allerdings auf die Barrikaden gebracht. Sie legten die Arbeit nieder, streikten für ein paar Stunden. Zehn Arbeiter, sagt die Firmenleitung, hätten damals gekündigt. Tausend arbeiten heute hier.

Xie scheint zufrieden zu sein mit ihrer Tätigkeit und ihrem Verdienst. "Ich mag meine Arbeit. Ich komme aus der Holzbranche, und die Produkte inspirieren die Kinder zu Kreativität." Deshalb nehme sie die Akkordarbeit gern in Kauf. Dafür, dass der Wunsch nach einem höheren Gehaltsscheck nicht in Schluderei endet, sorgen 80 Qualitätskontrolleure, die am Ende jeden Arbeitsgangs penibel die handgefertigten Teile überprüfen; produziert ein Arbeiter Ausschuss, muss er 20 Prozent der Materialkosten bezahlen.

"Unsere chinesischen Arbeiter verstehen das Konzept von Qualität manchmal nicht", meint Managerin Beatrice Böhme. "Unsere Stärke liegt aber im Design und in der Qualität. Unser Holz kommt aus Russland und Finnland, der Kleber aus Deutschland, und die Farben sind aus Belgien und Deutschland."

Große Unterschiede

Sie liefern in die Schweiz, nach England, Frankreich, Deutschland und Italien - Länder, unter denen sich Arbeiterin Xie nicht viel vorstellen kann: "Ich glaube, die Unterschiede zwischen Europa und China sind sehr groß."

Einen tieferen Einblick in die fremde Mentalität bekommen jene Arbeiter, die einmal in die oberen Etagen der deutsch-schweizerischen Fabrik vordringen. An jeder der Glastüren dort hängt ein Schild: "Bitte die Türgriffe benutzen! Nicht mit den Fingern ans Glas fassen!"

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