Spaßwert der WM größer als Geldwert:Sommermärchen mit einem schlechten Ende

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Millionen Fußballfans haben sich genau vor einem Jahr am Zauber des WM-Sommermärchens berauscht - in der deutschen Wirtschaft machte sich inzwischen hingegen Ernüchterung breit.

Bei den allermeisten Unternehmen spülte das Turnier nämlich keine Zusatzgewinne in die Kasse, im Gegenteil: Selbst an den WM-Standorten klagten nicht wenige Einzelhändler über schmerzhafte Umsatzeinbußen.

Die Rückschau zeigt zudem: Es kamen weniger ausländische Besucher als erwartet und auch der Aufbau neuer Jobs hielt sich in bescheidenen Grenzen.

"Von der WM sind erwartungsgemäß keine nennenswerten konjunkturellen Impulse ausgegangen", lautet das trockene Fazit der Ökonomen Karl Brenke und Gerd Wagner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, die im April eine gut 25 starke Bilanz zum volkswirtschaftlichen Wert der WM vorgelegt haben.

"Vollkommen marginal"

Die WM brachte den Organisatoren am Ende einen Gewinn von 155 Millionen Euro, wovon 106 Millionen für den DFB und die deutsche Profiliga verblieben. "Dies ist ein stattlicher Betrag für den Fußball in Deutschland, aber gesamtwirtschaftlich ist er vollkommen marginal", konstatieren die Experten.

Gleiches gilt für die WM-bezogenen Investitionen in Infrastruktur und Stadien, die in den drei Jahren vorher je nach Schätzung zwischen 1,5 und 6 Milliarden Euro betrugen.

Doch auch diese erkleckliche Summe machte gerade einmal zwei bis sieben Zehntausendstel der gesamten Wirtschaftsleistung in diesem Zeitraum aus und stellte lediglich 0,4 Prozent der gesamten in Deutschland getätigten Investitionen zwischen 2002 und 2005 dar.

Auch die Effekte auf dem chronisch angespannten Arbeitsmarkt sind wenig beeindruckend. Während des Turniers sind laut Schätzungen zwischen 10.000 und 50.000 zusätzliche Jobs entstanden, die meisten davon befristet und auf Teilzeitbasis. Im Verhältnis zu damals über vier Millionen Arbeitslosen und fast 40 Millionen Erwerbstätigen bedeutete dies keine nennenswerte Entspannung.

Weniger ausländische Gäste als erwartet

Zwar zog es im Juni und Juli 2006 mehr ausländische Gäste als sonst nach Deutschland, doch blieb deren Zahl genauso hinter den Erwartungen der Veranstalter zurück wie deren Ausgaben.

Nach Berechnungen des DIW dürften die WM-Gäste allenfalls 500 Millionen Euro ausgegeben haben, was erstens eine volkswirtschaftlich vernachlässigbare Größe darstellt und zweitens auch nur halb so viel ist wie ursprünglich erwartet.

Erhellend erscheint eine Umfrage der Industrie- und Handelskammer Stuttgart. Nach dem Eindruck der regionalen Einzelhändler interessierten sich die zahlreich angereisten Gäste vor allem für das Geschehen auf dem Rasen sowie für Bier, Essen und Fanartikel - alles andere blieb in den Regalen liegen.

Stammkunden mieden Innenstädte

Viel mehr schmerzte die Händler aber, dass auch viele Stammkunden die überfüllten Innenstädte mieden. Das ernüchternde Ergebnis: Nur 13 Prozent der befragten Firmen profitierten am Ende tatsächlich.

Überraschend viele, nämlich 40 Prozent, mussten indes Einbußen im Vergleich zum saisonüblichen Geschäft hinnehmen - "die meisten von ihnen völlig unerwartet und unvorbereitet", wie IHK-Volkswirt Philip Reimers berichtete.

Natürlich gab es auch Gewinner. Merklich zugelegt haben etwa einige deutsche Flughäfen, das Gastgewerbe sowie Bierbrauer und Getränkeproduzenten - allerdings könnte der Umsatzzuwachs zum Teil auch mit der generell guten Geschäftsentwicklung sowie dem guten Wetter erklärt werden.

Fernseher-Verkauf hätte ohnehin gebrummt

Und der Verkauf von Fernsehern hätte wohl auch gebrummt, wenn die WM in einem anderen Land stattgefunden hätte.

Hinzu kam die drohende Mehrwertsteuererhöhung zum Jahresende 2006, die viele Verbraucher zu vorgezogenen Anschaffungen teurer Produkte wie Unterhaltungselektronik und Möbeln bewog.

Anders als die Bundesregierung ziehen die DIW-Ökonomen Brenke und Wagner aus den inzwischen vorliegenden Statistikdaten den Schluss, dass die im Vorfeld geäußerten Hoffnungen auf einen konjunkturellen Impuls durch die Fußball WM "gänzlich übertrieben waren".

Trotzdem habe das Ereignis von Weltrang herausragende Bedeutung, weil es zur Völkerverständigung beigetragen habe und Deutschland die Möglichkeit bot, sich als modern, weltoffen, fröhlich und leistungsstark darzustellen. Und die meisten Fans dürfte es auch nicht gestört haben, dass der Spaßwert den Geldwert überwogen hat.

© AP, Torsten Holtz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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