Sparverhalten:Frauen scheuen die Börse

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Anlegerinnen sind weniger risikofreudig als Anleger. Das vermindert ihre Rendite und rächt sich später im Alter - und zwar gleich doppelt.

Von Victor Gojdka, München

Auf dem Parkett der New Yorker Wall Street ist Lauren Simmons eine Ausnahme. Als einzige weibliche Vollzeithändlerin bahnt sie sich täglich mit ihrem Tablet den Weg zwischen Scharen von Männern hindurch. "Ich habe mich einfach in Zahlen verliebt", sagte die 23-Jährige kürzlich im Börsenfernsehen. Und trotzdem: Dass sie die Händlerprüfung mit nur einem Monat Vorbereitung schaffen würde, hatten ihre Kollegen beim Handelshaus Rosenblatt Securities vorher nicht für möglich gehalten.

Aktien und Frauen, das scheint in vielen Köpfen immer noch nicht zusammenzugehören - und das ist bei Weitem nicht nur ein Problem an der New Yorker Börse, sondern auch für Deutschland, wie eine aktuelle Studie des deutschen Sparkassen- und Giroverbandes zeigt. Während Frauen und Männer in Deutschland jeden Monat annähernd gleich viel fürs Alter sparen, scheuen Frauen dabei deutlich häufiger als Männer Aktien oder Investmentfonds. Während nur 12 Prozent der Frauen Aktien besitzen, sind es bei den Männern 24 Prozent, also doppelt so viele. Und während nur 16 Prozent der Frauen Anteile an Investmentfonds besitzen, sind es bei Männern immerhin 25 Prozent.

Im Alter wird dieses Sparverhalten zum Problem, denn Frauen dürften mit ihrer konservativeren Anlagestrategie auf lange Sicht weniger Rendite machen. Dabei geraten Frauen doppelt ins Hintertreffen, denn gerade sie bräuchten mit Blick aufs Alter eigentlich eine höhere Rendite als Männer. Erstens, weil sie statistisch gesehen länger leben als Männer und zweitens, weil sie während ihres Arbeitslebens oft weniger verdienen und daher später auch eine niedrigere gesetzliche Rente bekommen. Einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zufolge erhalten Frauen im Schnitt nur knapp 60 Prozent der durchschnittlichen gesetzlichen Männerrente.

Viele erklären sich die Risikoscheu der Frauen in Sachen Aktien mit psychologischen Faktoren: Frauen seien eben weniger risikobereit, so legen es auch die Erkenntnisse des Sparkassenverbandes nahe. Während immerhin 30 Prozent aller Männer eine hohe Rendite als eines der drei wichtigsten Anlageziele nennen, tun dies bei den Frauen nur 22 Prozent. Doch solche Umfragen legen eine falsche Fährte, meinen Experten, die Aktienunlust der Frauen liegt nicht in ihrer Psychologie. Neue Erkenntnisse zeigen, dass Risikoneigung weitgehend anerzogen ist. "Frauen, die auf Mädchenschulen waren, sind später ungefähr genauso risikobereit wie Männer", sagt Finanzpsychologin Monika Müller. Vermutlich, weil sie als Jugendliche weniger mit Rollenklischees zu tun hatten.

Dass das Anlageverhalten so auseinanderklafft, lässt sich außerdem historisch erklären: Immerhin dürfen Frauen in Deutschland erst seit 1962 ein eigenes Bankkonto eröffnen, ohne ihren Gatten um Erlaubnis zu bitten. Bis 1977 durften verheiratete Frauen nur arbeiten, "soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist", wie es im Bürgerlichen Gesetzbuch hieß. Im Klartext: Nur, wenn der Mann zustimmte. Ausgewachsen haben sich diese Effekte noch nicht, zu tief stecken sie im kollektiven Unterbewusstsein.

Einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zufolge ist auch das geringere Finanzwissen von Frauen ein Problem. Es führt zu weniger ambitionierten Anlagen - und damit zu weniger Aktien im Depot. Finanzielle Bildung in der Schule würde helfen, die Geschlechterunterschiede abzuschmelzen. Das Selbstvertrauen von Mädchen im Matheunterricht zu fördern, auch. Und nicht zuletzt: mehr weibliche Vorbilder wie Börsenhändlerin Lauren Simmons.

© SZ vom 25.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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