Sparklubs:Bier trinken und Geld ansammeln

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Manche deutsche Kneipen haben einen Blechschrank, der den Gästen beim Sparen hilft - schwierig in diesen Zeiten.

Von Felicitas Wilke, München

Kein Mensch geht in die Kneipe, um zu sparen, würde man meinen. Wenn man schon mal da ist, sollte auch das ein oder andere Bierchen oder etwas zu essen drin sein. Einige Gäste im Bistro Alabama im saarländischen Schwalbach statten ihrem Stammlokal aber nicht nur einen Besuch ab, um Geld loszuwerden. Tatsächlich sparen sie dort auch. Denn in der Kneipe hängt ein Blechkasten mit vielen kleinen Fächern an der Wand. Wer Lust hat, gemeinsam mit anderen Gästen zu sparen, muss jede Woche mindestens drei Euro in sein Fach einzahlen. "Wenn man es vergisst, wird ein Strafbetrag von einem Euro fällig", sagt Constanze Liebis, die im Bistro arbeitet. In Schwalbach wie auch in anderen Sparklubs zahlt der Wirt oder der Kassenwart das Ersparte Woche für Woche bei der Bank ein. Am Ende des Jahres bekommen die Mitglieder ihr Geld zurück. Von den Strafbeträgen und den Zinserträgen feiern alle zusammen eine Party. Das Prinzip funktioniere bis heute gut, berichtet Liebis.

Es gibt keine verlässlichen Zahlen darüber, wie viele Sparvereine es heute in Deutschland gibt. Klar ist nur eines: Ihre Bedeutung hat in den vergangenen Jahrzehnten stark abgenommen. In den Sechzigerjahren gab es allein in Hamburg 2800 Sparklubs, im Raum Westfalen-Lippe waren es 12 700. Heute muss man länger suchen, um Menschen zu finden, die gemeinsam sparen. Die Idee stammt aus dem 19. Jahrhundert, als einige Arbeiter aus der Not eine Tugend machten. Denn die Sparkassen hatten damals nur wenige Stunden in der Woche geöffnet, sodass viele Menschen kaum eine Gelegenheit fanden, ihre Ersparnisse einzuzahlen. "Außerdem nahmen viele Sparkassen nur relativ hohe Mindestbeträge als Spareinlagen an", sagt Thorsten Wehber, der das Sparkassenhistorische Zentrum beim Deutschen Sparkassen- und Giroverband (DSGV) leitet. Wer als einfacher Arbeiter nur ein paar Groschen im Monat zur Seite legen konnte, hätte kein Sparbuch eröffnen können. Als Mitglied im Sparverein zahlte man Geld ein, wann und wie viel man wollte. Die Sparschränke standen in Kneipen oder Kaufmannsläden, wo die Menschen ohnehin oft vorbeikamen. Der Vereinsvorstand kümmerte sich dann in regelmäßigen Abständen darum, die gesammelten Beträge der Mitglieder auf ein Sparkonto einzuzahlen.

Arbeiter erfanden Sparklubs. Sie machten vor 150 Jahren aus der Not eine Tugend

Sparvereine boomten vor allem, wo viele Arbeiter lebten: In Norddeutschland nutzten die Hafenarbeiter und Seeleute die Einrichtungen, im Westen gehörte das Ruhrgebiet mit seinen vielen Bergleuten und Stahlarbeitern zu den Hochburgen des gemeinschaftlichen Sparens. Während des Zweiten Weltkriegs kam das Leben in vielen Sparvereinen zum Erliegen. "Später erkannten viele Sparkassen und andere Kreditinstitute in solchen Klubs eine Möglichkeit, das Sparen zu fördern und Spareinlagen für sich zu akquirieren", sagt Historiker Wehber. Viele Institute unterstützten ihre potenziellen Kunden dabei, sich in Vereinen zusammenzuschließen, und sponserten beispielsweise die Sparschränke. Vor gut 20 Jahren bezuschussten noch 300 der damals 700 Sparkassen in Deutschland das Vereinssparen. Seitdem hat der DSGV keine Statistik dazu mehr erhoben.

Dass die Zahl auf ein Minimum geschrumpft sein dürfte, musste Sven Ulrich schmerzlich feststellen. Seine Firma Nordia aus dem schleswig-holsteinischen Meldorf baut als eines der ganz wenigen Unternehmen seit 1922 die blechernen Sparschränke. "Bis in die Achtzigerjahre haben wir nichts anderes hergestellt", sagt der Geschäftsführer. Als das Geschäft mit den bunten Kästen immer schlechter lief, konzentrierte sich Nordia zunehmend aufs Zulieferergeschäft für Blechteile. Weil ihm die Sparschränke heute nur noch fünf Prozent seines Umsatzes bringen und es wegen der geringen Stückzahl immer teurer wird, sie herzustellen, hört er zum Jahresende mit der Produktion auf. "Sparvereine passen nicht mehr in den Zeitgeist", sagt Ulrich. Nach dem Krieg sei es "ein großes Ding" gewesen zu sparen, heute lockten überall Ratenkredite und Null-Prozent-Finanzierungen. "Früher sparten die Leute erst und kauften dann, heute ist es eher umgekehrt", findet Ulrich.

Vielen Sparvereinen haben zudem die niedrigen Zinsen der vergangenen Jahre den K.-o.-Schlag versetzt. Im Bistro Alabama reichen die Strafbeträge zwar noch für ein schönes Klubfest am Jahresende, von den Zinserträgen allein gäbe es heute aber nicht mehr viel mehr als ein Bier. Und weil die Geldinstitute derzeit Strafzinsen zahlen müssen, wenn sie die Einlagen der Kunden bei der Europäischen Zentralbank parken, ist ihnen nicht daran gelegen, den Sparsinn übermäßig zu fördern. Für den Fall, dass sich Zinslage und Zeitgeist wieder ändern, hortet Ulrich ein paar Schränke im Lager. In Bistro Alabama sparen sie derweil fleißig weiter. Dort ist das längst Kult.

© SZ vom 17.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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