Sozialunternehmen:Die Krux mit den Notkrediten

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Zu gemeinnützig oder zu gewinnorientiert: Soziale Start-ups fallen bei den meisten Förderprogrammen durchs Raster. In der Krise spüren sie das jetzt besonders.

Von Felicitas Wilke, München

Bei Diversicon in Berlin steht die Arbeit seit mehr als einem Monat weitgehend still. Das Sozialunternehmen bereitet Menschen mit Autismus seit drei Jahren auf ein Berufsleben auf dem ersten Arbeitsmarkt vor. Außerdem schult es Arbeitgeber darin, Menschen mit dieser Behinderung in ihr Team zu integrieren. Doch ein Bewerbungstraining von Angesicht zu Angesicht anzubieten oder Workshops in Gruppen abzuhalten ist wegen des Corona-Virus bis auf Weiteres nicht erlaubt. Die zehnköpfige Belegschaft ist in Kurzarbeit und noch zu 20 Prozent im Einsatz. "Uns brechen dramatisch die Umsätze weg, weil die Einnahmen durch Leistungsträger wie das Jobcenter wegfallen", sagt Geschäftsleiterin Maja Hebel.

In Deutschland versuchen mehr als 100 000 junge Unternehmen, ähnlich wie Diversicon, gesellschaftliche Probleme mit unternehmerischen Mitteln zu lösen. Sie setzen sich für Themen wie Inklusion, Entwicklungshilfe oder Bildungsgerechtigkeit ein - und haben gerade fast ausnahmslos große Sorgen. In einer Umfrage der Interessenvereinigung Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland (SEND) gaben 85 Prozent der befragten Unternehmen an, dass die Corona-Krise ihre Existenz bedrohe. Gut ein Drittel geht sogar davon aus, innerhalb von drei Monaten nicht mehr geschäftsfähig zu sein.

Eine offiziell anerkannte Definition für soziale Start-ups gibt es hierzulande bislang nicht, genauso wenig wie eine einheitliche Rechtsform. Die einen agieren als gemeinnützige GmbH (gGmbH), die anderen als klassische GmbH. Einige, wie auch Diversicon, splitten sich in eine gemeinnützige und eine gewerbliche Rechtsform. Man sitze schon immer zwischen den Stühlen, meint Markus Sauerhammer, Vorstand des SEND. Um Investorengelder oder Mittel aus der Wirtschaftsförderung einzusammeln, wirtschafteten viele Sozialunternehmen zu wenig gewinnorientiert, und um wiederum Förderung für soziale Einrichtungen zu erhalten, agierten viele zu unternehmerisch. Das zeigt sich Sauerhammer zufolge auch jetzt während der Krise. "Wir fallen bei den meisten Förderprogrammen durchs Raster."

Dabei hat Diversicon vor ein paar Wochen immerhin eine Finanzspritze erhalten. Das Land Berlin überwies aus dem Zuschussprogramm des Bundes für Kleinstunternehmen 14 000 Euro an das Start-up. "Damit können wir eine Monatsmiete und die verbleibenden Personalkosten, die nicht durch Kurzarbeitergeld gedeckt sind, bezahlen", sagt Hebel. Darüber hinaus wird es schwierig. Eine gemeinnützige GmbH ist für die Notkreditprogramme der KfW nicht antragsberechtigt. Zwar ist Diversicon teils auch als klassische GmbH organisiert, steht hier allerdings vor dem Problem, dass der Staat bei kleinen Unternehmen nicht die volle Haftung für die kreditgebende Hausbank trägt. Gerade bei jungen Unternehmen wollen die Geldinstitute kein Risiko eingehen. Doch selbst wenn ein Darlehen infrage käme, bleibt das Problem, die Schulden irgendwann zurückzahlen zu müssen: "Das ist für ein Sozialunternehmen, dem es nicht um große Gewinne geht und das keine Rücklagen hat, kaum machbar", sagt Hebel.

Die Unternehmen machen keine großen Gewinne, wie sollen sie da Kredite zurückzahlen?

Das Unternehmen versucht, in der Krise auf digitale Angebote umzustellen. Es klappt bereits in Ansätzen, etwa das Job-Coaching virtuell anzubieten, allerdings muss Diversicon auch hier Hürden bewältigen. Weil die Mitarbeiter in Kurzarbeit sind, ist der Zeitpunkt denkbar schwierig, um ein neues Konzept zu erarbeiten. Und weil die Zielgruppe, autistische Menschen, oft Probleme mit sozialer Interaktion hat, wäre es für sie besonders sinnvoll, an analogen Workshops teilzunehmen. Gerade weil es zum Geschäftsmodell vieler Sozialunternehmen gehört, bestimmte Menschen zu unterstützen, stellt sie die Krise vor besonders große Probleme.

So ergeht es auch dem Start-up Kuchentratsch aus München. Dort backen Rentnerinnen und Rentner normalerweise Kuchen nach ihren eigenen Rezepten. So bleiben sie über die Arbeit mit anderen Menschen in Kontakt und verdienen sich als Minijobber etwas zur oft mageren Rente dazu. Die Kuchen liefert das Start-up an Cafés in der Region und Privatleute aus. Doch seit Mitte März rühren die Bäcker im Seniorenalter keinen Teig mehr. Rein rechtlich dürfte der Betrieb sogar weiterlaufen. "Aber unsere Mitarbeiter gehören wegen ihres Alters alle zur Hochrisikogruppe. Wir können es nicht verantworten, dass sie ihre Gesundheit riskieren", sagt Theresa Offenbeck, die dort für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist.

Geld verdient Kuchentratsch nur noch mit Backbüchern, Gutscheinen und Backmischungen, die bald erhältlich sein sollen und bereits vorbestellt werden können. Den Senioren fällt ihr Zuverdienst komplett weg, sofern sie nicht gerade zuhause an neuen Backmischungen tüfteln und dafür Stunden aufschreiben. Minijobber haben keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld, und Kuchentratsch hat nicht die Mittel, die Beschäftigten zu entschädigen. "Diese Entwicklung widerspricht allem, wofür wir als Unternehmen stehen", sagt Offenbeck. Kuchentratsch erging es ähnlich wie Diversicon: Die Soforthilfe kam schnell und unbürokratisch, doch sie reichte bei Weitem nicht. "Wir hoffen auf ein Hilfspaket für Start-ups", sagt Offenbeck.

Tatsächlich arbeitet die Bundesregierung an einem Zwei-Milliarden-Euro-Paket für Start-ups, allerdings befürchtet der Interessenverband SEND, dass die Sozialunternehmen einmal mehr durchs Raster fallen. Der Verband fordert die Politik dazu auf, Förderprogramme auch für gemeinnützige Organisationen zu öffnen und weitere Liquiditätshilfen für gewerbliche Akteure bereitzustellen. In einigen Bundesländern funktioniere das schon gut: So hat Baden-Württemberg ein erweitertes Soforthilfeprogramm aufgelegt, das explizit auch für Sozialunternehmer zugänglich ist. Der Freistaat Sachsen bietet zinslose Kredite mit drei tilgungsfreien Jahren an, die zumindest für nicht-gemeinnützige Sozialunternehmen geeignet sein können.

Es dürfe nicht vom Firmenstandort abhängig sein, ob ein Sozialunternehmen in der Krise zusätzliche Hilfe erhält, sagt der Grünen-Wirtschaftspolitiker Dieter Janecek. Er schlägt vor, die Liquiditätshilfen und Förderprogramme der KfW "zumindest temporär befristet" für gemeinnützige Unternehmen zu öffnen: "Wenn die Bundesregierung es mit der Förderung von Sozialunternehmen ernst meint, muss sie jetzt dafür sorgen, dass sie auch in der Krise eine echte Chance bekommen."

Das Bundeswirtschaftsministerium verweist auf Anfrage unter anderem auf die Soforthilfen und gibt an, "fortlaufend Maßnahmen und Möglichkeiten" zu prüfen, um "noch besser zu helfen." Eine mögliche Gefahr besteht darin, dass der Begriff des Sozialunternehmens nicht geschützt ist. Sollten Hilfsprogramme für sozial orientierte Unternehmen auf den Weg gebracht werden, könnten sich plötzlich viele Firmen einen weltverbessernden Anstrich geben, um die Förderung einzuheimsen. Karin Kreutzer, die an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht den Lehrstuhl für Social Business innehat, sieht darin aber keinen Grund, nichts zu tun: "Im Zweifelsfall könnten Experten anhand vorher festgelegter Kriterien prüfen, wer den Namen Sozialunternehmen verdient und wer nicht."

© SZ vom 20.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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