Sondersitzung des Aufsichtsrates:Volkswagen vor harten Einschnitten

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Der VW-Aufsichtsrat sucht zwei Tage lang hinter verschlossenen Türen nach einer Lösung für die Finanzprobleme des Konzerns. Der verschärfte Sparkurs könnte mehr Stellen kosten als erwartet.

Michael Kuntz

Offiziell war bisher stets die Rede von 20.000 Stellen, die von dem verschärften Sparkurs betroffen sein könnten. So hatte es Vorstandsvorsitzender Bernd Pischetsrieder am 10. Februar angekündigt.

Aus dem Unternehmen nahe stehenden Kreisen war im Vorfeld der Sitzung des obersten Kontrollgremiums zu erfahren, dass bei rein betriebswirtschaftlicher Betrachtung ein Handlungsbedarf besteht, der weit über den angekündigten hinausgeht. Von mindestens 40.000 überflüssigen Stellen ist die Rede.

Mindestens, das heißt im Klartext: Jede zweite Stelle in den zu teuer produzierenden deutschen Werken könnte zu viel sein, sagen Insider, die mit solchen unangenehmen Schätzungen aber nicht in Verbindung gebracht werden wollen.

"Politisch nicht durchsetzbar"

Eine offizielle Bestätigung gibt es für derlei Schreckenszahlen nicht. Die mit der Situation Vertrauten betonen, dass im mitbestimmten VW-Konzern die wirtschaftlich notwendigen harten Schnitte politisch nicht durchsetzbar sein werden.

Bei der Sanierung der Traditionsmarke VW wird es nach Auffassung von VW-Gesamtbetriebsratschef Bernd Osterloh nicht zu harten Einschnitten kommen. Das sagte Osterloh, der auch Aufsichtsrat ist, kurz vor Beginn der Klausurtagung des Kontrollgremiums. Die Situation bei VW müsse verbessert werden. Dabei müsse es eine "Beschäftigungs- und Standortsicherung" geben.

Mit Blick auf entsprechende Spekulationen wandte sich Osterloh gegen eine Verlängerung der Wochenarbeitszeit bei VW von 28,8 auf 35 Stunden.

35-Stunden-Woche

Zur Senkung der Arbeitskosten könnte VW zur Fünf-Tage-Woche mit 35 Stunden zurückkehren - ohne Lohnausgleich. Zur Zeit gilt die Vier-Tage-Woche mit 28,8 Stunden. So ließen sich die Werke besser auslasten. Allein dadurch würden 20.000 Stellen überflüssig.

Da niemand auf den stagnierenden Märkten in Europa und Nordamerika mit großartig steigenden Absatzzahlen rechnet, verschärft jede Steigerung der Produktivität das Problem der ohnehin bestehenden Überkapazitäten.

Europas größter Autohersteller lastet seine Werke derzeit nur zu 80 Prozent aus, das Stammwerk Wolfsburg sogar nur zu gut der Hälfte. Die Autos der Marke VW sind aber auch zu teuer in der Herstellung, weil sie zu aufwändig konstruiert sind.

So verursacht angeblich allein die spezielle Art der Anbringung der Türen 300 Euro Mehrkosten pro Golf. Die Montage eines Golfs dauert in Wolfsburg 47 Stunden, Renault braucht für einen Megane in Palencia ganze 17 Stunden.

Erst nach dem Sparprogramm wollen die Aufsichtsräte über die Verlängerung des Arbeitsvertrages von Vorstandschef Bernd Pischetsrieder diskutieren. Dies soll noch nicht bei dem Treffen in dieser Woche geschehen, beschlossen sie, teilt VW mit. Der Vertrag läuft im April des kommenden Jahres aus. Wendelin Wiedeking und Christian Wulff, die Vertreter der beiden Großaktionäre Porsche und Niedersachsen, haben sich für Pischetsrieder ausgesprochen.

Eine Art Pfand

Die Arbeitnehmer hielten sich bislang bedeckt, sie benutzen das Thema möglicherweise als eine Art Pfand in den Verhandlungen um Zugeständnisse. Aufsichtsratsvorsitzender Ferdinand Piëch hatte auf die zögerliche Haltung der Arbeitnehmer hingewiesen, was vielfach als eine Art Misstrauenserklärung gegen Pischetsrieder gedeutet worden ist.

Die beiden großen Investmentfonds DWS (Deutsche Bank) und Deka (Sparkassen) beantragten für die VW-Hauptversammlung am 3. Mai eine Einzelabstimmung zur Entlastung der Aufsichtsräte. Der Antrag der Deka sieht darüber hinaus vor, Piëch die Entlastung zu verweigern: Dessen öffentlich geäußerte Zweifel an Pischetsrieders Vertragsverlängerung seien eine "beabsichtigte Schwächung" des Vorstandschefs.

Befragung über Peter Hartz

Pischetsrieder ist fast zehn Monate nach Beginn der Ermittlungen in der VW-Affäre um Schmiergelder und Lustreisen auf Firmenkosten als Zeuge vernommen worden. Wie die Staatsanwaltschaft Braunschweig mitteilt, ging es bei der gut einstündigen Befragung vor allem um die Verantwortlichkeiten des früheren VW-Arbeitsdirektors Peter Hartz.

Volkswagen verdient an seinen Autos der Marke VW fast nichts, obwohl sie sich gut verkaufen. So hieß Europas Marktführer bei den Neuzulassungen von Personenwagen im März erneut Volkswagen.

Innerhalb der Europäischen Union sind 170.000 Fahrzeuge des deutschen Autoherstellers neu zugelassen worden; das sind 13,5 Prozent mehr als im Vorjahresmonat. Volkswagen hält damit nun einen Marktanteil von fast zehn Prozent.

© SZ vom 20.04.06 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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