Sonde Smart-1:Auf der Wendeltreppe ins All

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In der Formel 1 würde wohl niemand auf die Idee kommen, sich mit dem langsamsten Auto zu brüsten. Doch in der Weltraumfahrt ist dies im Moment die neue Mode. Die Europäische Weltraumorganisation Esa startet in der Nacht von Samstag auf Sonntag die Sonde Smart-1, die 16 Monate benötigen wird, um den Mond zu erreichen. Die Apollo-Astronauten brachten diese kosmische Kurzstrecke von etwa 350.000 Kilometer einst in fünf Tagen hinter sich.

Von Thomas Bührke

(SZ vom 26.09.2003) - Auf das Tempo kommt es in diesem Fall aber gar nicht an. Die Mond-Sonde ist nämlich mit einem neuartigen, besonders sparsamen Ionenantrieb ausgestattet, der künftig bei interplanetaren Reisen zum Einsatz kommen soll. Smart-1 ist nicht einmal so groß wie ein Kühlschrank und wird zusammen mit zwei kommerziellen Nachrichtensatelliten an Bord einer Ariane 5 von Französisch-Guayana ins All geschossen. Weil die Esa nur Trittbrettfahrer ist, musste sie eine Verzögerung des Starts um einen Monat, ausgelöst durch einen der zahlenden Passagiere, klaglos hinnehmen. Dafür kostet die gesamte Mission auch nur 110 Millionen Euro.

Sobald Smart-1 in der Erdumlaufbahn ausgesetzt wird, kommt der Ionenantrieb zum Einsatz. Er benötigt als Energiequelle nur Strom von den Sonnensegeln: eine Leistung von nur 1,4 Kilowatt, etwa so viel wie ein Haarföhn. Herzstück des Triebwerks ist eine zehn Zentimeter lange Kammer, in die das Edelgas Xenon gepumpt wird. Die Gasatome werden hier mit Elektronen beschossen und verwandeln sich in elektrisch geladene Ionen.

Diese werden dann in einem Magnetfeld beschleunigt, schießen hinaus ins All und erzeugen dabei einen Rückstoß. Die so ausgelöste Beschleunigung ist zwar winzig, sie entspricht etwa der Kraft, die eine Postkarte im Schwerefeld der Erde erfährt. Aber die Ionen rasen mit rund zehnmal höherer Geschwindigkeit aus der Kammer hinaus als das Gas in gewöhnlichen Triebwerken. Eine Sonde mit einem Ionenantrieb kann also ein wesentlich höheres Tempo erreichen, wenn das Triebwerk lang genug läuft.

Das wird bei der Mond-Sonde nur drei Monate der Fall sein, bis sie sich aus dem gefährlichen Strahlungsgürtel um die Erde gelöst hat. Danach wird das Aggregat nur zweimal pro Woche für bis zu zehn Stunden eingeschaltet. Dadurch entfernt sich die Smart-1 langsam und umständlich auf einer spiralförmigen Bahn immer weiter von der Erde. Wenn sie sich im Januar 2005 dem Mond bis auf etwa 50 000 Kilometer genähert hat, wird dessen Schwerkraft stärker als die der Erde. Dann beginnt das Gefährt den Mond auf einer weiten Umlaufbahn zu umkreisen und muss mit dem Ionenantrieb bremsen, um einen niedrigeren, stabileren Orbit zu erreichen.

Xenon im Tank

Für den gesamten Flug hat die Esa die Sonde mit 82 Kilogramm Xenon aufgetankt. Ein konventioneller Antrieb hätte 200 Kilogramm Brennstoff verbraucht. Auf kosmischen Kurzstrecken indes kann das Ionentriebwerk mit seiner Sparsamkeit gar nicht richtig auftrumpfen. Es ist für längere Flüge geschaffen: Die Sonde Deep Space 1 der Nasa ist mit der Technik zum Kometen Borrelly geflogen; hier lief der Antrieb 680 Tage lang.

Als nächstes soll die amerikanische Raumsonde Dawn mit Ionenkraft die Asteroiden Vesta und Ceres besuchen. Auch die Esa will mit dem neuen Triebwerkstyp Sonden zur Sonne und zum Merkur schicken. Die jetzige Reise zum Mond dient dafür als Test.

Trotzdem wollen die Europäer auch Wissenschaft am Mond betreiben, wenn sie schon einmal da sind. Neben einem Röntgenteleskop und einer elektronischen Kamera ist ein Infrarot-Spektrometer an Bord, das unter Leitung von Horst-Uwe Keller vom Max-Planck-Institut für Aeronomie in Katlenburg-Lindau entstanden ist. Er will mit dem Instrument erstmals eine komplette mineralogische Karte des Erdtrabanten erstellen. "Der Mond ist nicht sehr gut kartografiert, insbesondere wissen wir über die Rückseite und die Polregionen noch sehr wenig", erklärt Keller.

Nachweis nach Wassereis erhofft

Der Forscher hegt die vage Hoffnung, dort Wassereis nachweisen zu können. Eine Nasa-Sonde hatte vor Jahren ungewöhnlich große Mengen Wasserstoff gefunden. Wenn es dort Wassereis gibt, dann wohl nur im ewigen Schatten von Kraterrändern, wo die Temperatur nie über minus 170 Grad Celsius steigt. Das Eis dort nachzuweisen könnte indes an der Leistungsgrenze von Kellers Instrument scheitern, da auf das Eis kein direktes Licht fällt.

Sollte Keller das Eis dennoch finden, muss er sich auch noch auf die neue Methode der Datenübermittlung verlassen: Die Resultate werden mit einem Laser direkt zu einer Empfangsstation auf Teneriffa geblitzt. Laserverbindungen haben zwar eine wesentlich größere Übertragungskapazität als herkömmliche Funkwellen. Allerdings muss der Lichtstrahl auch sehr viel genauer ausgerichtet werden. Und die Verbindung reißt ab, wenn über Teneriffa Wolken aufziehen.

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