Solides Wachstum:Japan geht wieder aufrecht

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Der jüngste Aufschwung der japanischen Wirtschaft ist solider als die Erholungsphasen der 90er-Jahre. Deflation und Staatsschulden bergen aber weiter Risiken.

Von Marco Kauffmann

Als das japanische Kabinettsbüro dieser Tage mitteilte, die Wirtschaft werde im laufenden Haushaltsjahr doppelt so stark wachsen wie erwartet, sorgte das nur für mäßiges Aufsehen. Man hat sich daran gewöhnt, dass eine Rekordmeldung die andere jagt: Die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie seit 1999 nicht, der Exportüberschuss erreicht immer neue Höhen.

Der Verdacht, Premierminister Junichiro Koizumi, der in einem ebenfalls rekordverdächtigen Popularitätstief steckt, suche mit übertrieben positiven Konjunkturmeldungen gute Stimmung zu verbreiten, ist jedoch schnell entkräftet. Die Prognose von real 3,5 Prozent Wachstum deckt sich mit den Einschätzungen privater Ökonomen, auch die Unternehmer teilen die Zuversicht.

Im jüngsten Tankanbericht, dem wichtigsten Stimmungsbarometer, äußerten sie sich so optimistisch wie seit 13 Jahren nicht mehr. Viele Großunternehmen korrigierten in den vergangenen Wochen ihre Gewinnerwartungen nach oben. Japanische Personenwagen, Drucker und DVD-Geräte verkaufen sich besser als budgetiert.

Der Optimismus ist selbst auf die notorisch zurückhaltenden Notenbanker übergesprungen. Hatte Gouverneur Toshihiko Fukui die Erholung bisher stets als "graduell" bezeichnet, verzichtet er seit Juni auf diesen Zusatz.

Verliererimage abgelegt

Auch unter den Anlegern hat Japan sein Verliererimage abgelegt. Investoren wagen wieder, ihr Portefeuille mit japanischen Aktien aufzustocken. Steht Japan am Ende der Rezession, die 1989 mit dem Crash an der Tokioter Börse ihren Anfang nahm? Am Ende jener verlorenen Jahre, die der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt so viel Selbstvertrauen raubten?

Der jüngste Aufschwung ist solider als die Erholungsphasen der 90er-Jahre, das Wachstum ist diesmal breiter gestützt. Neben den Exporten zeigen auch der private Konsum und die Investitionen der Unternehmen nach oben.

Bei früheren Gelegenheiten hatte dagegen vor allem die Regierung mit Aufträgen für Brücken- und Straßenbau die Konjunktur belebt. Durch eine stärkere Binnenwirtschaft aber wird Japan weniger anfällig, sollte der Importhunger des großen Nachbars China nachlassen.

Abgerundet wird das positive Bild durch die allmähliche Gesundung des Bankensektors. Auf massiven Druck der Behörden wurden die Problemkredite in den Bilanzen reduziert. Die einzige Großbank, die im vergangenen Geschäftsjahr Verlust schrieb - die UFJ - soll bis 2005 mit der Mitsubishi Tokio Financial Group fusioniert werden. Dies wäre dann das größte Finanzinstitut der Welt.

Die gestrauchelte Wirtschaftsnation Japan geht wieder aufrecht. Und doch schleppt sie Altlasten mit sich, etwa die Deflation. Die Preise sinken weiter, zwar geringer als befürchtet, aber nicht so, dass die Notenbank ihre Politik von anti-deflationär auf anti-inflationär umzuschalten gedenkt.

Trotz steigender Erdölnotierungen und einem Anziehen der Großhandelspreise verharrt der Verbraucherpreisindex im Minus. Notenbankchef Toshihiko Fukui sagte diese Woche: "Auch wenn der Index über Null kletterte, würden wir die Geldpolitik nicht umgehend ändern." Vor vier Jahren wurde die Null-Zins-Politik vorschnell aufgehoben. Ein Schritt, der wenig später wieder rückgängig gemacht werden musste.

Nun wartet die Notenbank ab, sie rechnet mit einer Rückkehr der Preisstabilität bis 2006. Die Renditen für Staatsanleihen haben sich innerhalb eines Jahres vervierfacht - ein Zeichen dafür, dass die Investoren ein Ende der Deflation bereits erwarten.

Hohe Staatsverschuldung

Der Zinsanstieg bei den Staatsanleihen bedeutet für die Regierung allerdings auch höhere Kosten für den Schuldendienst. Nach dem jüngsten Haushaltsplan erreichen die Gesamtschulden der öffentlichen Hand im März 2005 mehr als 700 Billionen Yen, das entspricht 144 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Meinungen darüber, wie bedrohlich die Verschuldung für den japanischen Staat ist, gehen stark auseinander.

Während Ratingagenturen wie Standard & Poor's und Moody's Tokio unentwegt mahnen, heben zwei amerikanische Ökonomen in einer neuen Studie hervor, ein Großteil der Verbindlichkeiten bestehe zwischen einzelnen Regierungsstellen. Ziehe man die ab, bleibe eine Restschuld, die nur 46 Prozent des BIP ausmacht.

Nicht existenzbedrohend, aber wachstumshemmend sind strukturelle Schwächen in Japans Wirtschaft. Hürden für ausländische Unternehmer etwa, die von der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) in dieser Woche bemängelt wurden, und ein Kartellrecht, das internationalen Standards nachsteht.

Wie lange die Kraft trägt, welche die Wirtschaft derzeit ausstrahlt, ist ungewiss. Selbst die Regierungsstatistiker sind vorsichtig. Nach dem Wachstumssprung von real 3,5 Prozent im Haushaltsjahr 2004 prognostizieren sie für das nächste Jahr nur noch ein Plus von zwei Prozent.

© SZ vom 24.07.04 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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