Smartes Wohnen:"Wir fangen bei null an"

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Michele Vianello ist Digital Manager bei der Projektfirma R. E. D., die für Milano 4 You verantwortlich ist. Als Digital- Evangelist versucht er auf seinem Blog, andere für Technik zu begeistern. (Foto: OH)

Mit Dingen und Menschen im Dialog. Digital Manager Michele Vianello über neue Formen des Zusammenlebens.

Von Ulrike Sauer

SZ: Wie verändert die vernetzte Stadt das Wohnen?

Vianello: Sie ermöglicht unbekannte Formen des Zusammenlebens. Eine neue Stadt muss intensiv an Menschen denken, die untereinander und mit Dingen im Dialog stehen. Städte, denen das gelingt, sind in der Lage, die Lebensqualität zu ändern, ökologische Nachhaltigkeit herzustellen, Arbeitsleistungen zu steigern und letztlich die eigene Zukunft besser zu gestalten.

Was unterscheidet Milano 4 You von gängigen Urbanistik-Projekten?

Milano 4 You ist eine Digital Native City, eine im digitalen Zeitalter von Grund auf neu erdachte Stadt. Das ist ein enormer Vorteil, wir fangen bei null an. Die Straßenbahn, die hier unten vorbeifährt, sammelt heute Daten, von denen der Bürgermeister gar nicht weiß, dass sie existieren. Die Kosten dieser Ahnungslosigkeit sind für die Stadt sehr hoch. Sie sorgt für ein diffuses Unwohlsein. Die Städte sind inzwischen so chaotisch geworden, dass mit der Unkenntnis bald Schluss sein wird. Das Schöne an Milano 4 You ist, dass es ganz auf diesem neuen Bewusstsein gründet.

Die Digitalisierung hilft Städten, Planungen und Abläufe zu optimieren. Was bringt smartes Wohnen dem Einzelnen?

Im Jahr 2020 wird es auf der Erde 200 Milliarden Sensoren geben. Sie alle werden Daten in die Welt pumpen. Die Frage ist: Wer wertet sie aus? Wer nutzt sie? Bislang schenken wir sie den Internetkonzernen. In einer smarten Stadt werden Menschen leben, die bewusst mit ihren Daten umgehen.

Wie machen sie das?

Bisher hat Mark Zuckerberg unsere Daten eingesackt. Ich will, dass sie morgen sozialisiert werden und der Gemeinschaft zugutekommen. Milano 4 You wird voll von digitalen Gadgets sein, die Informationen sammeln. In diesen Daten steckt ein potenzieller Reichtum, den ich ausschöpfen möchte. Die Daten sind unser Erdöl, das gefördert, gelagert und raffiniert werden muss.

Was sind das für Daten?

Zum Beispiel aus den Versorgungsnetzen für Wasser, Strom und Gas. Sie liefern uns eine hohe Vorhersagekraft, mit der wir die Betriebs- und Instandhaltungskosten der Gebäude drücken und die Nebenkosten minimieren können. Die Sensoren und Wearables der Bewohner erheben aber auch Informationen über die Umweltbedingungen oder Sicherheit im Viertel. Heute sorgt nicht mehr die statische Überwachungskamera für Sicherheit. Sie wird zunehmend abgelöst von mobilen Filmgeräten, die etwa in Autos durch die Gegend fahren. Und das Tolle ist: Je länger sie arbeiten, desto mehr lernen sie und verbessern sich selbst. Die Sammler dieser Daten sollten in Form städtischer Wohlfahrt belohnt werden. Das kann ein Rabatt bei der Müllabfuhr sein oder eine reduzierte Kita-Gebühr.

Sind Smart Cit ys allein für die Generation Internet gedacht?

Nein, nicht nur. Meine Schwiegermutter hat nichts mit Whatsapp am Hut, sie hat aber Ohrenschmerzen. Und die Telemedizin kann ihr helfen. Es genügt eine Sonde, und die Erste-Hilfe-Station kann sie beruhigen: Rosella, mit Ihrem Ohr ist nichts Ernstes. Oder Herz und Lunge. Ein Stethoskop kostet so viel wie ein Pürierstab. Teuer sind die Software und Algorithmen zur Entschlüsselung der Informationen.

Leben wir mit Big Data gesünder?

Wir können zum Beispiel die Informationen über die Luftqualität eines Viertels mit den Krankheitsdaten überkreuzen und für die Vorsorge nutzen. Von der Auswertung profitieren der Einzelne, die Krankenversicherungen, Kliniken und Pharmaunternehmen. Die Informationen werden natürlich anonymisiert und gebündelt.

Was treibt Sie als Digital-Evangelisten in den Kampf mit der Bau-Bürokratie?

( lacht) Ich war Vize-Bürgermeister Venedigs und kenne die Probleme, wenn es ums Regieren von Städten geht. ( Er streicht sich über die Arme.) Sehen Sie, überall Narben.

© SZ vom 26.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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