Shells Geheimniskartell:Auch der neue Chef wusste Bescheid

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Der neue Shell-Chef Jeroen van der Veer gerät in den Strudel des kürzlichen Bilanzskandals bei dem Ölriesen. Wie sein geschasster Vorgänger Sir Phil Watts soll van der Veer bereits vor zwei Jahren darüber informiert worden sein, dass die bis dato als gesichert geltenden Ölreserven gar nicht in dieser Höhe vorhanden sind.

Von Udo Hoffmann

Wenn von einem Tag auf den anderen eine Fehlschätzung der Öl- und Gasreserven von 3,9 Millarden Barrel aufgedeckt wird, ist die Erklärungsnot gewaltig. Philip Watts hielt sich zwei Monate auf seinem Chefposten, musste aber Anfang März aufgeben, als herauskam, dass er schon annähernd zwei Jahre von der Fehlbewertung wusste. Auch der einflussreiche Leiter der Erdöl- und Erdgassparte, Walter van de Vijer, der bereits als Kronprinz von Watts gehandelt worden war, musste seinen Hut nehmen.

Jeroen van der Veer: Kaum im Amt, schon in Erklärungsnot. (Foto: Foto: dpa)

Wer annahm, damit sei alles für einen reinigenden Neuanfang getan, der täuschte sich. Watts Nachfolger, Jeroen van der Veer, als Mann von Geist und hintergründigem Witz bekannt, konnte auf ersten Pressekonferenzen nur sehr rudimentäre Auskünfte zu dem spektakulären Doppelrücktritt geben - die internen Untersuchungen würden noch einige Zeit in Anspruch nehmen.

Komplizierte Unternehmens-Struktur

So gewinnt man bei den Aktionären kein neues Vertrauen. Hinzu kommen noch andere Probleme: die Produktionsziele werden zur Zeit verfehlt, viele halten den Konzern grundsätzlich für verknöchert und träge.

Sie verweisen dabei auf die komplizierte Doppelstruktur mit niederländischen und englischen Vorstand und jeweils eigenem Aufsichtsrat, beide wiederum werden von einem übergeordneten Committee of Managing Directors dominiert, der ebenfalls von einem Rat kontrolliert wird. Eine Reform dieser geschichtlich bedingten Struktur wird bereits seit längerem angedacht.

Doch nun muss sich van der Veer zusätzlich mit Vorwürfen auseinandersetzen, die seine eigene Person betreffen. Wie das Wall Street Journal und auch andere amerikanische Medien melden, existiert bereits seit Februar 2002 ein internes Memorandum, indem darauf hingewiesen wird, dass die Abbau-Reserven um bis zu 3 Millionen Barrel zu hoch angesetzt waren. Fatal für van der Veer: Auch sein Name steht offenbar auf der Liste der durch das Memorandum informierten Personen; gleiches gilt für Judy Poynton, die Finanzchefin des Öl-Multis.

Van der Veer schweigt

Van der Veer hat bislang noch nicht Stellung zu diesem Memorandum genommen. Er will das Ergebnis der internen Untersuchung abwarten. Aber das Urteil verschiedener amerikanischer Analysten ist bereits jetzt eindeutig. L. Bruce Lanni, Analyst bei A.G. Edwards in San Francisco, sagte der New York Times: "Es sieht so aus, als liege der Kern des Problems im Unternehmen. Es ist im eigenen Interesse von Shell, herauszufinden, wie viele Leichen noch im Keller liegen."

Andere Vermutungen gehen in die Richtung, dass die Führungsspitze von Shell der Öffentlichkeit ganz bewusst die zu hoch angesetzten Reserven verschwieg, um so den Aktienkurs und damit den Wert des Unternehmens in die Höhe zu treiben. Für ein Mineralölunternehmen wie Shell ist die Höhe dieser Reserven ein entscheidender Bewertungsfaktor.

Derlei Gerüchte machen es dem drittgrößten Mineralölkonzern der Welt natürlich doppelt schwer, das Vertrauen der Anleger zurückzugewinnen. Andere Skandale wie das Enron-Debakel oder der Crash des italienischen Milchriesen Parmalat, die in jüngster Zeit verstärkt auftraten, sind noch in guter Erinnerung. Einige befürchten sogar schon, dass der Konzern seine bislang erstklassige Bonität verlieren könnte. Shell kann sich bei den Kreditverhandlungen mit Banken schon seit 14 Jahren auf ein "AAA" stützen.

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