Selbstdarstellung:Es ist alles nur gespielt

Früher konnte man sich fragen, was wohl die Touristen aus Japan oder China mit den Abertausenden Fotos einmal machen würden, die sie auf ihren Reisen überall dort schossen, wo man sie hingekarrt hatte. Sie alle anzusehen, dafür hätten sie ja niemals die Zeit gehabt. Heute sind wir alle Asiaten, denn unsere Smartphones sind Kameras und wir haben sie immer dabei. Sieh mal, wo ich war! Sieh mal, was ich gegessen habe, wie voll der Zug ist, wie wir abgefeiert haben!

Die Mountainbike-Tour durch den Wald ist nur halb so schön, wenn sie nicht auch auf Facebook oder in einem anderen Netzwerk dokumentiert ist. Von den sogenannten Influencern wollen wir gar nicht erst reden. Die haben die permanente Selbstbespiegelung zum Geschäftsmodell erhoben. Es soll authentisch klingen, ist aber oft nur gespielt. Immerhin könnte einen das auf die Idee bringen, dass das, was auf all den Plattformen vermittelt wird, immer nur ein Teil der Wahrheit ist. Dass das Essen nicht so toll geschmeckt hat und beim Radeln ein Reifen oder die Hose geplatzt ist, wird man auf Instagram und anderen Selbstdarsteller-Plattformen weit seltener erfahren. Da gibt es überwiegend lachende Menschen, die natürlich nur tolle Sachen machen. Bevor einen also der Neid aufs Leben der anderen auffrisst, immer dran denken: Die Mühen des täglichen Lebens haben andere ganz genauso, sie stellen sie aber nur selten auf Instagram.

© SZ vom 24.12.2019 / Helmut Martin-Jung - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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