Schwierigkeiten der multinationalen Arbeitsteilung:A350 schickt Airbus-Sanierung in die Warteschleife

Lesezeit: 6 min

Der Airbus-Mutterkonzern EADS hat völlig überraschend seine Beratungen über das geplante Sanierungsprogramm unterbrochen. Laut Airbus liegt das Problem in der Entscheidung über den Bau des A350. Wer das modernste Flugzeug der Flotte baut, hat im Konzern weitgehend das Sagen.

Seit Wochen hatte sich Spannung aufgebaut: Am Dienstag wollte Airbus endlich die Details seines Sanierungsprogramms "Power8" veröffentlichen und damit Ruhe in eine brodelnde Gerüchteküche mit immer neuen Spekulationen, Drohgebärden und Vermutungen bringen.

Doch 24 Stunden vor dem Termin zuckte Airbus-Chef Louis Gallois zurück und blies die Veröffentlichung vorläufig ab. Die Arbeitsteilung beim neuen Airbus A350XWB hat "Power8" in die Warteschleife geschickt.

"Wir suchen eine Einigung über die multinationale Arbeitsteilung bei der A350XWB", teilte der Flugzeughersteller am Montag mit.

Komplexer Streit über Verteilung der Zukunftstechniken

Hinter der knappen Mitteilung verbirgt sich der komplexe Streit um die Verteilung von Zukunftstechnik bei einem der wichtigsten Airbus-Programme der kommenden Jahrzehnte. Im Programm für das mittelgroße Langstreckenflugzeug A350 und seine überarbeitete Version A350XWB spiegeln sich an vielen Punkten Probleme von Airbus wieder.

Airbus-Konkurrent Boeing verkauft sein neues mittelgroßes Langstreckenflugzeug 787 seit dem Programmstart im April 2004 mehr als erfolgreich.

Der ehemalige Airbus-Vorstandschef Noël Forgeard hatte das Boeing-Modell noch kurz zuvor als "Kopie der erfolgreichen A330" geschmäht, doch viele Fluggesellschaften stürzten sich in den kommenden Monaten auf das neue Produkt.

Pompöse Krönungsfeier

Bei Airbus stand dagegen meist die A380 im Rampenlicht. In einer pompösen Krönungsfeier präsentierte das Unternehmen im Januar 2005 das neue Flaggschiff der Öffentlichkeit, kurz darauf folgte der Erstflug.

Im Marktsegment der mittelgroßen Langstreckenflugzeuge flog Boeing immer weiter davon. Ein Blick in die Airbus-Auftragsbücher zeigt die Situation - und das große Interesse in Toulouse, jetzt möglichst viele Arbeitspakete für die neue A350 dort anzusiedeln: Für die kleinen Jets der A320-Baureihe stehen Ende Januar 2007 noch mehr als 2000 Aufträge in den Büchern.

Die Endmontagelinien in Toulouse und Hamburg kommen mit der Lieferung kaum nach. Für die A330, A340 und die neue A350 liegen dagegen nur noch 393 Bestellungen vor. Boeing meldet dagegen noch 299 ausstehende Bestellungen für die 777 plus 452 Aufträge für die 787.

Der ursprüngliche Entwurf der A350 stieß bei den Kunden auf wenig Gegenliebe. Im Sommer 2006 setzte dann der neue Airbus-Chef Christian Streiff zum Befreiungsschlag an. Die überarbeitete A350 mit breiterem Rumpf und zahlreichen neuen Systemen soll Boeing 787 und 777 Konkurrenz machen.

Wieder im Spiel

"Wir haben aus der Vergangenheit gelernt, die A350XWB bringt Airbus wieder zurück ins Spiel und wird ein Erfolg", sagte Streiff auf der Messe im britischen Farnborough.

Das sah die Kundschaft ähnlich: "Es ist erfreulich, dass Airbus den Kunden zugehört hat und mit einem komplett neuen Design bei der A350 kommt", sagte der Vorstandsvorsitzende von Singapore Airlines, Chew Choon Seng, als die Gesellschaft 20 A350XWB bestellte.

"Die Leistungswerte werden es zu einem sehr wettbewerbsfähigen Flugzeug in den nächsten Jahrzehnten machen." Das Modell soll 2013 erstmals ausgeliefert werden.

Neue Werkstoffe und sparsame Triebwerke

A350 und Boeing 787 sind für die Hersteller nicht nur in ihrem Marktsegment wichtig. Beide Projekte gelten auch als Technologieträger für neue Werkstoffe, extrem sparsame Triebwerke und Interieur.

Dabei geht es zum Beispiel um Verbundwerkstoffe, die leichter und weniger wartungsintensiv sein sollen als die klassische Metallbauweise. Von den neuen technischen Ideen der A350 und 787 profitieren dann auch die Kurz- und Mittelstreckenflugzeuge der nächsten Generation.

Deshalb sind die Arbeitspakete der A350 hoch attraktiv und sichern mehrere tausend Arbeitsplätze.

Europaweit 55.00 Mitarbeiter

Das Sparprogramm soll den Konzern wieder auf Kurs bringen. Airbus beschäftigt europaweit rund 55.000 Mitarbeiter. In Deutschland arbeiten 23.000 Menschen an sieben Standorten für den Konzern.

Airbus teilte am Montag mit, das Treffen des EADS-Vorstands sei am Sonntag unterbrochen worden und werde erst in den kommenden Tagen fortgesetzt.

Laut Airbus-Pressemitteilung liegt das Problem in der Entscheidung über den Bau des A350. Weiter hieß es, als Konsequenz aus der vertagten Entscheidung sei auch das Treffen des "Airbus European Works Council" am 20. Februar vertagt worden.

Bei der Vorlage des detaillierten Sanierungsprogramms werde Airbus am Dienstag voraussichtlich den Abbau von 10.000 bis 12.000 Stellen ankündigen, berichtet die französische Tageszeitung Les Echos.

Einschnitte auch Zulieferer

Es seien Einschnitte im eigenen Unternehmen als auch bei Zulieferern geplant, hieß es. In Frankreich und Deutschland sollten jeweils 3.000 bis 4.000 Arbeitsplätze wegfallen.

Nach Informationen der Tageszeitung La Tribune sollen bis zu 10.000 Stellen gestrichen werden. Zudem sei die Schließung von drei der 16 Produktionsstandorte geplant, darunter Varel und Nordenham in Deutschland. In Frankreich solle der Standort Meaulte wegfallen.

Die Sunday Times hatte dagegen einen Tag zuvor berichtet, der Stellenabbau werde bei weniger als 8.000 Arbeitsplätzen liegen.

Umstrukturierung solle die Produktion der gesamten A320-Familie künftig in Hamburg konzentriert werden, berichtet neben La Tribune auch die Financial Times Deutschland.

Erst mit dem nächsten Modellwechsel

Der Umzug der A320-Produktion von Toulouse nach Hamburg werde aber erst mit dem nächsten Modellwechsel im kommenden Jahrzehnt vollzogen werden, hieß es in der FTDweiter.

A350 voraussichtlich in Toulouse angesiedelt

Im Gegenzug wird die Produktion des neuen Langstreckenmodells A350 nach Angaben beider Zeitungen voraussichtlich an Toulouse vergeben. Der neue Super-Airbus A380 soll ebenfalls ausschließlich in Toulouse gefertigt werden, wie es in La Tribune hieß.

Einem Bericht der "Welt" (Montagausgabe) zufolge soll die A380-Produktion dagegen wie bisher geplant auf Toulouse und Hamburg verteilt bleiben.

Dies habe die Airbus-Spitze bei einer Sitzung am Sonntag beschlossen, berichtet das Blatt unter Berufung auf Unternehmenskreise.

Zwei Endmontagelinien

Um die ohnehin schwierige Sanierung nicht durch eine Verlagerung weiter zu erschweren, werde Airbus es bei zwei Endmontagelinien belassen. Über die Arbeitsteilung beim A350 sei hingegen noch nicht entschieden worden, schreibt die Welt weiter.

Airbus baut seine Flugzeuge an 16 verschiedenen Standorten in Europa, dort sind insgesamt 52.000 Menschen beschäftigt. Rund ein Drittel der Maschinen werden in den 7 deutschen Werken entwickelt und montiert. Dort arbeiten 21.300 Mitarbeiter, 4.300 mehr als an den 4 französischen Standorten.

In den 2 britischen Werken sind 9.700 Menschen beschäftigt, in Spanien an 3 Standorten 4.700 Mitarbeiter.

Großteil der Endmontage in Toulouse

Im südfranzösischen Toulouse steht die Airbus-Zentrale inklusive Verwaltung. In Toulouse wird ein Großteil der Maschinen endmontiert.

Zudem werden in Nantes, Saint-Nazaire und Méaulte Cockpits und Rumpfmittelkästen der Maschinen produziert.

In Großbritannien werden in Broughton und Filton die Flügel gebaut. An den spanischen Standorten Getafe, Illescas und Puerto Real werden die Höhenleitwerke und das Heck der Airbus-Flieger gebaut.

Die Werke in Deutschland sind im einzelnen:

Hamburg ist mit rund 12.050 Beschäftigten der größte Airbus-Standort. Die Hansestadt ist Sitz der Geschäftsführung von Airbus Deutschland und zweites Endmontagezentrum neben Toulouse. Für den Großraum-Airbus A380 erfolgt in Hamburg ein Großteil der Entwicklung, Bau und Montage von Rumpfsektionen, die komplette Innenausstattung, Lackierung, Endabnahme sowie Auslieferung an Kunden in Europa und im Nahen Osten -

Bremen ist mit rund 3.500 Beschäftigten der zweite Schwerpunkt bei der Entwicklung und verantwortlich für die Produktion des Militärtransporters A 400, für den dort der Rumpf gebaut wird. Außerdem werden an der Weser die Landeklappen für Airbus-Flugzeuge gefertigt.

Der Airbus-Standort Buxtehude entwickelt und produziert mit rund 380 Beschäftigten elektronische Kommunikations- und Kabinenmanagement-Systeme.

Im baden-württembergischen Laupheim mit rund 1.200 Mitarbeitern werden Kabinen-Inneneinrichtungen und Frachtraumverkleidungen entwickelt und hergestellt.

Zentrum für Großblechfertigung und Schalenbau der Airbus-Flugzeuge ist das Werk Nordenham mit 2.250. Beschäftigten. Laut Medienberichten droht dem Werk ein Verkauf.

Das Werk Stade mit 1.620 Mitarbeitern ist das Zentrum für die Verarbeitung von Kohlefaserverbundwerkstoffen bei Airbus Deutschland.

In niedersächsischen Varel erfolgt unter anderem die Entwicklung und Konstruktion von Fertigungsmitteln aus Aluminium, Titan und Stahl. Laut Medienberichten könnte das Werk mit seinen rund 1.300 Beschäftigten verkauft werden.

Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) begrüßte die kurzfristige Verschiebung begrüßt. Es sei ein Signal dafür, dass Gründlichkeit vor Schnelligkeit gehe, sagte Wulff am Montag.

Ein Konzept zur langfristigen Sicherung des Luftfahrtstandortes Deutschland sei besser als ein Schnellschuss. "Es muss zu einer Gesamtlösung kommen," sagte der Ministerpräsident.

Betriebsräte zeigten sich von der Absage des Termins überrascht. Die Mitteilung sei völlig unerwartet gekommen, hieß es in den Werken in Bremen und im niedersächsischen Stade. Einen Kommentar zu dem Vorgang gebe es jedoch nicht.

Schwierige Entscheidung über A350

Airbus kaut schon seit Monaten an der Entscheidung über den A350 herum. Noch im Oktober hatte der Co-Chef der Muttergesellschaft EADS, Thomas Enders, nicht ausgeschlossen, dass die Entwicklung des mittelgroßen Langstreckenflugzeugs möglicherweise gestoppt werden könnte.

Die Entwicklung des A350 ist für Airbus wichtig, um Boeing nicht das sehr lukrative Marktsegment mittelgroßer Langstreckenflugzeuge zu überlassen:

Denn die Experten sind sich derzeit einig, dass der Markt für Flugpassagiere künftig zweigeteilt sein wird: Gerechnet wird mit dem Bedarf an billigeren Flüge mit den Superjumbos wie dem A380, die auf den Hauptverkehrsstrecken die großen Drehkreuze ansteuern und den Passagieren möglicherweise mehrfaches Umsteigen abverlangen bis sie ihr Endziel erreichen.

Puntgenaues Fliegen zunehmend nachgefragt

Im Zeitalter der Globalisierung dürfte aber auch das punktgenaue Erreichen sogar weit entfernter - und womöglich abseits gelegener - Ziele zunehmend nachgefragt werden.

Für das erste Segment steht Airbus mit dem A380 derzeit kurz vor der Markteinführung. Doch Boeing kann kein echtes Konkurrenzprodukt anbieten.

Im Markt für zielgenaue Langstrecken hat dafür allerdings Boeing mit dem Modell 787 die Nase vorn. Denn Airbus hat mit der Konstruktion des Konkurrenzfliegers A350 XWB noch nicht einmal begonnen, während Boeing derzeit plant, die 787 schon 2008 in den Liniendienst einzustellen.

Zwickmühle

Deswegen steckt Airbus mit dem A350 derzeit in der Zwickmühle. Entweder entscheidet sich der europäische Flugzeugkonzern nun doch für die möglichst schnelle Entwicklung des Mittelstreckenfliegers und wahrt damit die Chance, in einem lukrativen Markt mitspielen zu können.

Gleichzeitig riskiert er damit aber auch weitere Lieferverzögerungen beim A380, da er seine Ingenieurskapazitäten überdehnen könnte. Weniger riskant wäre daher eine Vertagung der Entscheidung zum A350. Doch dann riskiert Airbus, im lukrativen Markt für mittelgroße Langstreckenjets schon heute den Anschluss zu verpassen.

© N/A - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: