Schutz vor Angriffen:Mit Sturmgewehren gegen Piraten

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Auf Schiffen unter deutscher Flagge sind keine Waffen zugelassen. Auch nicht als Schutz vor Piraten. Daher heuern die Reedereien hierzulande häufig ausländische Sicherheitsfirmen an, um Seeleute und Fracht zu schützen. Ein neues Gesetz soll nun einige Schusswaffen erlauben - die Personenschützer brauchen aber künftig eine Lizenz.

Kristina Läsker

Der Offizier gibt Alarm. Dort, mitten im Indischen Ozean, ankert ein Frachter, es könnte ein Piraten-Mutterschiff sein. Und richtig: Vom Frachter aus wird ein Schnellboot zu Wasser gelassen, ein Skiff. Mit 30 Knoten rast es auf den langsamen Tanker zu. An Bord sieben Männer, bewaffnet. Auf dem Tanker wird es hektisch: Der Kapitän ändert den Kurs und setzt einen Notruf ab, die Crew schießt Leuchtraketen gen Himmel. Als sich die Angreifer auf eine Seemeile genähert haben, warten die Sicherheitskräfte auf dem Tanker nicht länger und feuern Schüsse ab. Das wirkt. Die Piraten brechen die Attacke ab und kehren zurück zum Mutterschiff.

Der Überfall geschah vor wenigen Tagen vor der Küste von Oman. Er ist einer von knapp 90 Angriffen auf Handelsschiffe seit Jahresbeginn, notiert im Internet im Live Piracy Report des Internationalen Schifffahrtsbüros. Die Tanker-Crew hatte Glück: Für die gefährliche Passage entlang von Somalia und Jemen waren externe Bewacher an Bord geholt worden, sie haben Schlimmeres verhindert. Ein solcher Schutz ist teuer, aber effektiv: "Es ist noch nie ein bewaffnetes Schiff gekapert worden", sagt Harald Olschok, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Sicherheitswirtschaft.

Bald könnte mehr Arbeit im Indischen Ozean auf diese Branche zukommen. Das geht aus einem Gesetzentwurf des Bundeswirtschaftsministeriums hervor, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt. So soll künftig das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle gemeinsam mit der Bundespolizei prüfen, welche Firmen für Anti-Piraten-Einsätze geeignet sind. Diese müssen eine Lizenz beantragen und nachweisen, dass sie über "nautische, maritime und technische Kenntnisse" verfügen und "Deeskalationstechniken" beherrschen. Reeder dürfen dann nur noch Firmen mit Lizenz anheuern. Bisher haben viele deutsche Schiffsbetreiber auf ausländische Bewacher zurückgegriffen, trotz unklarer Rechtslage.

Tritt das Gesetz in Kraft, dürfen hingegen ganz offiziell deutsch geflaggte Schiffe mit Schusswaffen gegen Piraten verteidigt werden, mit halbautomatischen Gewehren und ähnlich schwerem Gerät.

Das gefährlichste Nadelöhr der Welt

Eine gesetzliche Grundlage ist dringend nötig: Das kriminelle Geschäft rund um das Horn von Afrika boomt, und deutsche Reeder bezahlen dafür täglich. Etwa 1500-mal pro Jahr fahren Handelsschiffe unter deutscher Flagge durch den Golf von Aden. Es ist die Rennstrecke im Güterverkehr zwischen Asien und Europa, das gefährlichste Nadelöhr der Welt. Viele Besatzungen weigern sich inzwischen, ohne Schutz durch diese Gewässer zu fahren. Auch Versicherungen verweigern immer häufiger Policen, wenn keine Waffen an Bord sind. Unter der Hand heißt es, bis zu jede dritte deutsche Passage habe daher bereits bewaffnete private Begleiter an Bord.

Der Preis ist hoch: Sieben Milliarden Dollar kostet die Piraterie pro Jahr; eine Milliarde davon fließt an die 160 Sicherheitsfirmen weltweit. Den Freibeutern geht es um Lösegelder; sie verlangen bis zu fünf Millionen Euro pro Crew - und es gibt viel zu holen: Knapp 200 Seeleute sind laut dem Internationalen Schifffahrtsbüro als Geiseln in der Gewalt somalischer Entführer. "Das ist ein wachsendes Geschäft", sagt Sicherheitsexperte Olschok.

Er ist die Stimme einer Branche, die nicht in den Medien auftauchen möchte. Sie erledigt im Verborgenen die harten Jobs. Es sind Männer um die 30, oft ehemalige Marinesoldaten oder Polizisten. Gut zehn deutsche Firmen haben sich auf Anti-Piraten-Einsätze spezialisiert. Sie schicken kleine Teams mit vier bis sechs Leuten auf Schiffe, um diese vor Entführungen zu schützen. Immer sind Waffen dabei, zur Abschreckung. Natürlich wird geschossen, sobald Piraten das Schiff entern wollen.

Dass darüber keiner spricht, hat gute Gründe: Sobald Bewacher auf deutsch geflaggten Schiffen arbeiten, bewegen sie sich auf sensiblem Terrain. Auf solchen Schiffen gilt deutsches Recht; sie sind also schwimmende deutsche Inseln auf dem Meer. Der Einsatz bewaffneter Teams ist nicht klar geregelt. Er sei weder erlaubt noch verboten, kritisiert der Verband Deutscher Reeder: "Schiffseigner erhalten keine behördliche Genehmigung dafür", sagt dessen Geschäftsführer Max Johns. Die Rechtmäßigkeit werde oft erst im Nachhinein geklärt, etwa vor Gericht.

Die schwarz-gelbe Regierung könnte nun Marinesoldaten schicken, um die gefährdeten Schiffe zu schützen. Aber das will sie nicht. Weil es zu teuer ist und weil es zu wenig Soldaten gibt. Doch der Druck der Reeder wächst - sie wollen endlich mehr Rechtssicherheit beim Einsatz von privaten Bewachungsfirmen.

Wer sich bislang schützen möchte, bekommt meist Hilfe aus dem Ausland. Der Markt ist fest in der Hand von Amerikanern und Briten. "Großbritannien hat eine andere Militärhistorie und ist früher in die Geschäfte eingestiegen", erklärt ein Sicherheitsmann. Je nach Dauer kosteten die Einsätze zwischen 45.000 und 120.000 Euro, heißt es. Früher wurden die Teams meist für eine Woche auf See geschickt, heute bleiben sie schon mal drei Wochen. Das meiste Geld fließt an einflussreiche Mittler im Ausland. Diese sorgen dafür, dass Personenschützer mit schweren Waffen einreisen dürfen, dass sie keinen Ärger mit den Behörden bekommen und zum Schiff gelangen. Der kleinste Anteil der Prämien landet bei den Bewachern selbst: Seriöse Anbieter zahlten Einsteigern bis zu 5000 Euro im Monat, Teamchefs erhielten bis zu 8000 Euro, heißt es.

"Zur Abschreckung braucht man keine Kriegswaffen"

Die Branche ist undurchsichtig. Mancherorts wird schlecht bezahlt, oder es mangelt an Vorbereitung - ein Grund, weshalb auch der Bundesverband der Sicherheitswirtschaft die neue Lizenz begrüßt. "Da tummeln sich viele Pseudo-Glücksritter", sagt Verbandsgeschäftsführer Olschok. Zudem ist längst Usus, was nun geregelt wird. Schon jetzt werden deutsch geflaggte Schiffen mit Schusswaffen verteidigt. Die Firmen bedienen sich einer rechtlichen Krücke: Waffen und Ausrüstung sind nach deutschen Vorschriften registriert. Peinlich genau wird darauf geachtet, beim Angriff nicht zu früh zu schießen.

"Wir berufen uns auf Nothilfe und Notwehr", erklärt ein ehemaliger Marinesoldat. Häufig tragen Bewacher dann Helme mit Kamera. Diese soll zeigen, wie bedrohlich die Lage war. Klar ist aber auch, dass Ministerium und Verbände künftig keine Maschinengewehre an Bord dulden wollen. "Es besteht Einigkeit darüber, dass Kriegswaffen nicht zum Einsatz kommen sollen", heißt es im Gesetzentwurf. Anders als früher wären aber Handfeuerwaffen wie halbautomatische Sturmgewehre explizit erlaubt. Das genüge völlig, so Olschok. "Zur Abschreckung braucht man keine Kriegswaffen."

Bis die Anti-Piraten-Lizenz kommt, könnten noch mehrere Monate vergehen. Bis Ende April sollen Bundesländer und Verbände den Entwurf aus Berlin kommentieren. Im Herbst soll der Bundestag dann entscheiden. Bis dahin werden in afrikanischen Gewässern noch mehrere Hundert Schiffe überfallen werden.

© SZ vom 12.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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