Schuldenfalle:Die große Pleite

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Die Beratungsstellen sind überfordert: Drei Millionen Haushalte in Deutschland können ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen, jeder dritte Erwachsene hat finanzielle Probleme.

Von Elisabeth Dostert

Tomm hat es geschafft. "Ich kann mich endlich wieder freuen", schreibt der Mann, der weder Alter, Beruf noch Nachnamen nennen möchte, in einem Internet-Forum der Schuldnerberatung.

Er ist zwar immer noch pleite, wie viele andere, die sich unter Pseudonymen wie Mineralwasser, Schuldner oder Wirdschonwiedergut auf der Homepage www.forum-schuldnerberatung.de tummeln und ihre Erfahrungen über den Umgang mit unbezahlten Rechnungen und Pfändungsfreigrenzen austauschen. Aber Tomm hat auf dem Weg aus der Schuldenfalle ein wichtiges Etappenziel erreicht. Seit kurzem läuft sein Insolvenzverfahren. Nun hat er zumindest die Aussicht, dass er in etwa sechs Jahren seine Schulden los ist.

Im ersten Halbjahr 2003 gingen bei den Gerichten nach Angaben der Wirtschaftsauskunftei Bürgel mehr als 32000 Insolvenzanträge von Konsumenten und Kleingewerbetreibenden ein, gut 50 Prozent mehr als im gleichen Vorjahreszeitraum.

In vielen Fällen verlockten scheinbar lukrative Ratenkredit-Angebote die Verbraucher zu überzogener Kreditaufnahme. Zwar hat der starke Anstieg der Insolvenzanträge in erster Linie strukturelle Gründe. Ende 2001 wurde ein großes Manko der Insolvenzordnung beseitigt. Seither können private Schuldner die Gerichtskosten nach und nach abstottern. Die Lage bleibt dennoch prekär.

Letzte Ausfahrt: Insolvenz

Vor Gericht landen nur die allerwenigsten Krisenfälle. Die Schuldner-Karriere beginnt lange vorher mit unbezahlten Rechnungen, Mahnungen, irgendwann folgen Offenbarungseid und Gerichtsvollzieher und am Ende als letzter Ausweg der Insolvenzrichter.

Nach Schätzungen des Bundesfamilienministeriums sind knapp drei Millionen Haushalte in Deutschland überschuldet, das heißt, sie können ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen.

Die Dunkelziffer derer, die sich am Rande der privaten Pleite bewegen, dürfte hoch sein. "Jeder dritte Erwachsene hat finanzielle Probleme", ist Marius Stark, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände überzeugt.

Der AG SBV repräsentiert rund 1100 meist staatlich anerkannte Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatungsstellen, die bundesweit von Arbeiterwohlfahrt, Caritas, Paritätischem Wohlfahrtsverband, Rotem Kreuz, Diakonischem Werk, den Verbraucherzentralen und Kommunen betrieben werden. Genaue Zahlen über das aktuelle Ausmaß des finanziellen Desasters gibt es nicht, nur Hinweise.

So stiegen Bürgel zufolge in den ersten sechs Monaten die "gerichtlichen Maßnahmen zur Eintreibung ausstehender Forderungen" um 14,5 Prozent auf gut 838330 Fälle. Allein mehr als eine halbe Million Schuldner mussten eine Eidesstattliche Versicherung - früher Offenbarungseid - abgeben. In vielen Fällen legten die Schuldner nur unter Haftandrohung ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse offen.

Berater ausgebucht

In wirtschaftlich schlechten Zeiten suchen mehr Menschen die Schuldenberater auf. "Entsprechend lang seien die Wartezeiten", sagt Peter Schubert von der Caritas Schuldnerberatung in München. Termine hat er erst wieder im Februar 2004 frei. Viele haben sich mit ihren Schulden abgefunden, "Mahnschreiben landen ungeöffnet in irgendeiner Ecke", sagt Stark.

Andere warten viel zu lange mit dem Gang zur Schuldnerberatung oder zum Rechtsanwalt - auch aus Scham, ihre Unfähigkeit im Umgang mit Geld öffentlich einzugestehen. "Sie können schlichtweg nicht haushalten", sagt Stark: "Arbeitslosigkeit, Scheidung, Immobilienkauf oder Ehe lösen dann die finanzielle Katastrophe aus."

Zwar hat es die neue Insolvenzordnung Verbrauchern überhaupt erst ermöglicht, sich in einem mehrstufigen Verfahren von ihren Schulden zu befreien. Die Verfahren sind Schubert zufolge aber viel zu kompliziert. Außerdem fehle es an Beratungsstellen, beklagt Stark.

Auf 50000 Einwohner müssten eigentlich zwei Berater kommen, derzeit sei es nicht einmal einer. "Da bleibt nur die Zeit für eine Nullachtfünfzehn-Beratung", kritisiert der Sprecher der AG SBV. Eine Änderung der sozialen Verhaltensweisen oder wirtschaftlicher Unterricht sei in solchen Standard-Beratungen kaum möglich.

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