Schottland:Dolly war erst der Anfang

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Schottland will mit neuen Technologien die Märkte erobern und sich von der ungeliebten Londoner Regierung befreien - manche träumen sogar schon vom Euro.

Andreas Oldag

Edinburgh - Die Zukunft Schottlands beginnt in einem zwanzig mal sechs Meter großen Wasserbecken. An der Längsseite sitzt Tom Heath an einem Computerbildschirm. Er drückt auf eine Taste. "Das ist das Wellenprogramm. Mittlere Windstärke", sagt Heath.

Schottland: Dolly war erst der Anfang (Foto: Foto: AP)

Eine Maschine, die klobige Klappen antreibt, bringt das Wasser in Bewegung. Sekunden später plätschern kleine Wellenberge im Becken. Gurgelnd verschwindet das Wasser in einem gelben, unscheinbaren Holzkasten. "Das ist unser Modell für das Wellenkraftwerk", sagt Heath. Er ist Ingenieur bei der schottischen Firma Wavegen, ein Gemeinschaftsunternehmen von Siemens und dem deutschen Anlagenbauer Voith.

Bei Wavegen in der schottischen Stadt Inverness geht es locker und unkompliziert zu. Während die Wellenanlage in einem schmucklosen Garagenbau untergebracht ist, hocken die zwölf Mitarbeiter in einem Großraumbüro über einer Weinhandlung. Der Chef, David Gibb, hat seine Bürotür weit geöffnet. Jeder kann hereinkommen.

Ein vielversprechender Anfang

"Wir sind jetzt dabei, unsere Technologie zu vermarkten", sagt der freundliche, grauhaarige 59-Jährige. Auf der westschottischen Insel Islay produziert Wavegen bereits Strom in einem kleinen Wellenkraftwerk. Das reicht zwar vorerst nur für ein paar Einfamilienhäuser. Doch für Gibb ist das ein vielversprechender Anfang: "Schottland wird bei der umweltfreundlichen Energieerzeugung in Europa ganz vorne mitspielen", ist der Manager überzeugt.

Schottland strotzt vor wirtschaftlichem Optimismus. Wavegen ist dafür nur ein Beispiel. Zwar geht das schwarze Gold, das Öl vor Schottlands Nordseeküste, langsam zur Neige. Doch zwischen Edinburgh, Inverness und Glasgow besinnt man sich auf die alten Tugenden einer Region, die einst Kaderschmiede der Ingenieurskunst war. 1765 konstruierte James Watt die erste Niederdruck-Dampfmaschine, mit der das Industriezeitalter begann.

Die Erben des begnadeten Tüftlers aus der Hafenstadt Greenock am Firth of Clyde wollen die reichlich vorhandenen natürlichen Ressourcen - Wind und Wasser - nutzen, um das grüne Technikzeitalter einzuleiten. Es geht aber nicht nur um saubere Energien: Edinburghs Universität hat sich zum Eldorado für Biotechnologie und Genforschung entwickelt - dank einer liberalen Gesetzgebung, die in Europa ihresgleichen sucht. Schottische Banken wie die Royal Bank of Scotland (RBS) und HBOS gehören zu den expansionshungrigsten ihrer Branche in Europa.

RBS-Chef Fred Goodwin ist derzeit in den Schlagzeilen, weil er die niederländische Großbank ABN Amro feindlich übernehmen will.

Der wirtschaftliche Aufbruch im Norden der Insel fördert das politische Selbstbewusstsein. 300 Jahre nach der Eheschließung mit England träumen viele der fünf Millionen Schotten von Scheidung. Bei den Regionalwahlen am 3. Mai kommt es zum Schwur: Dann wird voraussichtlich die schottische Nationalpartei SNP gegen die bislang dominierende Labour-Partei einen haushohen Sieg erringen.

Seit 1998 hat Schottland ähnlich wie Wales und künftig auch Nord-Irland ein eigenes Landesparlament - allerdings mit eingeschränkten Zuständigkeiten. SNP-Parteichef Alex Salmond baut auf die tiefe Abneigung seiner Landsleute gegen England und fordert ein Referendum über die vollständige politische Unabhängigkeit der Region.

Teure Scheidung

Er lockt mit geradezu paradiesischen Zuständen, wenn sich Schottland erst einmal von Westminister und Downing Street abgenabelt hat. "Es würde die teuerste und traumatischste Scheidung der Weltgeschichte", warnte dagegen die Londoner Boulevardzeitung The Sun und stellt Salmond als Phantasten hin.

Davon lässt sich der SNP-Chef allerdings nicht beeindrucken. Rastlos tourt das "Enfant terrible" der schottischen Politik in dieser heißen Phase des Wahlkampfes von einem Auftritt zum anderen. An diesem Tag hat er sich sogar in feindliches Territorium nach London getraut, um im feinen Presseclub am

St. James Park zu sprechen. Salmond trägt eine grellfarbene Krawatte. Das passt zwar nicht unbedingt zu seinem etwas schlabbrig sitzenden Anzug. Doch der Provinzfürst aus dem Norden hat sich noch nie um Konventionen geschert. Seine Reden sind eine Mischung zwischen schrillen Anklagen und vielversprechenden Zukunftsvisionen. Sein wirtschaftliches Programm für Schottland rasselt der 52-Jährige im Stakkato-Tempo herunter, geschickt setzt er sich dabei als Anwalt Schottlands im vereinten Europa ein.

Ein zweites Irland

Die Steuereinnahmen aus der Nordsee-Ölförderung gehörten seinem Volk und nicht den Bürokraten in Westminster, stellt er klar. Er lockt mit Steuererleichterungen für Unternehmen. Schottland könne ein zweites Irland werden - eine Boomregion in Europa, die es verstanden habe, Unternehmergeist zu wecken, meint Salmond.

Was er allerdings gerne verschweigt, ist die Tatsache, dass die Nachbarinsel jahrelang von Brüssel mit Subventionsmilliarden aufgepäppelt wurde. Aber zu viele Details sind ohnehin nicht seine Sache. Es muss aber wie ein Giftcocktail für die notorisch europaskeptische Londoner Regierung sein, wenn sich Salmond auch ohne Umschweife zum Euro bekennt. "Warum sollte Schottland als unabhängiger Staat in der EU nicht eines Tages über die Gemeinschaftswährung entscheiden? Wir können dadurch nur gewinnen", sagt der SNP-Chef.

Lange Zeit hat man in der Downing Street die kessen Sprüche des Alex Salmond nicht ernst genommen. Erst angesichts katastrophaler Umfragewerte läuft die Labour-Wahlkampfmaschinerie in diesen Tagen umso hektischer an. Premierminister Tony Blair warnt vor einer Balkanisierung Großbritanniens.

Er schickte seinen designierten Nachfolger und amtierenden Finanzminister Gordon Brown in den Norden, um dort für Labour Stimmung zu machen. Wirtschaftlich sei die politische Unabhängigkeit Schottlands ein Desaster, sagt der Schotte Brown.

Seine Berater haben ausgerechnet, dass der Region ein Haushaltsloch von elf Milliarden Pfund pro Jahr droht, wenn die Zahlungen aus London ausbleiben. "Alles nur Angstmache", hält Jim Mather dagegen. Der schwerreiche Computerunternehmer ist einer der engsten Berater Salmonds. Mather wirft den Labour-Politikern vor, falsch zu rechnen, weil sich London die Öleinnahmen zuschlage.

Diese würden sich auf etwa zehn Milliarden Pfund jährlich belaufen und sollten künftig dem schottischen Budget zugute kommen. Schützenhilfe erhält der Wirtschaftsexperte, der von der SNP als künftiger Finanzminister nominiert ist, auch von anderen prominenten schottischen Unternehmern. Die politische Unabhängigkeit sei keineswegs ein Unglück, befand der Ex-Chef der Royal Bank of Scotland, George Mathewson.

Die Royal Bank of Scotland versucht gerade den Konkurrenten ABN Amro zu übernehmen. (Foto: Foto: dpa)

Loslösung vom Empire - Katastrophe oder Chance für ein wirtschaftliches Kraftzentrum in Europa? Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte. Tatsache ist, dass der Staatsapparat stark aufgebläht ist. Jeder dritte Schotte arbeitet im öffentlichen Dienst. Der Staat erwirtschaftet mehr als die Hälfte des Bruttosozialprodukts.

Zudem hat Schottland immer noch mit dem Erbe der alten Schiffbau- und Stahlindustrie zu kämpfen, die weitgehend verschwunden ist. Deshalb ist die Arbeitslosenqote mit knapp sechs Prozent immer noch höher als im britischen Durchschnitt. Jeder englische Steuerzahler subventioniert Schottland mit 1000 Pfund pro Jahr.

Kein Zufall, dass sich die Schotten - anders als die Engländer - kostenlose Altenpflege ebenso wie Gebührenfreiheit an den Universitäten leisten können. Zyniker sprechen von "goldenen Handschellen" der Blair-Regierung, um die Schotten in der Union zu halten. Das Wirtschaftsmagazin The Economist befand, dass die Wirtschaft im Geburtsland des großen Ökonomen Adam Smith der in der früheren DDR gleiche.

Das sieht Falko Burkert allerdings anders: "In Schottland habe ich meinen Traum vom eigenen Geschäft verwirklicht", sagt der 37-jährige Deutsche. Er hat am Bruntsfield Place, etwas abseits des von Touristen und Dudelsack-Freunden bevölkerten Stadtzentrums Edinburghs, einen Konditor- und Bäckerladen eröffnet.

Deutsches Brot findet reißenden Absatz

Seine Brote, die mit organisch angebautem Mehl gebacken werden, finden bei den Kunden reißenden Absatz. Burkert hat im Land der wabbeligen Toastbrot-Schnitten eine Marktlücke entdeckt. Auf die Idee ist Burkert vor neun Jahren während eines Schottland-Urlaubs gekommen.

"Hier fehlt herzhaftes, deutsches Brot", dachte sich Burkert. Er fing bei einem Freund in der Küche an, Brot zu backen. Zunächst verkaufte der Konditormeister seine Ware auf dem Wochenmarkt. Das Geschäft lief aber so gut, dass der gebürtige Heilbronner dann seinen eigenen Laden eröffnete. In dem gibt es nicht nur Brot, Baumkuchen und Brezeln, sondern zur Weihnachtszeit auch Stollen.

Die meisten Zutaten lässt sich Burkert aus Deutschland liefern. Mittlerweile hat er drei Angestellte. Ein weiterer Laden mit einem Café ist in Planung. "Die Leute sind unkompliziert. Die Behörden lassen dich in Ruhe", sagt Burkert.

Vom Standort Schottland schwärmen auch die Manager der Biotechnologie-Firma Stem Cell Sciences (SCS), das sich als Start-up-Unternehmen auf dem Campus der Heriot-Watt-Universität in Edinburgh in einem schmucklosen Betonbau niedergelassen hat. SCS forscht im Bereich von tierischen und menschlichen Stammzellen und verspricht sich davon großen Nutzen für die Heilung von Wirbelsäulenverletzungen und der Parkinson-Krankheit. "Stammzellen sind für die Pharmaindustrie ein Markt der Zukunft", ist SCS-Mitarbeiterin Lilian Hook überzeugt.

Vor kurzem hat SCS zum Beispiel eine Lizenz für die Produktion von Stammzellen aus Mäusegehirnen an den amerikanischen Pharmakonzern Merck verkauft. Die junge Medizinerin Hook arbeitet bei SCS in der Forschung, so wie viele andere Absolventen der Universität, die die Chance haben, in der Biotechnologie auf dem Campus einen Job zu finden.

Den Ritterschlag erhielt die Stammzellenforschung jetzt vom reichsten Mann der Welt: Bei einem Besuch in Edinburgh lobte der amerikanische Software-Pionier Bill Gates das Zentrum für regenerative Medizin als einzigartig in der Welt. Empfangen wurde der Microsoft-Gründer von Professor Ian Wilmut, dem Schöpfer des Klonschafes "Dolly". Die Schotten, sagte Gates, seien spitze.

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