Schaeffler:Ein heißes Rennen

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Messarbeiten im Schweinfurter Schaeffler-Werk. In der Autosparte des Konzerns, die zwei Drittel des Umsatzes erwirtschaftet, kriselt es. Das Unternehmen will nun gegensteuern. (Foto: Krisztian Bocsi/Bloomberg)

Der fränkische Autozulieferer muss sich schnellstmöglich auf die Elektromobilität einstellen. Das ist der größte Kraftakt in der Firmengeschichte und eine Bewährungsprobe für den Zusammenhalt im Unternehmen.

Von Uwe Ritzer, Herzogenaurach

Die Motorsportfans unter den Schaeffler-Mitarbeitern waren aus dem Häuschen. Für ein paar Stunden schaute Marco Wittmann bei ihnen vorbei, zweimaliger Gesamtsieger der Tourenwagenserie DTM. Geduldig verteilte der Rennfahrer in der Konzernzentrale in Herzogenaurach Autogramme, posierte für Selfies und ließ sich die Produktion zeigen. Für ihn war es ein PR-Termin, denn neuerdings gehört Schaeffler zu den Top-Sponsoren von Wittmanns Team. Wer wollte, konnte im Besuch des Rennfahrers aber auch unterschwellige Symbolik erkennen. Schließlich heißt die neue Devise bei Schaeffler: "Race".

Rennen also. Wobei es um mehr geht als nur Tempo. "Race" ist die schmissige Abkürzung für den Plan, mit dem Schaeffler seine schwächelnde Autosparte antreiben, vor allem aber umbauen und nur noch Produkte anbieten will, die Profit versprechen. Bis 2024 soll sie effizienter werden und eine Zukunft haben. Was beispielsweise bei Schaltgetrieben oder Teilen für Verbrennungsmotoren nicht unbedingt der Fall ist, im anbrechenden Zeitalter der Elektromobilität. Seit Jahrzehnten ist Schaeffler stark in der Mechanik verwurzelt und als Autozulieferer auf Verbrennungsmotoren ausgerichtet. Den Konzern zügig auf Elektromobilität und Digitalisierung zu trimmen, ist der größte Kraftakt in der mehr als 100-jährigen Firmengeschichte.

Mit einmal schnell und kräftig durchstarten ist es nicht getan. Also richten sie sich in Herzogenaurach auf ein langes und kompliziertes Rennen ein. "Wir stecken mitten in einem grundlegenden strategischen Umbau, für den wir mit unserem Zukunftsprogramm in den vergangenen Jahren die richtigen Rahmenbedingungen gesetzt haben", sagt Vorstandschef Klaus Rosenfeld. "Die Richtung stimmt und wird von allen im Unternehmen mitgetragen. Was zählt, ist die Umsetzung." So wird es Rosenfeld auch den Aktionären erklären, die sich am Mittwoch in Nürnberg zur Hauptversammlung treffen. Dort muss Rosenfeld und dem Aufsichtsratschef sowie Mehrheitseigner Georg Schaeffler vor allem eines gelingen: Verlorenes Vertrauen zurückgewinnen.

Denn seit einigen Jahren läuft es nicht mehr rund in dem 92 500 Mitarbeiter zählenden familiengeführten Konzern, der Wälzlager und andere Präzisionsteile sowie Antriebstechnologie für Fahrzeuge und Maschinen aller Art herstellt. Der Umsatz (zuletzt 14,2 Milliarden Euro) wächst kaum, das Konzernergebnis ging 2018 um zehn Prozent auf 881 Millionen Euro zurück, die Gewinnmarge von 11,3 auf 9,7 Prozent. Die Aktie und damit das Unternehmen verlor in einem Jahr mehr als 30 Prozent an Wert. Das schwächelnde Industriegeschäft hat sich zwar wieder gefangen, aber dafür kriselt es nun in der Autosparte, die zwei Drittel des Umsatzes erwirtschaftet. Zu allem Überfluss wurde Schaeffler aus dem Aktienindex M-Dax in den weniger prestigeträchtigen Kleinwerteindex S-Dax abgestuft. "Wir haben sicher auch Fehler gemacht und Lehrgeld bezahlt", sagt Rosenfeld. "Aber wir müssen und werden das Vertrauen am Kapitalmarkt Schritt für Schritt zurückgewinnen."

Das Unternehmen leidet am allgemeinen Problem der Autobranche, die sich zu lange auf ihren Erfolgen ausgeruht hat und das Thema Elektromobilität zu zögerlich angegangen ist. Entsprechend aufwendig und schwierig gerät nun die Transformation. "Wir müssen uns Schritt für Schritt darauf einstellen. Es wird voraussichtlich noch ein paar Jahre dauern bis man klarer sieht, wohin die Reise geht", sagt Rosenfeld. Hinzu kommt die schwächelnde Konjunktur. "Der Rückgang im Automobilgeschäft war so nicht vorhersehbar", sagt Rosenfeld und ist froh, entgegen dem Rat von Experten das Industriegeschäft nicht verkauft zu haben.

Rosenfeld genießt ungeachtet aller Probleme das Vertrauen von Georg Schaeffler, 54, und seiner Mutter Maria-Elisabeth, 77, denen drei Viertel der Anteile und sämtliche stimmberechtigten Aktien gehören. Erst im Herbst 2018 verlängerte der Aufsichtsrat Rosenfelds Vertrag um fünf Jahre. Seit 2013 Vorstandschef, baut der ehemalige Banker Schaeffler eifrig um. Er hat den ehedem zentralistisch von Herzogenaurach aus gesteuerten Konzern dezentralisiert; die drei Sparten Automotive, Industrie und Aftermarket agieren von Bühl, Schweinfurt und Langen aus autonomer denn je. Jeder der weltweit 150 Standorte wurde einer Sparte zugeordnet.

Im Konzernvorstand sitzt niemand mehr, der bereits unter Rosenfelds Vorgänger Jürgen Geißinger dort Dienst tat. Personal-Chefin Corinna Schittenhelm wird dafür gelobt, klare Strukturen im Personalbereich geschaffen und eine neue Managementkultur auf den Weg gebracht zu haben. Mehr unternehmerisches Denken, Eigenverantwortung und -initiative fordert Rosenfeld von Führungskräften auf allen Ebenen. "Wir brauchen einen neuen Kampfgeist, und den kriegt man mit ein bisschen Roadshow und Training allein nicht hin. Unsere Leute müssen das verinnerlichen."

Rückhalt genießt der Vorstandschef auch bei Arbeitnehmern. Jürgen Wechsler, Aufsichtsratsvize und bis vor Kurzem bayerischer IG-Metall-Chef, lobt die "gute Mitbestimmungskultur". Auch die Strategie, Schaeffler konsequent auf E-Mobilität auszurichten, sei richtig. Genauso wie 2018 der Kauf von Paravan und Elmotec Statomat, zwei Spezialfirmen im Bereich elektronische Steuerungen und Wickeltechnologie für Elektromotoren. Anfang April verkündete Schaeffler zudem eine Kooperation mit Mitsubishi Electric. "Das geht alles in die richtige Richtung", sagt Wechsler.

Doch als Rosenfeld im Zuge von Race den Abbau von 700 Stellen in Deutschland ankündigte und die Werke in Kaltennordheim, Unna, Hamm und Steinhagen in Frage stellte, wo vor allem Produkte hergestellt werden, die für E-Autos nicht mehr nötig sind, sahen sich IG Metall und Betriebsrat umgehend zu einer Warnung veranlasst. Sie drohten mit Widerstand, sollten betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen oder Standorte geschlossen werden. "Strategische Veränderungen müssen sein, aber sie dürfen nicht mit der Brechstange durchgezogen werden", sagt Wechsler. Norbert Lenhard, Gesamt- und Konzernbetriebsratschef bei Schaeffler, fordert, "alles daranzusetzen, die Mitarbeiter für andere Verwendungen zu qualifizieren. Die Firma hat dafür genug Geld, sie steht definitiv nicht mit dem Rücken zur Wand".

Erst im April 2018 haben Arbeitnehmervertreter und Vorstand eine sogenannte "Zukunftsvereinbarung" beschlossen, die betriebsbedingte Kündigungen und Standortschließungen ausschließt. Rosenfeld bekennt sich auf Nachfrage dazu, verspricht aber lediglich, "alle Möglichkeiten auszuschöpfen", damit es zu solchen Sparmaßnahmen nicht komme. Race könnte also zur ersten Belastungsprobe werden.

© SZ vom 23.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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