An großen Bekenntnissen ließ es der Gastgeber nicht fehlen: "Die Internetfreiheit zu reduzieren, ist Diktatur", verkündete Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy zum Auftakt des eG8-Forums, und proklamierte: "Eine nationale Regelung im Internet macht keinen Sinn."
Dass das Netz keine nationalen Grenzen kennt, war dem ein oder anderen Internetnutzer durchaus vorher bekannt. Weil die Mächtigen der virtuellen Welt im Silicon Valley und nicht im Élysée-Palast sitzen, hat Sarkozy deshalb im Vorfeld des G-8-Gipfels die führenden Köpfe der IT-Branche zum eG8-Forum nach Paris bestellt.
Ob Facebook-Jungmilliardär Mark Zuckerberg, Googles Elder Statesman Eric Schmidt, Groupon-Aufsteiger Andrew Mason, NewsCorp-Verlagsantiquität Rupert Murdoch oder Ebay-Boss John Donahoe - sie alle sind angereist, um über die Zukunft des Internets zu diskutieren. Die Ergebnisse sollen dann auf dem Treffen der G-8-Staatschef besprochen werden.
Wie diese aussehen, hat allerdings bereits vor einigen Tagen Sarkzozys Internet-Beauftragter Jean-Michel Hubert vorgestellt. Dabei zeichnet sich ab, dass die Sarkozy'sche Vision des Internets vor allem ein altbekanntes Motiv der französischen Netzpolitik wieder aufgreift: Kontrolle.
Bereits 2009 nahm in Frankreich die HADOPI-Behörde (Haute Autorité pour la diffusion des œuvres et la protection des droits sur internet) ihre Arbeit auf: Sie verfolgt illegale Downloads, die bei ihr gemeldet werden und kann bei dreimaligem Verstoß sogar den Internet-Anschluss eines Filesharers kappen ( three strikes), soweit ein Gericht dem zustimmt. Das entsprechende Gesetz kam auf großen Druck der französischen Musik- und Filmindustrie zustande.
Ein zivilisiertes Internet
Ein auf diese Art und Weise "zivilisiertes Internet", so das Motto des Gipfeltreffens, schwebt Sarkozy auch international vor und könnte nun nach der Befürchtung von Kritikern weltweit zum Standard werden. Mittelfristig würden die mächtigsten Länder der Welt zentralisierte Kontrollinstanzen schaffen, die selbst jeglicher Kontrolle entzogen sind. "Die Welt, die Sie repräsentieren, ist kein Paralleluniversum, in dem legale und moralische Regeln und die Prinzipien, die eine demokratische Gesellschaft leiten, keine Anwendung finden", machte Sarkozy schon einmal den Gipfel-Teilnehmern bei seiner Auftaktrede klar.
Ein Beispiel für das steigende Interesse an gesetzlicher Netz-Regulierung lieferte vor einigen Tagen erneut Frankreich: Ein neuer Gesetzentwurf der Konservativen könnte bald auch Hackern unter dem HADOPI-Gesetz bis zu zwei Jahren der Netzzugang entzogen werden. Als Anlass gelten hier Cyberattacken, wie sie beispielsweise das lose Hacker-Kollektiv Anonymous durchführt.
Jenseits von der Frage nach der Praktikablität ist Misstrauen bei Online-Bürgerrechtlern ob solcher Ideen groß: Der bekannte Blogger Cory Doctorow lehnte beispielsweise bereits im Vorfeld ab, nach Paris zu reisen, andere bezeichnen die Veranstaltung als "Alibi-Gipfel".
Der US-Medienblogger Jeff Jarvis wird da schon konkreter. Er fordert einen "hippokratischen Eid für das Internet", diesem vor allem keinen Schaden zuzufügen. Weder der Politik, noch Unternehmen könnte beim Schutz des Internet getraut werden, schreibt er und folgert: "Wir müssen uns klar sein, dass das Internet die Dinge komplett verändert. Deshalb haben Institutionen mit vererbter Macht Angst davor, wollen es regulieren und limitieren und verwenden dabei bequeme Masken wie Privatsphäre, Sicherheit, Zivilisiertheit ... und deshalb mache ich mir Sorgen, wenn diese Institutionen eine Sitzung einberufen, um die Betreiber des Wandels zu regulieren."
In eine ähnliche Kerbe schlug auch Google-Chef Eric Schmidt bei seiner Rede in Paris: "Die Technik wird sich immer schneller als Regierungen bewegen, also führt keine neuen Gesetze ein, solange ihr die Konsequenzen nicht versteht", sagte er.
Nun haben jedoch auch die meist amerikanischen Internet-Konzerne eine eigene Agenda, die bei Bürgerrechtlern ebenso umstritten ist: Als Google im vergangenen Jahr vorpreschte und gemeinsam mit dem US-Telekomanbieter Verizon einen Vorschlag zur Netzneutralität machte, der diese bei Mobilverbindungen praktisch außer Kraft setzte, zeigte sich das Unternehmen weit weniger der Online-Freiheit verpflichtet als es stets suggeriert.
Die Werte der Mächtigen
Und auch Sarkozys Aussage in der Eröffnungsrede, dass die Internet-Revolution nicht "das Grundrecht des Einzelnen auf sein Privatleben einschränken" dürfe, dürfte auf Sammlung und Vermarktung personenbezogener Daten fixierten Unternehmen wie Google, Facebook und Co. kaum in die Firmenpolitik passen - sie fürchten, auf EU-Ebene durch starke Datenschutzauflagen wichtige Einnahmen zu verlieren.
Seine Idee des Internets, sagte Sarkozy auf Jarvis' Nachfrage, gehe weiter als die Kein-Schaden-Forderung des Medienbloggers: Der "achte Kontinent" sollte auch von bestimmten Werten geprägt sein, forderte er - und es sei "ein Widerspruch, Regierungen von diesem immensen Forum fernzuhalten."
Damit ist auch schon das Problem des eG8-Forums benannt: Ein Treffen, bei dem trotz einzelner anwesender Blogger kaum zivilgesellschaftliche Stimmen zu Wort kommen, um an der Definition dieser Werte mitzuarbeiten, wird von den meisten Internetnutzern kaum als legitimes Forum akzeptiert werden.