Russische Rezession:Deutsche Firmen hoffen auf Russland-Wende

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Zwei Jahre nach den ersten Sanktionen kommt Russland nicht aus der Krise. Die deutsche Industrie hofft auf ein Ende des Streits. Ob das gelingt, hängt nicht allein von der Politik ab.

Von Jan Willmroth und Christoph Giesen, München

Siemens und Russland, das ist eine lange und wechselvolle Geschichte. Gerade einmal fünf Jahre war das Unternehmen des Werner Siemens alt, als 1852 der erste große Auftrag aus dem Russischen Kaiserreich hereinkam: der Bau des Staatstelegrafennetzes. 1855 gründete Siemens deshalb seine erste Niederlassung. Die Leitung übernahm Carl Siemens, der jüngere Bruder des Firmengründers. Noch bis vor wenigen Jahren setzte Siemens in Russland Milliarden um, jetzt aber ist Krise, das Geschäft ist eingebrochen. Deshalb reist Siemens-Chef Joe Kaeser an diesem Donnerstag wieder persönlich zum Wirtschaftsforum nach Sankt Petersburg.

Er besucht ein von der Wirtschaftskrise gezeichnetes Land. Ein Land, das unter den niedrigen Öl- und Gaspreisen leidet, in dem sich die Preise für Lebensmittel in den vergangenen Jahren teils verdoppelt haben und in dem Unternehmen kaum noch investieren. Um 3,7 Prozent ist die russische Wirtschaft im vergangenen Jahr geschrumpft, mehr als 20 Millionen Menschen leben heute unter dem Existenzminimum. Mehr als jeder siebte Bewohner des Landes hat noch nicht einmal genug Geld für das Nötigste übrig. Der Außenhandel mit allen wichtigen Handelspartnern ist in der Krise dramatisch eingebrochen.

Auch für das laufende Jahr lassen die Prognosen nichts Gutes erahnen. Der Internationale Währungsfonds sagt voraus, die Wirtschaft Russlands werde 2016 wieder schrumpfen, um eineinhalb Prozent. Erst 2017 könnte der Tiefpunkt überwunden sein - wenn sich die Ölpreise stabilisieren.

Und die Sanktionen? Seit etwa zwei Jahren haben die Europäische Union und die USA das Land mit Wirtschaftssanktionen belegt, zunächst nur gegen einzelne Personen, später bis hin zu einem Verbot für westliche Banken, Kredite in Russland zu vergeben. Ende Juli laufen sie aus, bis dahin wird die EU über eine Verlängerung entscheiden. Dass auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nach Petersburg reist, lässt manches europäische Unternehmen auf Entspannung hoffen. Deutsche Wirtschaftsvertreter mit Geschäftsinteressen in Russland sind - anders als 2015 - zahlreich vertreten, neben Kaeser auch Uniper-Chef Klaus Schäfer und der Vorstandsvorsitzende des Gase-Spezialisten Linde, Wolfgang Büchele.

Als Vorsitzender des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft macht sich Büchele schon länger für eine schrittweise Lockerung der Sanktionen stark. "Die Sanktionen belasten seit zwei Jahren die wirtschaftliche Entwicklung in ganz Osteuropa und trüben die konjunkturellen Aussichten in der ganzen Region", befand er vorige Woche. Die wirtschaftlichen Einbußen durch die Sanktionen schätzt der Ost-Ausschuss auf "einen dreistelligen Milliardenbetrag". Genau beziffern lässt sich der Schaden nicht, dazu sind die gleichzeitigen Auswirkungen der gefallenen Ölpreise, des schwachen Rubel-Kurses und der Sanktionen zu komplex.

Wohl aber lassen sich die volkswirtschaftlichen Folgen auf beiden Seiten abschätzen. "Für den Euro-Raum sind die Effekte der Sanktionen nahezu unbedeutend", sagt Konstantin Kholodilin, Russland-Experte am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. "In Russland aber wirken sie sich deutlich negativ auf die Wirtschaftsleistung aus." Die wirtschaftliche Misere in Russland hat sich durch sie also noch einmal verschärft, zeigt eine aktuelle DIW-Studie, die Euro-Zone verkraftet die Sanktionen locker.

Der Kurs der russischen Währung hängt stark von den Öl- und Gaspreisen ab

Auch als Handelspartner Deutschlands ist Russland nicht entscheidend, einzelne Firmen und Branchen aber haben mit deutlichen Einbußen zu kämpfen. "In einigen Sektoren war der Einbruch ziemlich stark, das kann aber nicht überwiegend an den Sanktionen liegen", sagt Kholodilin. Viel problematischer seien der durch die niedrigen Energiepreise bedingte Verfall des Rubels und die damit erheblich gesunkene Kaufkraft russischer Unternehmen.

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(Foto: fg)

SZ-Grafik; Quellen: Destatis, Deutsch Russische AHK, Föderaler Statistikdienst Moskau, Zentralbank RF, Reuters

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(Foto: fg)

SZ-Grafik; Quellen: Destatis, Deutsch Russische AHK, Föderaler Statistikdienst Moskau, Zentralbank RF, Reuters

In den ersten drei Monaten des Jahres entfielen nur noch etwa 1,6 Prozent der deutschen Exporte auf Russland, zeigen Daten des Statistischen Bundesamts. Das Land ist auf den 16. Platz der wichtigsten deutschen Exportmärkte abgerutscht, noch knapp hinter Ungarn. Das war einmal anders, Russland auf Platz elf, ein Wachstumsmarkt, 3,3 Prozent der deutschen Ausfuhren gingen 2013 noch in die russische Föderation, mit zuvor steigender Tendenz.

Den Einbruch des Handels- und Investitionsvolumens spüren Firmen wie Siemens inzwischen deutlich. Zur Zeit vor den Sanktionen, im Geschäftsjahr 2012/13, lag der Siemens-Umsatz im Russland-Geschäft noch bei 2,1 Milliarden Euro. Seitdem spürt der Konzern die Folgen der Rezession deutlich. 2014 ging der Umsatz auf 1,8 Milliarden Euro zurück. Für 2015 konnten die Buchhalter des Konzerns nur noch 1,3 Milliarden Euro in die Bilanz schreiben. Wie es aktuell aussieht, verrät Siemens nicht, sehr erfreulich aber dürfte es nicht sein. Es bleibt fraglich, ob eine Lockerung der Sanktionen daran etwas ändern würde. Denn mehr als auf die Politik kommt es für die meisten ausländischen Firmen auf das Niveau der Ölpreise an.

© SZ vom 16.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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