Rund um den Globus:Angst vor der Weltherrschaft der Konzerne

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Vor drei Jahren endete ein ehrgeiziges Projekt - die Geschichte des Multilateralen Investitionsabkommens.

Martin Hesse

(SZ vom 17.10.2001) Am 20. Oktober 1998 war der bislang ehrgeizigste Anlauf zur Globalisierung beendet: das Multilaterale Abkommen über Investitionen (MAI).

Nach zähen Verhandlungen war es endgültig gescheitert. Seine Befürworter betrauerten die verpasste Chance auf bessere Investitionsbedingungen in aller Welt.

Globalisierungskritiker feierten den Abbruch der Verhandlungen als einen ihrer größten Erfolge. Dabei waren es letztlich Bedenken einiger Industriestaaten, die das von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erdachte Regelwerk zu Fall brachten - weil das MAI das Primat der Politik über die Wirtschaft in Frage stellte und an der Souveränität der Staaten kratzte.

Die kurze Geschichte des MAI begann Mitte der Neunziger. Die Globalisierung des Handels war mit dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) und der Welthandelsorganisation (WTO) bereits weit vorangeschritten. Für Investitionen gab es derartige multilaterale Vereinbarungen jedoch nicht.

Um die Lücke zu schließen, nahmen die führenden Industrienationen im Rahmen der OECD 1995 Verhandlungen über ein neues Abkommen auf: eine Art GATT für Investitionen, formulierte der damalige Wirtschaftsminister Günter Rexrodt.

Das geplante Regelwerk sollte die Märkte weltweit für ausländische Investoren öffnen und diese vor Enteignung und diskriminierender staatlicher Reglementierung schützen. Doch kaum gelangte ein erster Entwurf für ein solches Abkommen im Februar 1997 an die Öffentlichkeit, trat eine breite Allianz von Kritikern auf den Plan. Gewerkschaften, soziale Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) liefen Sturm gegen ein Abkommen, das in ihren Augen einer "Deklaration weltweiter Konzernherrschaft" gleichkommen würde, wie es der kanadische Globalisierungskritiker Tony Clarke vom Polaris Institute ausdrückte.

Das MAI stehe im Widerspruch zum deutschen Grundgesetz, sagte Clark, denn es heißt: Eigentum verpflichtet. Das MAI jedoch stelle dieses Prinzip geradezu auf den Kopf, fand Clarke. Verpflichtungen würden praktisch ausschließlich den Staaten aufgeladen, die Konzerne von sozialer Verantwortung frei gesprochen.

Politik in der Defensive

Tatsächlich räumte das MAI ausländischen Investoren umfangreiche Rechte ein. Meistbegünstigungsklausel und Inländerbehandlung, die auch den Kern der WTO-Vereinbarungen bilden, stellten ausländische Investoren Inländern weitgehend gleich. Anders als viele bilaterale Investitionsabkommen wollte das MAI Ausländern bereits beim Marktzugang gleiche Rechte wie Inländern einräumen.

Dies hätte Regierungen der Möglichkeit beraubt, bestimmte Wirtschaftsbereiche vor dem internationalen Wettbewerb zu schützen. Eine Meistbegünstigungsklausel für ausländische Investoren hätte es zudem erschwert, wirkungsvolle wirtschaftliche Sanktionen - etwa wegen Menschenrechtsverletzungen oder Terrorismus - gegen ein anderes Land zu verhängen.

Wesentliches Anliegen des MAI war es, ausländische Investoren vor Enteignung zu schützen. Der Begriff der Enteignung war aber so weit gefasst, dass betroffene Investoren selbst dann Schadenersatzforderungen gegen Staaten hätten erheben können, wenn sie etwa aufgrund von Umweltschäden Fabriken hätten schließen müssen.

Auch die Möglichkeiten von Staaten, Investitionen an Auflagen zu binden, sollten durch das MAI stark eingeschränkt werden. Michelle Sforza von der Nichtregierungsorganisation Public Citizen's Global Trade Watch kritisierte, gerade Entwicklungsländer verlören dadurch politische Instrumente. Auch Peter Wahl von der Organisation Weed fordert, Investitionen in Entwicklungsländer müssten mit Auflagen verbunden werden - etwa einen Technologietransfer vorschreiben, die Ausbildung einheimischer Fachkräfte oder die Einbeziehung lokaler Zulieferer.

Umweltschützer und Gewerkschaften fürchteten außerdem, der ungehinderte Marktzugang ausländischer Investoren könnte zu einer Abwärtsspirale bei Standards für Umwelt, Arbeitsrecht und Sozialem führen. Diese Bedenken fanden auch in der OECD und ihren Mitgliedstaaten Gehör.

In Deutschland machte sich zwar die CDU/FDP-Regierung für das Abkommen stark, sie wollte aber auch dem Wunsch der Gewerkschaften nachkommen, bestimmte Sozialstandards einzufordern. Die zum Zeitpunkt des Verhandlungsabbruchs neue rot-grüne Bundesregierung hält noch heute ein multilaterales Investitionsabkommen für sinnvoll.

Um Investitionen in Entwicklungsländern zu fördern, sei ein verlässlicher Rahmen nötig, heißt es im Wirtschaftsministerium. Zum MAI bezog Rot-Grün jedoch eine kritische Haltung. Im Koalitionsvertrag hieß es: "Internationale Wirtschaftsregime, wie die WTO oder das Multilaterale Investitionsabkommen, müssen nach ökologischen und sozialen Kriterien neu gestaltet werden."

Doch die neue Regierung musste sich mit dem Vertragswerk nicht länger befassen. Schon im April 1998 setzte Frankreich eine sechsmonatige Verschiebung der MAI-Verhandlungen durch. Paris wollte den Kulturbetrieb vom MAI ausnehmen. Das hätte dem Abkommen aus Sicht der Amerikaner, zu deren größten Exportbranchen die Medienindustrie zählt, einiges von seinem Reiz genommen. Die USA ihrerseits wollten sich durch das MAI nicht ihrer Sanktionsmöglichkeiten berauben lassen. Schließlich starb das Abkommen am 20. Oktober.

Comeback in der WTO

Mit dem Scheitern des MAI ist jedoch das Thema grenzüberschreitender Investitionen nicht vom Tisch. Zwar wird innerhalb der OECD derzeit nicht mehr über ein Investitionsabkommen diskutiert, doch hat sich die Zahl der bilateralen Investitionsvereinbarungen in den neunziger Jahren vervierfacht. Regionale Verträge gibt es im Rahmen der Europäischen Union und der Nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA. Zudem hat sich die WTO der Problematik angenommen.

In den Verhandlungen über eine Liberalisierung grenzüberschreitender Dienstleistungen (GATS) tauchen Fragen wieder auf, die schon mit dem MAI beantwortet werden sollten. Banken, die im Ausland Dienstleistungen erbringen und Niederlassungen errichten, suchen ebenfalls Schutz gegen Enteignung und diskriminierende Regulierung.

Auch Dienstleistungen in den Bereichen Gesundheit und Bildung erfordern Investitionen im Ausland. Zudem taucht die Frage auf, wie der Einsatz ausländischen Personals im Dienstleistungsabkommen geregelt wird. Noch ist offen, was auf der Agenda der nächsten WTO-Runde in Katar steht. Doch der Globalisierungskritiker Wahl ist sicher, dass das Thema transnationale Investitionen erneut in der Öffentlichkeit diskutiert werden wird: "Dafür werden wir schon sorgen."

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