Riskante Privatisierung:Die Bahn auf Irrfahrt

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Geheime Zahlenkolonnen aus einem Regierungs-Gutachten belegen, wie risikoreich ein Börsengang des Staatsbetriebs wäre.

Von Klaus Ott

Um ihre Züge besser auszulasten, lässt sich die Deutsche Bahn (DB) einiges einfallen.

Der ICE braucht dringend mehr Fahrgäste, sonst stimmt die Kalkulation für eine Privatisierung der Bahn nicht mehr. Foto: dpa (Foto: N/A)

Im Juli bietet der Schienenkonzern preisgünstige Kurzurlaube in 14 Städten an. Die Reise und eine Übernachtung kosten lediglich 99 Euro, ganz egal, wie weit die Kunden unterwegs sind.

Vielleicht steigen dann mehr Leute in den ICE ein, der dringend neue Fahrgäste braucht.

Der Unternehmensbereich Fernverkehr will nach einem Verlust von 460 Millionen Euro im vergangenen Jahr endlich wieder profitabel werden.

Es müssen mehr Menschen ICE fahren

Auch für den von Vorstandschef Hartmut Mehdorn geplanten Börsengang des Staatsbetriebs wäre es hilfreich, die Umsätze im ICE zu steigern. In den nächsten fünf Jahren soll die Auslastung der Fernzüge von 40 auf 50 Prozent steigen.

Wird dieses Ziel nur um zwei Prozent verfehlt und mangelt es noch an ein paar Kunden beim Nahverkehr, dann sinkt der für 2008 prognostizierte Gewinn in Höhe von 1,9 Milliarden Euro gleich um 12,1 Prozent.

So steht es in einem Gutachten der Investmentbank Morgan Stanley, die im Auftrag der Bundesregierung die Chancen für eine rasche Teil-Privatisierung der Bahn untersuchte.

Profite könnten um bis zu 90 Prozent schmelzen

Eine Kurzfassung der Studie präsentierte Verkehrsminister Manfred Stolpe kürzlich der Presse und dem Parlament. Ein Börsengang der Bahn vor der nächsten Bundestagswahl im Herbst 2006 sei schwierig, aber nicht aussichtslos, lautete der Tenor.

Wie heikel dieses Vorhaben ist, ergibt sich erst aus der 500-seitigen Langfassung. Dort haben die Investmentbanker beispielsweise zahlreiche "Sensitivitäten" bei den kalkulierten Profiten aufgelistet.

Die könnten in den nächsten Jahren im schlimmsten Fall um bis zu 90 Prozent dahinschmelzen, sollten diverse Unternehmensziele nicht erreichbar sein und die erhofften Hilfen der Politik ausbleiben.

Mehdorn versucht immer noch, Mehrkosten in Höhe von 2,1 Milliarden Euro bei neuen ICE-Strecken und dem futuristischen Hauptstadtbahnhof in Berlin auf den Bund abzuwälzen.

Klappt das nicht, dann fehlen 2008 mal eben 11,4 Prozent des erwarteten Gewinns.

"Es geht ums Geld der Steuerzahler"

Die aufschlussreichen Zahlenkolonnen sollten nicht in die Öffentlichkeit gelangen. Die Bundestagsabgeordneten durften in der Geheimschutzstelle des Parlaments zwar drei Aktenordner studieren, sich aber nichts notieren und erst recht keine Kopien anfertigen, zum Ärger der Opposition.

"Hier geht es um das Geld des Steuerzahlers", der die Eisenbahn jährlich mit zehn Milliarden Euro für das Schienennetz und den Nahverkehr unterstütze, sagt der CDU-Abgeordnete Dirk Fischer. "Die Risiken müssen offen auf den Tisch, damit das Parlament in Kenntnis aller Fakten entscheiden kann".

Einen raschen Börsengang der Bahn lehnen die Volksvertreter ohnehin ab. Nach dem Verkehrsausschuss wollte auch das Plenum des Bundestags beschließen, dass der Staatsbetrieb DB mehrere Jahre lang Überschüsse ausweisen müsse, bevor an den Verkauf von Aktien zu denken sei.

Option: Börsengang ohne Schienennetz

Bis 2003 war der Konzern noch defizitär. "Von den Voraussetzungen für einen Börsengang sind wir Lichtjahre entfernt", sagt Albert Schmidt von Bündnis 90/Die Grünen.

Das Parlament verlangt zudem noch eine Expertise, ob die DB auch ohne Schienennetz an die Börse gebracht werden könne.

Ein Abtrennung des Netzes möchte Mehdorn aber verhindern. Die Sparte Fahrweg soll laut Morgan Stanley ab 2006 immerhin rund 20 Prozent zum Konzerngewinn beitragen. Das wäre wohl nur mit hohen Subventionen möglich.

Der Bundestag fordert indes, eine "dauerhafte Rentabilität der DB AG" dürfte nicht auf Bundesmitteln für den Ausbau des Schienennetzes beruhen. Trotzdem hat es die Regierung eilig. Sie sucht jetzt EU-weit nach Beratern für den Börsengang.

© SZ vom 18. Juni 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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