Richterin folgt Anklage:Chodorkowskij muss mit Verurteilung rechnen

Lesezeit: 2 min

Im umstrittenen Yukos-Prozess hat die Richterin mit der Verlesung des Urteils zunächst begonnen, die Sitzung dann aber unterbrochen. Sie wiederholte wortwörtlich den Antrag der Staatsanwaltschaft, sogar mit den gleichen arithmetischen Fehlern. Chodorkowskijs Anwalt bewertete dies als schlechtes Zeichen.

Von Daniel Brössler

Im Moskauer Yukos-Prozess muss der frühere Chef des russischen Ölkonzerns, Michail Chodorkowskij, mit einem Schuldspruch rechnen. Die Richterin Irina Kolesnikowa begann am Montag mit der Verlesung des Urteils, unterbrach sie aber nach wenigen Stunden und vertagte die Sitzung auf den heutigen Dienstag.

Bei der Urteilsverlesung "wiederholte sie wortwörtlich den Antrag der Staatsanwaltschaft, sogar mit den gleichen arithmetischen Fehlern. Das ist kein gutes Zeichen", sagte Chodorkowskijs Anwalt Anton Drel der Süddeutschen Zeitung.

Er widersprach aber der Darstellung, das Gericht habe in mehreren Punkten die Schuld Chodorkowskijs und seines mitangeklagten Partners Platon Lebedew bereits eindeutig festgestellt. "Ob er schuldig gesprochen wird oder nicht, hören wir am Ende des Urteils", sagte er.

Strafmaß am Ende der Urteilsverlesung

Dessen Verlesung könnte mehrere Tage beanspruchen. Der Staatsanwalt hatte für Chodorkowskij und Lebedew jeweils zehn Jahre Haft beantragt. Das Strafmaß wird erst am Ende der Urteilsverlesung verkündet.

Prozessbeobachter werteten den Verlauf der Urteilsverlesung bereits als faktischen Schuldspruch in mehreren Punkten. Die Richterin verlas sechs der elf Klagepunkte und machte sich so offenbar unter anderem den Vorwurf der Steuerhinterziehung und des Betrugs zu eigen.

Der einst reichste Mann Russlands war 2003 verhaftet worden, sein Yukos-Konzern wurde seitdem in erheblichem Umfang zerschlagen. Chodorkowskij hatte sich vor seiner Verhaftung als Gegner von Präsident Wladimir Putin profiliert. Darin wird einer der Hintergründe des Verfahrens vermutet.

In seinem Schlusswort, in dem er noch einmal seine Unschuld beteuert hatte, hatte er sich als Opfer habgieriger Bürokraten dargestellt. Die Staatsanwaltschaft hat kürzlich weitere Vorwürfe gegen Chodorkowskij erhoben und ein weiteres Verfahren angekündigt.

Demonstration vor Gericht

Während der Urteilsverlesung demonstrierten etwa 400 Menschen friedlich vor dem Gericht. Die Teilnehmer, zumeist Anhänger liberaler Parteien, forderten "Freiheit für Chodorkowskij" und "Nieder mit der Macht der Geheimdienstler". Präsident Putin war zu sowjetischen Zeiten KGB-Agent gewesen.

Gegen Ende der Kundgebung nahm die Polizei mehrere Teilnehmer fest. Dabei sei auch Gewalt angewendet worden, teilten die Veranstalter mit. "Am helllichten Tage sind hier friedliche Bürger angegriffen worden", sagte der langjährige Schach-Weltmeister Garri Kasparow. Er ist Vorsitzender des "Komitees 2008", das sich für einen demokratischen Wandel in Russland einsetzt.

Auf Einladung der Anwälte wohnte der deutsche Europa-Abgeordnete Milan Horacek dem Beginn der Urteilsverlesung bei. Er sei "schockiert" von den entwürdigenden Bedingungen für die Angeklagten gewesen, sagte der Grünen-Politiker der Süddeutschen Zeitung. Wie in Russland üblich, nahmen Chodorkowskij und Lebedew in einem Käfig an dem Verfahren teil. Das Europaparlament werde sich weiter mit dem Fall Chodorkowskij befassen, sagte Horacek.

© SZ vom 17.05.05 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: