Rhode Island:Versicherungskonzern übt sich in kreativer Zerstörung

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Anstatt auf Statistiken und Risikoberechnungen setzt FM Global lieber auf vorbeugende Schadensverhütung: Mitarbeiter testen Materialien auf ihr "Verhalten in Extremsituationen", indem sie alles verbrennen und zertrümmern, was ihnen in die Finger kommt.

Von Walter Pfaeffle

Eine dumpfe Detonation durchbricht die ländliche Stille. Aus dem kleinen Betonbunker schießt ein in weißem Qualm gehüllter Feuerball hervor.

Mit verschiedenstem Werkzeug rücken die Mitarbeiter von FM Global zu Leibe — meist mit Feuerzeug oder Hammer. (Foto: Foto: AP)

Die Szene spielt sich auf dem knapp 540 Hektar großen neuen Testgelände des Versicherungskonzerns FM Global in West Glocester im US-Bundesstaat Rhode Island.

In einem Betonbunker haben Ingenieure eine kleinen Menge Plastikstaub angezündet und damit die Explosion ausgelöst. "Bei bestimmten Konditionen kann ein hauchdünner Staubbelag ungeheuren Schaden anrichten", erklärt Forschungsleiter Dennis Waters und nennt als Beispiel eine Textilfabrik in Neuengland.

Keine typische Versicherungsgesellschaft

Sie ging im vergangenen Jahr in Flammen auf, weil die Firma bei der Reinigung der Maschinen sparte. Eine dünne Schicht von Baumwollfusseln verursachte letztendlich den Großbrand.

Von einer typischen Versicherungsgesellschaft kann bei FM Global nicht die Rede sein. Kein einziger Versicherungsstatistiker steht bei dieser Firma auf der Gehaltsliste. Stattdessen investiert die Versicherungsgesellschaft in Mitarbeiter, die sich mit vorbeugender Schadensverhütung befassen und neue Industriestandards entwickeln.

Sie untersuchen zum Beispiel, wie sich Baumaterialien, Elektroanlagen und Feuerlöschausrüstungen im Katastrophenfall verhalten. Seit mehr als 40 Jahren führen die Wissenschaftler und Ingenieure des Unternehmens Versuche unter realen Bedingungen durch.

Geforscht wird in den unterschiedlichsten Bereichen - von Wasserlöschanlagen bis hin zu Explosionsauswirkungen - alles mit dem Ziel, Kunden vor Schäden zu bewahren.

So haben Waters und sein Kollege Tom Lawson gerade erst Klärschlamm der Stadtverwaltung angesteckt, hohe Stapel von Toilettenpapier und hunderte mit Teddybären gefüllte Kartons in Brand gesetzt. "Meine Aufgabe besteht darin, alles kaputt zu machen, was man mir gibt", sagt Waters.

Ein großer Kunde von FM Global ist etwa der weltweit führende Papierhersteller International Paper (IP). Vor etwa 20 Jahren hatte die Papierbranche durch unerklärliche Brände in Warenhäusern verheerende Verluste erlitten.

"Wir haben damals mehrere Gebäude verloren und ohne die von FM Global erstellten wissenschaftlichen Analysen wüssten wir heute noch nicht, was die Brandursachen waren", bestätigt Rodney Marchand, Risikomanager bei IP.

Kürzlich haben Ingenieure der Firma Underwriters Laboratories im Testzentrum des Versicherers eine knapp sechs Meter breite Replik eines Teils des Fußbodens im World Trade Center angezündet. Man wollte herausfinden, ob ein mögliches Schmelzen des Fußbodenbelags zum Kollaps der Türme beigetragen hatte.

Neue Baumaterialien werden getestet

Es stellte sich heraus, dass die durch den Brand verursachten Gase die von den Sprinklern ausgestoßenen Wasserfontänen zurückgedrängt hatten und so das Löschen verhinderten. Inzwischen prüfen die Ingenieure von FM Global jedes Jahr routinemäßig die Sprinkleranlagen ihrer Kunden.

Die "Brandstifter" von FM Global haben viel zu tun. Fast täglich kommen neue Baumaterialien auf den Markt. Das Geschäft wird zusätzlich durch die Angst vor Terrorangriffen angefacht.

Kürzlich haben Ingenieure der Firma Underwriters Laboratories im Testzentrum des Versicherers eine knapp sechs Meter breite Replik eines Teils des Fußbodens im World Trade Center angezündet. Man wollte herausfinden, ob ein mögliches Schmelzen des Fußbodenbelags zum Kollaps der Türme beigetragen hatte.

Sturmschäden vermeidbar

Großschäden lassen sich auch bei Wirbelstürmen vermeiden oder zumindest stark reduzieren, versichern die Experten von FM Global.

In 70 Prozent aller Sachschadensereignisse seien menschliche Handlungen oder Unterlassungen die Ursache. Branchenschätzungen zufolge haben die jüngsten vier Hurrikane in Florida Schäden in Höhe von 25 Milliarden Dollar angerichtet.

"Wir glauben, dass das Vermeiden eines Schadens sinnvoller und billiger ist, als ihn zu beheben", meint der Vize-Präsident von FM Global, Ruud H. Bosman. Wie sich Sturmschäden vermeiden oder einschränken lassen, führt FM Global in einem dafür geschaffenen Testzentrum vor.

Mit "Gütesiegel" weniger für die Versicherung zahlen

Eine Kanone schießt eine drei Meter lange Holzlatte auf einen Fensterverschlag, der aus etwa einem Zentimeter dickem Holz gemacht ist. Die Stange schlägt glatt durch. Ein zweiter Versuch mit einem aus etwas dickerem Holz gefertigten Verschlag hält der Wucht des Aufschlags stand.

"Bei Hurrikanen entstehen hohe Schäden vor allem durch fliegende Objekte", erklärt Projektleiter Richard Ferron. FM Global arbeitet bei der Verbesserung der Bauvorschriften eng mit Lokalregierungen zusammen. Etliche Regierungsbezirke in Florida haben ihre Bauvorschriften aufgrund dieser Kooperation bereits verschärft.

Die Kunden der Versicherung nutzen das Test-Zentrum auch für die Zertifizierung ihrer Produkte. Der Anreiz dabei: Firmen, die ein entsprechendes Gütesiegel erwerben, müssen weniger Geld für die Rückversicherung ihrer Betriebsanlagen ausgeben.

Ingenieur Waters nennt als Beispiel einen Warenhauskonzern, der für einen Test 50000 Dollar investiert hat, dafür monatlich aber nun 300000 Dollar an Rückversicherungskosten spart.

© SZ vom 19.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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