Report:Stars, Spiele und Mittelfinger

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Die Amerikaner bauen wahnwitzige Paläste für Sportvereine, Olympische Spiele, Fußballturniere. Fast immer gibt es öffentliches Geld dafür. Das teuerste Stadion wird komplett privat finanziert.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Die Deutschen sind stolz auf ihre Fußballstadien, stolz auf die Arenen, die sie in den vergangenen Jahren gebaut haben: zum Beispiel die Fußballarena im Münchner Norden, in Fröttmaning, benannt nach einem großen Versicherer. 346 Millionen Euro hat sie gekostet, umgerechnet 373 Millionen Dollar. 75 000 Zuschauern bietet sie Platz. Vom Olympiastadion, der alten Arena, errichtet für die Spiele 1972, sind es nur rund zehn Kilometer mit dem Auto.

Aber was ist das schon verglichen mit jenem Stadion, das da gerade in Inglewood entsteht?

In diesem Stadtviertel von Los Angeles, unweit des Flughafens gelegen, bewohnt von gut 110 000 Menschen, wird das teuerste Sportstadion der Geschichte erbaut: 100 000 Menschen sollen dort mal Platz finden, 2,7 Milliarden Dollar wird es kosten - siebenmal so viel wie die Münchner Arena. Und auch hier ist das alte Olympiastadion nicht weit.

Gebaut wird das Stadion in Inglewood für zwei Footballvereine, die dort nach der Eröffnung in zweieinhalb Jahren ihre Heimspiele austragen werden: die Los Angeles Rams und die Los Angeles Chargers, die vor einem Jahr noch St. Louis Rams und San Diego Chargers hießen. Sie sind nach L.A. gezogen, weil sie dort auf noch mehr Zuschauer, mehr Werbeeinnahmen, mehr Geld hoffen. Auf das ganz große Geschäft. Die Arena im Hollywood Park von Inglewood entsteht also aus dem gleichen Grund, aus dem auch anderswo in den USA derzeit gigantische, immens teure und luxuriöse Stadien errichtet werden oder vor Kurzem eröffnet haben.

Noch gibt es auf der Baustelle in Inglewood außer Baggern, Kränen und einer halb fertigen Auffahrt zu einem Parkhaus nicht allzu viel zu sehen. Deshalb lohnt ein Besuch im Forum nebenan, einer vergleichsweise kleinen, überdachten Arena für 17 500 Zuschauer. Der Milliardär Dean Spanos erklärt dort, warum sein Football-Verein nun Los Angeles Chargers heißt, warum er also - des Geldes wegen - von San Diego nach L.A. zieht.

"Die Herzen in San Diego sind gebrochen, weil ein Milliardär den Hals nicht voll bekommt!"

Etwa 150 Leute sind gekommen, Spanos steht vor einer Leinwand mit dem Vereinslogo - es ist das dritte neue Logo innerhalb einer Woche, weil die Leute die ersten beiden Versuche lächerlich fanden und Bilder mit lustigen Sprüchen darunter via Facebook und Twitter um die Welt schickten. Spanos wird flankiert von leicht bekleideten Tänzerinnen. Er redet von den wunderbaren Gelegenheiten, die diese herrliche Metropole bietet. Alles ist "great", alles "amazing".

Da hält es Joseph McCrae nicht mehr aus. "Du hast uns verarscht!", brüllt er. Einsam steht McCrae auf der leeren Zuschauertribüne, er wirft ein Trikot zu Boden und hebt beide Mittelfinger. Die Fernsehsender zeigen in diesem Augenblick nur noch ihn, nicht mehr den Milliardär Spanos und die Tänzerinnen auf der Bühne. Doch dann kommen die Sicherheitskräfte und werfen den Störer raus. Später sagt McCrae: "Die Herzen der Menschen in San Diego sind gebrochen, weil ein Milliardär den Hals nicht voll bekommen kann!"

Spanos lächelt trotz des Zwischenfalls unverdrossen weiter und erläutert die finanziellen Details des Umzugs. Vereinsbesitzer in den USA müssen nicht so tun, als wäre Kommerzialisierung ein notwendiges Übel, um das Spektakel zu finanzieren. Es gibt Menschen, die legen ihre Stirn in Falten, wenn sie davon hören, dass Profisport als Sparte der Unterhaltungsindustrie vor allem ein Geschäft sei. Leute wie Spanos nicken bei dieser Feststellung begeistert: Er hat in den 1980er-Jahren insgesamt 70 Millionen Dollar für die Chargers bezahlt, mittlerweile sind sie laut dem amerikanischen Wirtschaftsmagazin Forbes 2,4 Milliarden Dollar wert. Einer bessere Rendite bekommt man fast nirgendwo.

Man muss sich den US-Sportmarkt vorstellen wie das Gesellschaftsspiel Monopoly mit leicht veränderten Regeln. Die Vereinsbesitzer verfügen über sehr viel Startkapital, sie sind bereits stinkreich - und bekommen dennoch sehr viel Geld hinterher geworfen, wenn sie von Feld zu Feld, von Stadt zu Stadt weiterziehen.

Spanos etwa fragte auf dem Feld "San Diego" - das auf dem Monopoly-Brett der mittelprächtigen Elisenstraße entspricht - nach, wie viel die Stadt San Diego an öffentlichen Geldern für ein neues Stadion bereitstellen würde. 350 Millionen Dollar lautete die Antwort, das empfand Spanos als unbefriedigend und zog weiter; er landete in Los Angeles. Die Stadt gilt im Football-Monopoly als die attraktivste Adresse; sie ist sozusagen die Schlossallee.

Insgesamt sind in den vergangenen 20 Jahren Football-Stadien im Wert von 15,3 Milliarden Dollar gebaut oder renoviert worden, und weil das Geld dafür irgendwoher kommen muss, haben die Steuerzahler 46 Prozent der Kosten übernommen. Vor vier Monaten ist in Minneapolis eine 1,1-Milliarden-Dollar-Arena eröffnet worden, in Atlanta wird für 1,5 Milliarden ein Stadion gebaut. Die Sportstätten in San Francisco, eröffnet vor drei Jahren, und Dallas, eröffnet vor acht Jahren, haben jeweils 1,2 Milliarden gekostet, das Stadion in New York 1,6 Milliarden Dollar.

Football ist noch immer der Lieblingssport in diesem Land, beim Endspiel zwischen den New England Patriots und den Atlanta Falcons am vergangenen Wochenende in Houston sahen mehr als 111 Millionen Amerikaner am TV-Schirm zu. Das Stadion in Houston ist gerade mal 14 Jahre alt, doch nur für dieses eine Spiel wurde es für 50 Millionen Dollar modernisiert. Bezahlt hat dies nicht die amerikanische Football-Liga NFL, sondern Harris County, der Bezirk von Houston.

Auch weil die Städte und Bezirke die Stadien in den vergangenen Jahren munter subventioniert haben, floriert das Geschäft mit dem Football: Die NFL erwartet, dass sich ihre Einnahmen in den kommenden zehn Jahren nahezu verdoppeln werden - auf 25 Milliarden Dollar. Eine Studie der Non-Profit-Organisation Brookings Institution vom September zeigt allerdings, dass sich keinerlei Zusammenhang nachweisen lässt zwischen einem prächtigen Sportpalast und dem Wirtschaftswachstum der jeweiligen Stadt. Die Prognosen der Football-Liga seien nicht realistisch, sagt Roger Noll, Wirtschaftsprofessor an der Stanford University und Autor des Buches "Sports, Jobs & Taxes". "Es profitieren wenige Menschen außerhalb der Städte", beklagt er und fordert: "Die Städte müssen aufhören mit diesen Zuschüssen."

Und das geschieht auch gerade: Die Einwohner von San Diego zum Beispiel haben es kürzlich abgelehnt, den Bau eines neuen Stadions mit Steuergeld zu unterstützen. Dennoch muss die Stadt, wenn auch widerwillig, weiterhin viel Geld für Football aufwenden; denn sie muss noch 50 Millionen Dollar für die alte Arena abstottern, in der die Chargers bisher spielten.

Woher soll das Geld für die prachtvollen Neubauten also künftig kommen, wenn die Städte sich nicht mehr beteiligen? Wie lassen sich die Arenen finanzieren, wenn direkt Zuschüsse entfallen?

Eine Antwort darauf findet man in der Spielerstadt Las Vergas im US-Bundesstaat Nevada. Wenn man vom Dean Martin Drive nach Osten blickt, sieht man zwei Casino-Hotels: die goldenen Türme des Mandalay Bay und die Pyramide des Luxor. Wer sich umdreht, der sieht ein karges Stück Land. Hier soll für 1,9 Milliarden Dollar ein Stadion für den Footballverein Raiders gebaut werden, der spätestens im Jahr 2020 aus dem kalifornischen Oakland umsiedeln möchte. Diese Arena soll nicht nur einen Sportverein beherbergen, sondern Schauplatz weiterer Spektakel sein. Eine gar nicht mal so abstruse Idee ist zum Beispiel eine Rennstrecke, die für Boxenstopps durch das Stadion führt.

"Es profitieren wenige Menschen außerhalb. Die Städte müssen aufhören mit diesen Zuschüssen."

"Wir haben eine Lösung gefunden, die keine Belastung für die Einwohner darstellt, sondern ihnen eine weitere Attraktion bietet", sagt Bürgermeisterin Carolyn Goodman. "In spätestens zehn Jahren werden wir einen Verein aus jeder bedeutenden Liga beheimaten." Der Plan: Der Besitzer der Raiders, Mark Davis, soll 500 Millionen Dollar bezahlen, der Casino-Mogul Sheldon Adelson 650 Millionen. Fehlen noch 750 Millionen Dollar. Diese Summe will die Bürgermeisterin über eine höhere Hotelsteuer eintreiben, die im November beschlossen worden ist. Nicht die Bürger, sondern die Besucher der Stadt zahlen also für die neue Arena: Wer vom 1. März an ein Hotelzimmer für 100 Dollar in Las Vegas bucht, muss 88 Cent zusätzlich entrichten.

Auf diese Weise wurde auch schon das fehlende Geld für die Arenen in San Francisco, Dallas und Indianapolis eingetrieben.

Die Bauherren im Hollywood Park von Inglewood kommen sogar ohne solch eine Hotelsteuer aus. Denn der Eigentümer der Rams, des zweiten Football-Klubs, der dort ein Zuhause finden wird, ist einer der begabtesten Monopoly-Spieler im Sport überhaupt: Stan Kroenke hat seine ersten Millionen mit Immobilien verdient und die ersten Milliarden durch seine Hochzeit mit der Walmart-Erbin Ann Walton. Nun investiert er in den Sport: Er ist Mehrheitseigner des englischen Fußballvereins FC Arsenal, über seine Familie ist er an den Denver Nuggets (Basketball), an Colorado Avalanche (Eishockey) und den Colorado Rapids (Fußball) beteiligt. Sein Privatvermögen wird auf knapp acht Milliarden Dollar geschätzt.

Kroenke, 69, baut nun in Los Angeles seinen Sportpalast ohne staatliche Zuschüsse. "Das ist der grandioseste Plan der Sportgeschichte", sagt Jerry Jones, Eigentümer der Dallas Cowboys: "Das wird die größte Schau der Welt." Der Komplex wird 2,7 Milliarden Dollar kosten, dazu gehören: das Stadion, ein 300-Zimmer-Hotel, eine 6000-Zuschauer-Halle für Konzerte und andere Veranstaltungen, 2500 Wohneinheiten, 800 000 Quadratmeter Bürofläche, Kino, Einkaufszentrum, Restaurants.

Die NFL hat bereits den Super Bowl im Jahr 2021 dorthin vergeben, künftig sollen die Oscar-Verleihung, ein bedeutsames Tennisturnier und Präsidentschaftsdebatten dort stattfinden - und natürlich Partien der Fußballweltmeisterschaft im Jahr 2026.

Die Amerikaner jedenfalls haben den kürzlichen Beschluss des Weltverbandes Fifa, die WM-Endrunde von 2026 an mit 48 Teilnehmern auszutragen, eher begeistert als besorgt aufgenommen. Je größer die Schau, desto spektakulärer die Bilder, desto höher die Einnahmen - so tickt dieses Land nun mal. Sie haben ihre Ambitionen als Gastgeber für diese erste Giga-WM erneuert und aufgrund von derzeit 104 Stadien mit Kapazitäten von mindestens 50 000 Zuschauern zur Diskussion um die notwendige Infrastruktur für ein derart monströses Turnier gesagt: "Keine Sorge, wird alles schon da sein!"

Die Rams haben durch ihren Umzug und den Bau des Stadions ihren Wert laut Forbes auf 2,9 Milliarden Dollar verdoppelt, die Football-Einnahmen (Tickets, Gastwirtschaft, Merchandise) sollen in der neuen Arena bei mehr als 350 Millionen Dollar pro Saison liegen, dazu kommen noch vor der Eröffnung mehr als 400 Millionen Dollar durch den Verkauf von Luxuslogen.

Warum der Plan tatsächlich der grandioseste der Sportgeschichte sein dürfte: Kroenke erhält über die Umzugsgebühr der Chargers einen Zuschuss von 200 Millionen Dollar von der NFL. Weil zwei Mannschaften im Stadion spielen werden, dürften die Namensrechte für 20 Spielzeiten bei 500 Millionen Dollar liegen. Die Rams und die Chargers bekämen laut Vereinbarung jeweils 18,5 Prozent, der Rest (315 Millionen) soll der Finanzierung des Stadions dienen. Die Chargers müssen pro Saison einen Dollar Miete zahlen, sie dürfen die Einnahmen aus Ticketverkäufen und Gastronomie behalten.

Der Rest gehört Kroenke.

515 Millionen Dollar über NFL-Zuschüsse und den Verkauf der Namensrechte, 400 Millionen für die VIP-Logen, 1,45 Milliarden Wertsteigerung durch den Umzug, dazu Einnahmen aus Hotels, Konzerten und Restaurants - für Kroenke könnte dieser Sportpalast profitabel sein, bevor auch nur ein Spiel darin ausgetragen wurde. Er musste dafür nur die Rams von der Badstraße in die Schlossallee umsiedeln.

Und dann gibt es ja noch diesen verwegenen Plan namens Olympia, diese verrückte Idee, wie man sie nur in der Nähe von Hollywood haben kann: Die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele im Jahr 2024 soll, falls Los Angeles den Zuschlag erhält und nicht Budapest oder Paris, die revolutionärste, aufregendste und spektakulärste der Geschichte werden. Gewiss, die Chinesen hatten im Jahr 2008 diese Feuerwerk-Fußstapfen, die Russen sechs Jahre später ihre Männerchor-Nationalhymne und die Briten dazwischen die wunderbare Danny-Boyle-Vision. Der Vorschlag von der Westküste jedoch klingt so sehr nach USA und Olympischem Komitee, dass IOC-Präsident Thomas Bach feuchte Augen bekommen haben dürfte, als er davon gehört hat: Endlich mal ein Bewerber, der kapiert hat, worum es im Sport wirklich geht.

"Wir können tun, was noch niemand zuvor gewagt hat", sagte Organisationschef Gene Sykes und verriet natürlich gleich, was er in Los Angeles zu wagen gedenkt: "Eine Eröffnungsfeier in zwei Stadien!"

"Das ist der grandioseste Plan der Sportgeschichte. Das wird die größte Schau der Welt."

Die Zeremonie soll im Memorial Coliseum beginnen, in jenem legendären Stadion südlich der Stadtmitte, in dem sie zur Eröffnung der Olympischen Sommerspiele 1932 mehrere Tausend Tauben freiließen und in dem während der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele im Jahr 1984 ein Raketenmann über den Zuschauern schwebte - auch keine schlechten Ideen. In sieben Jahren soll sich Hollywood selbst feiern in dieser dann 101 Jahre alten, für 260 Millionen Dollar frisch renovierten und mit 70 000 Menschen gefüllten Arena.

Danach soll die olympische Fackel durch Los Angeles getragen werden, elf Meilen hinüber nach Inglewood. Dort, im teuersten Sportpalast der Geschichte, könnte dann vor 100 000 Zuschauern der politische Teil der Eröffnung stattfinden. Am Ende soll das olympische Feuer in beiden Arenen gleichzeitig entzündet werden. Die Bilder, die von Los Angeles aus um die Welt geschickt würden, sie wären einzigartig - und weil Geschichte in Bildern erzählt wird, wäre diese Feier The Greatest Show on Earth, die größte Schau der Welt.

So eine megalomanische Feier wäre freilich nur deshalb möglich, weil in Los Angeles in wenigen Jahren zwei olympiataugliche Stadien in Fahrradweite voneinander existieren werden. Das ist das einzigartige Verkaufsargument dieser Olympia-Bewerbung, die bei den oftmals hitzigen Debatten um Finanzierung und postolympische Nutzung von Sportstädten ziemlich gelassen argumentiert: "Keine Sorge, wird alles schon da sein!"

© SZ vom 11.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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