Regionale Spezialität:Reif für den Apfelwein-Oscar

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Ob Äppelwoi oder Ebbelwei - geschenkt: Jens Becker setzt in seiner Apfelweinhandlung auf Erzeugnisse, die in Handarbeit gekeltert werden. (Foto: Ingrid Brunner)

Der Äppelwoi hat sich vom Massenprodukt zum Edel-Getränk entwickelt. Produzenten entdecken die Tradition neu und bieten hochwertige Weine an. Das hat seinen Preis.

Von Ingrid Brunner

Heißt es nun korrekt Apfelwein, Äppelwoi, Ebbelwei oder -woi? Loriot hätte bestimmt etwas Hübsches daraus gemacht. Doch Jens Becker nimmt die Frage ernst. "Richtig wäre Äpfelwein." Nun ja, fährt er fort, man könne je nach Zielgruppe auch "Stöffche" sagen, so nennen die Frankfurter liebevoll und anerkennend den Apfelwein, der in Sachsenhausens Kneipen und Wirtschaften so gerne getrunken wird wie in München das Bier. Doch mit dem, was da zumeist ausgeschenkt wird, hat er nichts am Hut. Becker steht in seiner Apfelweinhandlung wie ein englischer Landadeliger, mit Schiebermütze und Wolljackett. Bei ihm gibt es nur Weine, Seccos, Schaumweine und Edelbrände vom Apfel. Und das ist wörtlich zu verstehen: vom ganzen Apfel, nicht etwa von Apfelsaftkonzentrat, und obendrein von gutem, ungespritzten Obst aus der Region. Damit hebt er sich bewusst von der Praxis der großen Apfelwein-Produzenten ab.

Beim Ansaugen des Weins per Schlauch hatte er seinen ersten Rausch. Das prägt

Seine Philosophie: "Tradition erhalten, pflegen und abstauben." Mit Abstauben meint er, man solle sich rückbesinnen auf den Apfelwein, den viele Familien lange noch selbst gemacht hatten, ein Naturprodukt aus Äpfeln von Streuobstwiesen aus der Frankfurter Umgebung. Seine Apfelweinhandlung befindet sich mitten in Sachsenhausen, quasi im Zentrum der Apfelwein-Geselligkeit, in einer ehemaligen Apotheke in der Brückenstraße. Ganz im Bauhaus-Stil verströmt das Interieur Retro-Charme, so wie es viele schicke und individuelle Boutiquen im Viertel tun. Nun ruhen in den Vitrinen und Apothekerschubladen feine, handgemachte Apfelweine - abgefüllt in 0,7-Liter-Flaschen, von 8,50 Euro aufwärts. Viel Geld für das Arme-Leute-Getränk, das es mal war, und das in den Kneipen immer noch für 1,70 Euro im gerippten Glas auf den Tisch kommt.

Damit ist die Zielgruppe für Beckers Produkte definiert. Es ist, vereinfacht gesagt, die Manufactum-Klientel, die zu jedem Produkt eine Geschichte erzählt bekommt. Beckers Geschichte: In der Lebensmitte ereilte ihn wie viele andere die Sinnkrise, und er hinterfragte kritisch die kurzen Lebenszyklen von Produkten und das geringe Qualitätsbewusstsein bei Lebensmitteln. Es missfiel ihm zunehmend, dass er mit seinem gut dotierten Job im Marketing Teil dieses Systems war. Was tun? Da fiel ihm sein Opa ein, mit dem er zusammen Apfelwein gemacht hatte. Wie er das erste Mal, der Opa war ein paar Tage nicht da, allein im Keller stand und Wein mit dem Schlauch zapfte und beim Ansaugen den ersten Rausch seines Lebens hatte. Da hat sich der Apfel als neues Geschäftsmodell für Becker, nun ja, herausgeschält. Seit etwa zehn Jahren steht er jetzt im eigenen Laden, profitabel sei das Geschäft noch nicht. Immerhin: Seit 2012 macht er auch selbst Apfelwein. Verschiedene Sorten, darunter auch seinen Hausschoppen, den sich die Leute wie früher im Bembel über die Gass' holen können. "Ein Naturwein, den gibt es ausschließlich vom Fass", erklärt er, und fügt an, dass an den eigenen Erzeugnissen doch mehr verdient sei und er ohne sie nicht über die Runden käme. An die 80 verschiedene Weine hat er im Angebot.

Nur wenige Gehminuten weiter steht Michael Rühl im Apfelweinkontor. Es ist der zweite Laden in der winzigen Nische der Edel-Apfelweine, die damit auch schon beschrieben ist. Rühl ist ebenfalls ein Quereinsteiger in die Apfelwein-Edelschiene. Den Laden betreiben er und sein Kompagnon Konstantin Kalveram gemeinschaftlich und nebenberuflich. Sie machen einen Apfelwein-Blog, Verkostungen und auch ihren eigenen Apfelwein. "Als Kind bin ich schon mit den Eltern rausgefahren, da kam der Bembel auf den Tisch, und wir Kinder bekamen Apfelsaft. Das prägt." Das kleine Geschäft steht voller Regale. Die wenigen freien Wände sind behängt mit Auszeichnungen. "2010 haben wir unser erstes Produkt selbstgemacht, ganz klein, nur 1000 Liter", sagt Rühl. Doch schon im ersten Jahr erhielten die Freunde bei einer Blindverkostung den Pomme d'Or - "den Apfelwein-Oscar", sagt er mit einem Augenzwinkern.

Natürlich gibt es auch so etwas wie einen Apfelwein-Papst. So sprechen Jens Becker und Michael Rühl unisono mit großer Ehrfurcht von Andreas Schneider, der in Frankfurt-Niedererlenbach sein ganz eigenes Ding macht und sich bei seinen sortenreinen Erzeugnissen wider jegliche kaufmännische Vernunft nur von seiner Neugierde und seiner Kreativität leiten lässt. Er produziert, verglichen mit den Großen im Markt, winzige Mengen: Rühl vom Apfelweinkontor schätzt, dass es so 70 000 Liter im Jahr sind.

Verglichen mit der Gesamtproduktion, liegt Schneiders Marktanteil damit im Promillebereich. Steffen Ball vom Verband der Hessischen Apfelwein- und Fruchtsaft-Keltereien e. V. spricht von circa 40 Millionen Litern pro Jahr. Lässt man die vielen privaten und kleinen Erzeuger beiseite, dann entfielen auf die Großproduzenten um die 33 Millionen Liter. Klingt nach viel, doch der Apfelwein-Konsum bei jungen Leuten sinkt beständig. Ist halt kein Red Bull oder Alkopop. Deshalb unternimmt der Verband einiges, um das Image des Getränks zu verbessern und zu verjüngen. Zusammen mit anderen Partnern hat der Verband deshalb die Apfelwein-Akademie ins Leben gerufen.

Dort können sich Interessierte in nur fünf Tagen zum Apfelwein-Sommelier, wahlweise zum Apfelwein-Wirt weiterbilden lassen. Ein sportliches Unterfangen, denkt man etwa an den Weinsommelier und dessen jahrelange Ausbildung. Aber die Nachfrage sei sehr gut, betont Ball. Insgesamt 50 Apfelwein-Wirte und -Sommeliers haben die Ausbildung schon durchlaufen. Balls Idealvorstellung: Jedes Lokal in der Region sollte zwei oder drei Apfelweine auf der Getränkekarte haben.

Er zählt die vielen Vorteile des Apfelweins auf: Er enthält gesundheitsfördernde Polyphenole, er hat verglichen mit Rebenwein wenig Alkohol - bis zu 7,5 Prozent -, also auch weniger Kalorien; er ist vollständig durchgegoren, sprich die Gefahr, am nächsten Tag einen dicken Schädel zu haben, ist eher gering. Und er sei sehr vielseitig. So könne man den sortenreinen Boskop-Apfelwein durchaus mit einem süffigen komplexen Riesling vergleichen.

Einen Schritt weiter geht Jürgen Schuch in seinem Restaurant im Stadtteil Alt-Praunheim. In Schuch's Restaurant dreht sich, wenn nicht alles, so doch vieles um den Apfel. Wenn der Gast es wünscht, kann er sich vom Aperitif bis zum Dessert Speisen mit Apfelzutaten bestellen. Etwa einen Apfel-Sherry vorweg, dann Handkäs' mit Musik und geriebenem Apfel, anschließend einen Coq au Vin im Boskop-Sud oder Apfelbratwurst mit Apfelsenf, Apfel-Pannacotta. Der Clou aber ist Schuch's Pomothek - quasi eine Apfel-Vinothek -, weitgehend bestückt mit eigenen Erzeugnissen. Schuch hat sogar Apfelrosé- und Apfelrotweine gekeltert. Der Rosé bekommt seine Farbe von Kirschwein und Schuch's Roter von Holunderbeeren. Doch Schuch sagt, er sehe sein Angebot nicht als Apfel-Restaurant. Ihm sei es lieber, als Familienrestaurant mit hessischer Küche in fünfter Generation geschätzt zu werden.

Sortenreiner Boskop-Apfelwein lässt sich durchaus mit einem süffigen Riesling vergleichen

Das Bodenständige, die Wurzeln der Apfelweintradition sind es auch, die Gerhard Weinrich vom Main-Äppelhaus Lohrberg Streuobstzentrum e. V. umtreiben. Seine Mission ist es, die ökologisch wertvolle Kulturlandschaft Streuobstwiese zu erhalten und den Menschen die Liebe zum eigenen Garten, zum Pflanzen, Pflegen und Ernten zu vermitteln. Unermüdlich geben er und seine Mitstreiter ihr Wissen in Seminaren für Erwachsene und in Kinderfreizeiten weiter. Im malerischen Seckbach mit seinen Fachwerkhäuschen hat der gemeinnützige Verein seinen Obstgarten. Auf dem Lohrberg, mit 212 Metern Frankfurts höchster Berg, hat man nicht nur einen fantastischen Blick auf die Bankentürme der Stadt. Dort oben befindet sich in sonniger Lage auch Frankfurts einziger verbliebener Weinberg. 10 000 Flaschen Riesling erzeugt man hier auf 1,3 Hektar. Den Rest hat die Reblaus vernichtet. Danach pflanzte man hier Streuobstwiesen. "Sie sollten mal zur Apfelblüte kommen: An die 100 000 Besucher kommen dann hierher." Über Zuspruch aus der Bevölkerung kann er sich auch sonst nicht beklagen. Das Main-Äppelhaus und der große Obstgarten sind das ganze Jahr über geöffnet.

Hierher kommen Ausflügler, bringen ihr Picknick mit, holen sich vom Kiosk Kuchen, selbstgemachte Suppen und natürlich den dort erzeugten Äppelwoi. "Der schmeckt jedes Jahr ein bisschen anders", sagt Weinlein. "Natürlich nur von unseren ungespritzten Äpfeln - und solange der Vorrat reicht."

Ein ehrliches "Stöffche" - ganz im Sinne der Puristen in der Stadt.

© SZ vom 27.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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