Regierungspläne:Bundesanstalt warnt vor "riesigem Sozialamt"

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Die Stellenvermittler in den Arbeitsämtern befürchten eine Überlastung, wenn sie auch noch eine Million Sozialhilfeempfänger betreuen sollen.

Von Doris Näger

(SZ vom 21.08.03) - Die Bundesanstalt für Arbeit (BA) stemmt sich gegen die Regierungspläne zur Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Anders als vom Kabinett beschlossen, will die Behörde nicht alle Empfänger des neuen Arbeitslosengeldes II in ihre Obhut nehmen. Die Arbeitsämter würden zu "riesigen Sozialämtern", warnt die BA in einer internen Publikation.

Falls die Arbeitsämter künftig auch noch, wie von der Bundesregierung vorgesehen, eine Million erwerbsfähiger Sozialhilfeempfänger betreuen müssten, wären sie "in hohem Maß administrativ überlastet", warnt Wilhelm Schickler, Leiter der Hauptstadtvertretung in Berlin in der neuesten Ausgabe von "BA direkt".

Dies widerspreche der Forderung der Politik, dass sich die Bundesanstalt für Arbeit auf ihre Kernaufgaben konzentrieren solle. Falls die Arbeitsvermittler sich künftig auch noch um Menschen mit Wohn-, Sucht oder Schuldenproblemen kümmern müssten, würde die Öffentlichkeit "die Arbeitsämter als riesige Sozialämter betrachten".

Internes Mitteilungsblatt

Schicklers Aufsatz, der am Mittwoch in "BA direkt", dem internen Mitteilungsblatt der Nürnberger Behörde, erschienen ist, liegt der Süddeutschen Zeitung vor.

Bislang sieht der vor einer Woche von Bundeskanzler Gerhard Schröder vorgestellte Gesetzentwurf zu diesem Thema vor, dass der Bund künftig die Kosten für sämtliche erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger übernimmt, die bisher ihre Hilfsleistungen von den Kommunen erhalten.

Diese bekommen demnach vom 1. Juli nächsten Jahres an, ebenso wie die bisherigen Bezieher der Arbeitslosenhilfe, das so genannte Arbeitslosengeld II, das etwa dem derzeitigen Niveau der Sozialhilfe entspricht.

In den Aufgabenbereich der Nürnberger Bundesanstalt fielen damit künftig nicht nur die jetzt 4,2 Millionen Arbeitslosengeld- und -hilfeempfänger. Die Behörde wäre auch für eine Million arbeitsfähiger Sozialhilfe-Bezieher und deren 1,5 Millionen Familienangehörige zuständig.

Reformen gefährdet

Dies hätte, wenn Bundestag und Bundesrat daran festhalten, "erhebliche Auswirkungen auf den laufenden Reformprozess in der Bundesanstalt", warnt Schickler. Es müsste zusätzliches Personal rekrutiert und qualifiziert werden, auch eine Anpassung der EDV-Systeme sei nötig.

Experten schätzen, dass die Bundesanstalt in diesem Fall rund 10.000 Mitarbeiter neu einstellen oder umschulen muss. Geplant ist, dass künftig ein Vermittler nur noch 75 Arbeitslose betreut.

Angesichts dieser Schwierigkeiten plädieren Politiker der Opposition dafür, die Betreuung der Arbeitlosengeld-II-Bezieher nicht der Bundesanstalt aufzubürden, sondern damit die Kommunen zu beauftragen.

Der hessische Ministerpräsident Roland Koch hat bereits einen entsprechenden Gesetzentwurf erarbeitet. Die Spitzen von CDU und CSU sowie die Ministerpräsidenten der Union wollten darüber auch bei ihrem Strategietreffen am Mittwochabend am Frankfurter Flughafen diskutieren.

Kritik auch am Unions-Vorschlag

Die Bundesanstalt hält allerdings auch von der Lösung der Union wenig: Schickler prophezeit, "dass die Kommunen genauso überfordert wären, müssten sie schlagartig alle Arbeitslosenhilfebezieher übernehmen". Die Vermittlung und Arbeitsförderung dieses Personenkreises entspreche "nicht den Kernkompetenzen der Kommunen".

Schickler plädiert deshalb für eine "praxisgerechte Lösung": In einer fünfjährigen Übergangszeit sollen sich die Kommunen und die Arbeitsämter die Aufgaben teilen.In gemeinsam betriebenen Job-Centern sollten sich die Träger der Sozialhilfe um die Grundsicherung der arbeitsmarktfernen Arbeitslosen und die Auszahlung des Sozialgeldes kümmern.

Die Mitarbeiter der Arbeitsämter würden dagegen die arbeitsmarktnahen Arbeitslosen betreuen, deren Anspruch auf das Arbeitslosengeld I erschöpft ist, außerdem die arbeitslosen Jugendlichen unter 25 Jahren. Damit könnten sich beide Seiten auf ihre jeweiligen Kernkompetenzen konzentrieren: die Arbeitsverwaltung auf die Jobvermittlung, und die Kommunen auf die Betreuung von Menschen mit sozialen Problemen.

Nach der Übergangszeit, so Schickler, könnten die Erfahrungen ausgewertet und endgültig entschieden werden, wer allein die Leistungen erbringen soll, oder ob die Arbeitsteilung fortgesetzt wird.

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