Reaktionen auf Kündigung mit Toll Collect:"Deutschland - die Lachnummer in Europa"

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Der Schwarze Peter wird eifrig hin und her geschoben: Während der ADAC sagt, Toll Collect habe die Kündigung provoziert, werfen die Spediteure der Regierung "höchst fahrlässiges Verhalten" vor. Die Liberalen fordern hingegen einen Untersuchungsausschuss.

Die Kündigung des Maut-Vertrages macht Deutschland nach Ansicht der CDU zu einer Lachnummer. "Es tut weh zu sehen, wie Stolpes Maut-Debakel Deutschland zur Lachnummer in Europa macht", sagte CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer. Er befürchtet, dass "weitere Stufen der Blamage" folgten und "das Chaos" weitergehe.

Sie kommt frühestens in zwei Jahren: Die LKW-Maut auf deutschen Autobahnen (Foto: Foto: dpa)

Die Bundesregierung müsse jetzt durch Umschichtung von Haushaltsmitteln zu Gunsten des Straßenbaus schnellstmöglich dafür sorgen, dass der wirtschaftliche Schaden nicht noch größer werde.

Die FDP bezeichnet das Scheitern der Verhandlungen als Desaster für deutsche Industrie und für die Bundesregierung. Der stellvertretende FDP-Parteivorsitzende Rainer Brüderle sagte, für dieses und das kommende Jahr würden jeweils zwei Milliarden Euro an Einnahmen fehlen. Die Vignette bringe nur etwa ein Viertel der veranschlagten Einnahmen.

Brüderle wiederholte die FDP-Forderung nach Einsetzung eines Untersuchungsausschusses und erhofft sich Unterstützung von der CDU/CSU-Fraktion. Die Bundesregierung habe bei der Kontrolle des Maut-Konsortiums versagt.

Spediteure warnen vor "Super-Gau"

Die deutschen Spediteure geben der Bundesregierung die Mitverantwortung am Maut-Desaster und warnen vor massiven Problemen im Verkehr. Die Bundesregierung habe "höchst fahrlässig" gehandelt, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Speditions- und Logistikverbandes (DSLV), Heiner Rogge.

Die deutsche Verkehrspolitik stehe nun vor einem "Supergau": "Die Verkehrsinfrastruktur wird wegen fehlender Mittel in den nächsten Jahren auf der Strecke bleiben." Schon 2004 werde es bei den Verkehrsengpässen zu erheblichen Schwierigkeiten kommen. Eine Kreditfinanzierung beim Straßenbau sei kaum machbar. "Insofern haben wir hier ein massives Problem, was auch die Qualität des Logistik-Standortes Deutschland beeinträchtigt."

Rogge kündigte an, dass die Branche Toll Collect für Ausgaben zur Rechenschaft ziehen werde, die im Zusammenhang mit dem Ein- und Ausbau der Fahrzeuggeräte (On Board Units/OBU) angefallen sind und weiter anfallen. Er rechne nicht damit, dass Toll Collect noch einmal ein neues Angebot für eine Einigung vorlege. "Die Würfel gegen Toll Collect sind gefallen."

ADAC: Toll Collect vertraute der eigenen Technik nicht

Nach Einschätzung von ADAC-Präsident Peter Meyer hat das Konsortium Toll Collect hat die Kündigung provoziert: "Wer monatelang untragbare Entschädigungsangebote für den Fall macht, dass dieses System wieder nicht funktioniert, hat offenbar kein Vertrauen in die eigene Technik."

Die Entscheidung von Bundesverkehrsministers Manfred Stolpe (SPD) sei daher längst überfällig und richtig gewesen. Langfristig forderte der ADAC-Präsident ein tragfähiges Konzept, das keinesfalls zu Lasten der Autofahrer gehen dürfe. "Hier muss der Staat die Suppe selbst auslöffeln, die er sich mit nachlässigen Verträgen eingebrockt hat."

Auch der Automobilclub von Deutschland (AvD) hat die Kündigung des Vertrages mit Toll Collect begrüßt und zugleich die Einführung einer einfachen Lastwagen-Maut für alle Straßen gefordert.

EU-Kommission wird nicht eingreifen

Brüssel sieht nach dem deutschen Maut-Debakel keine Notwendigkeit zum Eingreifen. Die Kündigung der Verträge mit Toll Collect bedeute "keine ungleiche Behandlung" für ausländische Lkw-Fahrer, sagte ein Sprecher von EU-Verkehrskommissarin Loyola de Palacio.

Den Deutschen stehe es nun frei, die alte Eurovignette wieder einzuführen oder sich für ein neues Mautsystem zu entscheiden. "Die Deutschen können machen, was sie wollen, solange es mit der EU-Gesetzgebung übereinstimmt", betonte er.

Allgemeines Echo aus den Ländern: "Überfällige Reaktion"

Niedersachsens Verkehrsminister Walter Hirche (FDP) hat die Kündigung des Maut-Vertrages mit Toll Collect als überfällig bezeichnet. Zugleich gebe es Hinweise aus dem Bundesverkehrsministerium, dass die Investitionen in die Infrastruktur wegen der Maut-Ausfälle auf die Hälfte gekürzt werden sollten.

"Das würde die Bauwirtschaft in ihrer Existenz bedrohen", sagte Hirche. Jetzt sei der Bund gefordert, das "Stolpe-Desaster" zu begrenzen und mit Privatisierungen die Kassen zu füllen.

Auch Schleswig-Holsteins Verkehrsminister Bernd Rohwer (SPD) nannte die Entscheidung, die Lkw-Maut ohne das Konsortium Toll Collect zu verwirklichen, "überfällig". Stolpe hätte diese Entscheidung schon vor ein paar Wochen treffen müssen, sagte Rohwer in Kiel. "Er hat sich in der Tat von Toll Collect eine geraume Zeit auf der Nase herumtanzen lassen."

Bayerns Wirtschaftsminister Otto Wiesheu (CSU) sagte in München, die Kündigung des Maut-Vertrages durch die rot-grüne Bundesregierung sei ein "längst überfälliger Schritt". Wegen des Maut-Debakels könne in den kommenden Jahren so gut wie kein neues Projekt im Schienenfernverkehr in Angriff genommen werden, erklärte der Minister in München. "Durch das Maut-Debakel wird jetzt ganz deutlich, dass die Schiene noch nie so schlecht wie unter Rot-Grün behandelt wurde."

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