Raumfahrtfirma OHB:Auf ins All

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OHB erstellt eine Studie über Asteroiden, hier eine Skizze, wie ein Satellit den Felsbrocken Didymoon untersucht. (Foto: ESA)

Bisher war das Unternehmen OHB vor allem in der Erdumlaufbahn aktiv. Nun fliegt es weiter tief in den Weltraum, plant eine Forschungsstation auf dem Mond und testet Möglichkeiten, Asteroiden abzuschmettern.

Von Dieter Sürig, München

Im Foyer der Raumfahrtfirma OHB in Bremen sieht der Besucher auf einen Blick, wohin die Reise des Familienunternehmens bisher gegangen ist: nämlich vor allem in die Erdumlaufbahn. Modelle von Erdbeobachtungssatelliten, dem Wettersatelliten Meteosat oder einem Fluggerät des europäischen Navigationssystems Galileo zeugen davon, womit OHB in den vergangenen gut 30 Jahren groß geworden ist. Dabei wollte der mittlerweile verstorbene Firmengründer Manfred Fuchs immer zum Mond, hatte sogar eine Mondsonde entwickelt, die aber letztlich nur hier im Foyer in Bremen gelandet ist.

Sohn Marco Fuchs, seit dem Jahr 2000 Vorstandschef von OHB, könnte den Traum seines Vaters demnächst wahr werden lassen. Er sieht in den Plänen von Esa-Chef Jan Wörner, eine internationale Mondbasis namens Moon Village aufzubauen, die Chance für das börsennotierte Unternehmen, dort kräftig mitzumischen und Geld zu verdienen. "Die Grundidee dieses künftigen Dorfes auf dem Mond ist die einer Forschungsstation wie in der Antarktis - nur eben deutlich größer", sagt Fuchs. Im Auftrag der europäischen Raumfahrtagentur Esa ist OHB gerade mit einer Studie zu 3-D-Druckverfahren im Weltraum beschäftigt. Ziel ist es, ein Moon Village nachhaltig errichten zu können: Mit 3-D-Druck-Komponenten, aber auch mit Methoden, Wasser auf dem Mond zu gewinnen. Die Luxemburger Firma Blue Horizon, eine OHB-Tochter, entwickelt gerade das Habitat "Cubehab", um Ökosysteme auf dem Mond schaffen zu können. Dazu gehören auch biologische Techniken, die auf Mond- und Marsgestein Pflanzen wachsen lassen können. Was den Mond angeht, so ist Fuchs zuversichtlich, sich hier neue Geschäftsfelder erarbeiten zu können: "Wir sehen uns dabei für eine Führungsaufgabe prädestiniert: Ob es nun um Raumschiffe, Lande- und Startvorrichtungen oder Stationsmodule geht", sagt der 56-Jährige.

Der Mond ist nur ein Beispiel dafür, dass bei OHB in zweifacher Hinsicht eine Zäsur stattfindet: Das Unternehmen mit 860 Millionen Euro Jahresumsatz arbeitet vermehrt an lukrativen Missionsstudien der Esa, andererseits bauen die Hanseaten immer mehr Komponenten, die im erdfernen Weltraum eingesetzt werden. Dabei ist der Mond nicht genug: "Im Reinraum in Bremen entsteht gerade das Carrier Modul für die Mission Exo Mars 2020", sagt Fuchs. Das Trägermodul wird bei der Mission der Esa und der russischen Roskosmos die Landeeinheit und einen Rover zum Mars fliegen, das Auftragsvolumen beträgt mehr als 100 Millionen Euro.

In dieser Woche wird OHB aber noch einen draufsetzen und auf dem Raumfahrtkongress IAC in Bremen einen Vertrag mit der Esa über 300 Millionen Euro unterzeichnen. Dabei geht es um die Mission Plato (Planetare Transite und Oszillationen von Sternen), die 2026 starten soll, um 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt ein Satelliten-Observatorium zu platzieren. OHB entwickelt und baut damit erstmals als Hauptauftragnehmer einen kompletten Wissenschaftssatelliten. Das zwei Tonnen schwere Gerät soll mit optischen Messungen Planeten in anderen Sonnensystemen erforschen, also Exoplaneten. "Ziel ist es, herauszufinden, ob es in der näheren Milchstraße Planeten gibt, die potenziell bewohnbar wären", sagt Fuchs.

Forschungsmissionen lohnen sich, das Budget der Raumfahrtagentur Esa ist groß

OHB hat damit beim Hauptauftrag seine erfahrenen europäischen Rivalen Airbus und Thales Alenia Space (TAS) ausgestochen. Die Space-Tochter Astrium, die nun unter dem Airbus-Dach firmiert, hat etwa die Raumsonden Gaia und Rosetta gebaut. Die französisch-italienische TAS war am Aufbau der Internationalen Raumstation beteiligt. Schon beim Satellitennavigationssystem Galileo hatte sich OHB durchgesetzt und von der Europäischen Kommission Aufträge für 34 Einheiten erhalten - Stückkosten etwa 40 Millionen Euro. Das hat dem Ruf der Bremer nicht geschadet. Thales ist nun bei Plato zumindest als Partner mit an Bord. "OHB ist zum dritten europäischen Systemintegrator aufgestiegen und qualifiziert sich nun auch in der Wissenschaft", sagt Rainer Horn, Geschäftsführer der Beratungsfirma Spacetec Partners. "Von der Esa für solche einzigartigen Missionen in die Tiefen des Weltraums ausgewählt zu werden, ist in mancher Hinsicht ein Ritterschlag." Und das nächste Wissenschaftsprojekt ist auch schon in Sicht. Ebenfalls für die Esa bereitet OHB mit einer 4,5-Millionen-Euro-Studie die Mission Hera vor. Hinter dem Namen der griechischen Göttin verbirgt sich ein für 2023 geplanter Raumflug zu einem Zwillings-Asteroiden-System namens Didymos - die fliegenden Felsriesen haben Durchmesser von 780 und 160 Metern.

Gemeinsam mit der US-Raumfahrtbehörde Nasa wollen Esa-Wissenschaftler erforschen, inwieweit sich Asteroiden auf Kollisionskurs mit der Erde auf eine neue Bahn lenken lassen. Eine Nasa-Sonde soll dazu vorher auf dem kleineren Asteroiden Didymoon einschlagen und den 160 Meter großen Felsen bei seinem Flug durchs All um einen halben Millimeter pro Sekunde abbremsen. "Wir müssen Technologien entwickeln, um solche Asteroiden abzuwehren", sagt Fuchs. "Es gibt Hunderttausende dieser Objekte, nur ein Bruchteil ist bis heute entdeckt worden, eine ernsthafte Bedrohung."

Mit der Studie hofft Fuchs natürlich auch darauf, den Zuschlag zu bekommen, Hardware-Komponenten für die Mission bauen zu dürfen. Dass sich OHB nun in die Weiten des Alls orientiert, dürfte auch mit den aufstrebenden jungen New-Space-Firmen zusammenhängen. Mit kleineren, billigeren Satelliten und Launchern machen sich diese langsam in der Umlaufbahn breit. "Für große Anbieter wie OHB ist ein Engagement, wo 100 Prozent Weltraum-Know-how und Agenturerfahrung notwendig sind, auch ein Beitrag zur Zukunftssicherung, da das erdnahe Orbitgeschäft zunehmend kommerziell wird", sagt Branchenexperte Horn. Da können sich Wissenschaftsmissionen lohnen: "Im jährlichen Esa-Budget von etwa 5,6 Milliarden Euro macht das Wissenschaftsprogramm zehn Prozent aus", rechnet Horn vor.

OHB versteht es, dies zu nutzen. Die 2400 Mitarbeiter sind nicht länger nur Experten für Wetter, Erdbeobachtung und Navigation, sondern nun auch für Exoplaneten, Asteroiden - und Sonnenstürme: Die Firma fertigt für 3,3 Millionen Euro eine weitere Esa-Studie, um eine mögliche Satellitenmission in 150 Millionen Kilometer Entfernung von der Erde zu untersuchen. Der Satellit soll von dort aus Sonnenstürme früher erkennen als bislang möglich. Hochenergetische Sonnenpartikel, die in Richtung Erde geschleudert werden, können im Extremfall Kommunikations- und Stromnetze stören. "Wir haben dazu bereits eine Reihe von Missionsideen, um das sogenannte Weltraumwetter prognostizieren zu können", sagt Fuchs. Eine Lösung könnte auch ein weltweites Teleskopsystem der Esa sein, den Prototyp des Spezialteleskops baut OHB für 20 Millionen Euro in Sizilien. Es wäre ein weiteres Warnsystem für das Weltraumwetter, erdnahe Asteroiden, oder Raumfahrtschrott.

Für eine weltweite Abdeckung mit Teleskopen wäre ein gutes Dutzend davon nötig. Wer den Auftrag bekommt, kann mit einem Volumen von 200 Millionen Euro rechnen.

© SZ vom 01.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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