qualifiziert & arbeitslos (III):Die Sache mit der Elvispuppe

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Bestens ausgebildet - und doch arbeitslos. Wer sich auf Jobsuche begibt, stellt fest, dass sich einen Schattenwelt auftut ... und viele an der Arbeitslosigkeit mitverdienen wollen.

Barbara Ehrenreich

Im Folgenden geben wir einen Auszug aus dem neu erschienenen Buch "qualifiziert & arbeitslos" wieder. Barbara Ehrenreich, die bereits in dem Bestseller "Arbeit poor" im Selbstversuch erkundet hatte, ob und wie man von Billigjobs leben kann, beleuchtet in ihrem neuen Buch die arbeitslose Mittelschicht.

Barbara Ehrenreich, hat Chemie, Physik und Molekular- biologie studiert und zählt heute zu den bekanntesten Publizistinnen Amerikas. In ihrem neuen Selbstversuch begibt sie sich als erfahrene "PR-Frau" auf Stellensuche. (Foto: Foto: Sigrid Estrada)

Ausgerüstet mit einer neuen Identität und einem Lebenslauf voller Qualifikationsnachweise versucht sie fast ein Jahr lang, in den USA Arbeit zu finden. Hier lesen Sie ihre ersten Schritte, tief hinein in eine Welt ganz eigener Art.

Völlig unbeirrt nimmt Morton die Elvis-Puppe, deren Beine wie in einer grässlichen Leichenstarre im rechten Winkel vom Rumpf abstehen, und erklärt mir, er wolle mit ihr verdeutlichen, dass "die Puppe etwa so viel Ähnlichkeit mit dem wirklichen Elvis hat wie Sie mit Ihrem Persönlichkeitstyp".

Ich möchte einwenden, dass die Puppe sehr wohl dem wirklichen Elvis ähnle, auf jeden Fall dem jugendlichen, vor der unseligen Gewichtszunahme, zumindest könne jedermann sehen, dass es sich nicht um eine Barbie-Puppe handle.

Aber das trifft nicht die großen Fragen, nämlich was ich hier tue, wenn der Test doch sinnlos ist, und was dieser Test überhaupt mit meiner Stellensuche zu tun hat. Außerdem legt Morton Elvis jetzt auf einen Beistelltisch, so dass nur noch das Oz-Ensemble bleibt.

Wir wenden uns den Ergebnissen zu. Wie sich herausstellt, "passen meine Werte zu fast jedem Persönlichkeitstyp". Was Originalität und Effizienz betrifft, stehe ich ganz oben, und wenn man das auf ein Enneagramm überträgt, verbinden mich die diagonalen Linien mit Gott und der Liebe.

Damit bin ich der Zinnmann mit ein wenig Löwe darin, sagt Morton, wobei er an den entsprechenden Puppen herumfummelt. Als nächstes fördert er die geheimnisvollen Folien zutage, die die ganze Zeit in einem Aktenordner gewartet haben.

Diesmal bin ich entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen, doch als er eine Folie mit dem Titel "Das Enneagramm-Symbol" mit ineinander verwobenen Dreiecken hervorzieht, fällt mir nur noch die Frage ein: "Was hat der Kreis zu bedeuten?".

Er dient, erklärt Morton, "der grafischen Einheit" - heißt das, dass ihm die Zeichnung einfach gefällt? - und soll außerdem zeigen, dass "es um die ganze Person geht". Und das große Dreieck?, fahre ich sinkenden Mutes fort. "Das sind die drei Zentren der Intelligenz."

Es zeigt sich jedoch, dass meine originellen, effektiven, guten und liebenden Seiten nicht der entscheidende Punkt sind. Es geht darum, meine "unergiebigen" Seiten zu verstehen, die anscheinend meine schlechten Seiten sind, denn da muss ich etwas unternehmen.

Manche Menschen, sagt Morton und deutet auf den braunen Winterrasen vor dem Fenster, weigern sich, diesen Seiten Aufmerksamkeit zu schenken. Einmal sei eine Lehrerin in Tränen ausgebrochen, als sie von ihren schlechten Seiten erfuhr.

Zu meinen schlechten Seiten gehören Hypersensibilität und eine Neigung zu Melancholie und Neid, ganz zu schweigen von den negativen Zügen, die zutage treten,wenn man von den Eckpunkten "Liebevoll" und "Effektiv" Diagonalen zieht.

Schlussendlich heißt das alles auf der praktischen Ebene, dass ich vor dem Hintergrund meiner ausgesprochen emotionalen und künstlerischen Persönlichkeit (woher habe ich die jetzt wieder?) wahrscheinlich "nicht besonders gut schreibe". Die "empfohlene Maßnahme" lautet "intensive Tagebuch-Workshops", um meine schriftstellerischen Fähigkeiten aufzupolieren.

Es bleibt mir nur noch, mich murmelnd zu bedanken, den Scheck auszustellen und zu gehen. Ich denke an meinen Vater, der aufbrausend, zynisch, hochtrabend, unausstehlich, charmant und freundlich war und manchmal bis zum Umfallen trank, dem es jedoch gelang, aus den Kupferminen von Butte in die höheren Regionen der Unternehmenswelt aufzusteigen und schließlich Leiter der Forschungsabteilung in einem multinationalen Konzern zu werden.

qualifiziert & arbeitslos - Eine Irrfahrt durch die Bewerbungswüste Aus dem Englischen von G. Gockel und S. Schuhmacher Verlag Antje Kunstmann, 2006, 256 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 3-88897-436-4 (Foto: N/A)

Hat er je einen Persönlichkeitstest gemacht oder sich einem Executive Coaching unterzogen? Oder war damals in den 1950er und 1960er Jahren alles anders, und es zählte hauptsächlich, was man tatsächlich konnte? Was hätte er mit Morton, den Puppen und der uralten Weisheit des Enneagramms gemacht?Während ich nach Hause fahre, höre ich ihn schallend lachen.

Morton hat mir jedoch einen wertvollen Tipp gegeben: Wenn ich Hilfe bei meinen Bewerbungsunterlagen benötige, solle ich mich an Joanne wenden, deren E-Mail-Adresse er mir schicken werde.

Joanne verlangt dasselbe Honorar wie Kimberly und bestellt mich in ein Café, das nur zehn Minuten von mir entfernt ist - kein idealer Treffpunkt, weil ich dort schon einmal war und jemandem begegnen könnte, der mich kennt.

Ich erwarte einen makellos gekleideten Südstaatentyp, nicht die leicht zerknitterte, ungeschminkte Frau in den Fünfzigern, die mich begrüßt. Sie war in gemeinnützigen Einrichtungen im Bereich "Entwicklung" tätig, erzählt sie mir, hat dann aber zum Executive Coaching gewechselt - über die Umstände, die zu dieser Veränderung geführt haben, schweigt sie sich aus - und kommt soeben von einer Sitzung über "Strategieplanung bei Pepsi".

Ich habe sofort einen Draht zu ihr. Sie ist das pure Gegenteil von Kimberly, unaufdringlich und absolut bodenständig. Ich weiß zwar nicht, ob sich ihre Kompetenzen überschneiden, beschließe aber, dass es besser ist, Joanne nicht von Kimberly und umgekehrt zu erzählen.

Von meinen bisherigen drei Coachs ist Joanne die erste, die mir wirklich ein wenig Hoffnung macht.

Sie greift das Wort Redenschreiben in meinem ersten schwachen Entwurf einer Bewerbung auf und empfiehlt mir, es zu einer vermarktbaren Fähigkeit aufzumotzen.

Ja, das ist etwas, was ich tatsächlich kann. Hinter meinem Abscheu gegen Mortons und Kimberlys Psychogefasel verbirgt sich womöglich eine tiefe Angst, ich könne vielleicht gar nichts zu bieten haben, keinerlei Fähigkeiten, die in der weiten Welt des Geldverdienens von Bedeutung sind.

Meine beruflichen Erfahrungen im Bereich Public Relations und Event Planning habe ich schließlich in der etwas unbeschwerteren Welt der gemeinnützigen Organisationen gewonnen, und sie sind möglicherweise nicht hundertprozentig auf die freie Wirtschaft übertragbar.

Aber Redenschreiben ist Redenschreiben - von der scherzhaften Bemerkung oder Anekdote am Anfang über die Parade der Fakten zum mahnenden Höhepunkt -, und ich habe es Jahrzehnte lang gemacht.

Schließlich braucht ja niemand zu erfahren, dass ich all diese Reden auch selbst gehalten habe.

Joanne hat noch einen weiteren nützlichen Tipp in der Hinterhand: Nehmen Sie die Wörter ich und mein (wie etwa in "zu meinen Aufgabenbereichen gehörte...") aus der Bewerbung, die, wie ich nun erkenne, einen distanzierten, körperlosen Ton haben sollte, als hätte ein unsichtbarer Anderer mein Leben gelebt.

Und alles, was ich bisher gemacht zu haben behaupte, soll ich in kleinere, wesentliche Aktivitäten aufteilen, so dass ich zum Beispiel nicht nur eine Veranstaltung "geplant", sondern "zusammen mit dem Vorstand Zielstellungen entwickelt" und dann verschiedene Maßnahmen eingeleitet habe, "um die anschließende Auswertung zu erleichtern".

Was soll ich dazu sagen? Zumindest füllt das alles Seiten. Und dann kommt Joannes genialster Tipp: die Websites der Berufsvereinigungen nach meinen angeblichen Tätigkeiten durchsuchen und mir die Schlüsselwörter beziehungsweise den Fachjargon aneignen.

Auch wenn sie nicht weiß, dass ich falsche Tatsachen vorspiegle - und ich glaube nicht, dass ich ihr irgendeinen Anlass für einen entsprechenden Verdacht geliefert habe -, hat sie doch eine bemerkenswert klare Vorstellung davon, wie das Fälscherhandwerk funktioniert.

Und das ist womöglich das Entscheidende beim Abfassen einer Bewerbung.

(Teil IV folgt ...)

© Was bisher geschah ... Barbara Alexander alias Ehrenreich lässt sich von mehreren Coaches beraten. Die sollen ihr helfen, sich in der Arbeitswelt besser zu verkaufen. Morton, ein großer Freund des Psychotests, ist einer von ihnen ..." - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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