Psychologie der Börse:Allzu menschlich

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"Kein Stillstand": Ein Schild vor der New Yorker Börse. (Foto: Bloomberg)

Zu aktiv, zu ungeduldig: Anleger tappen bei der Geldanlage oftmals in die gleichen Fallen. Die Forschungsrichtung "Behavioral Finance" analysiert die klassischen Fehler.

Horst Peter Wickel

Börsenguru André Kostolany hatte es schon immer gewusst: "Die Börse reagiert gerade mal zu zehn Prozent auf Fakten. Alles andere ist Psychologie." Der Versuch, eine Brücke zwischen Psychologie und Finanzwissenschaft zu schlagen, findet ihren Niederschlag in der Forschungsdisziplin Behavioral Finance, zu deutsch Verhaltensökonomie oder verhaltenswissenschaftliche Finanztheorie.

Selbst Profis wissen: Behavioral Finance ist das offizielle Eingeständnis, dass die Börse nicht nur rational oder fundamental getrieben ist, sondern dass die Psychologie des Menschen zu teilweise irrationalen Kursen führen kann.

Um der eigenen Psyche auf die Schliche zu kommen, empfiehlt Martin Weber, Professor an der Universität Mannheim, allen Geldanlegern, ein Anlagetagebuch zu führen, in dem einzelne Entscheidungen begründet und Markteinschätzungen sowie Kursziele festgehalten werden. Weber: "Die subjektiven Prognosen im Nachhinein mit der tatsächlichen Entwicklung zu vergleichen, ist außerordentlich ernüchternd."

Behavioral Finance kann zwar nicht bei der Frage helfen, welche Investmententscheidung die richtige ist, aber sie kann den Prozess der Entscheidung und auftretende Fehler beleuchten. Noch immer wird diese wissenschaftliche Disziplin nicht von allen Marktteilnehmern anerkannt und umgesetzt.

Auch rationale Menschen tappen in die Falle

Einige tendieren weiter zur Selbstüberschätzung, oder, wie der Aachener Professor Rüdiger von Nitzsch formuliert: "Der Mensch neigt zur Kontrollillusion. Er bildet sich ein, den Markt kraft eigener Prognosen im Griff zu haben." Finanzmarktanalyst Joachim Goldberg erklärt die Abläufe als "Mechanismen wie bei einer Kettenreaktion": Eine positive Stimmung ist vorhanden, viel Phantasie ist im Spiel, und jeder möchte dabei sein.

Selbst Menschen, die in sonstigen Lebensbereichen meist rational handeln, lassen sich in solchen Situationen von der Euphorie anstecken. Dabei sollte die Konsequenz aus den Forschungsergebnissen sein, Gewinnschätzungen von Analysten und auch Ausblicke von Unternehmen mit Vorsicht zu bewerten und Investmententscheidungen nicht nur darauf zu basieren.

Schon Kostolany wusste: "Beim Kauf soll man romantisch, beim Verkauf realistisch sein - zwischendurch soll man schlafen." Vielleicht können Anleger so einige Fehler vermeiden.

Klicken Sie sich durch die vier häufigsten Fehler, die Anleger begehen.

Zu viel Lust auf Harmonie

Zu den wissenschaftlich oft untersuchten Verhaltensweisen gehört die sogenannte kognitive Dissonanz. Danach wollen die harmoniebedürftigen Anleger sich nicht eingestehen, dass sie Fehler machen.

Daher werden Informationen so ausgewählt oder interpretiert, dass auch falsche Entscheidungen im Nachhinein als richtig erscheinen.

Ständiges Handeln

Eine weitere "Psycho-Falle" bei der Geldanlage ist der sogenannte Aktivismus. Weil sie ihre Prognosefähigkeit überschätzen, neigen Anleger dazu, ihr Depot zu oft umzuschichten.

Dabei weiß der Börsianer: "Hin und Her macht Taschen leer". Nach amerikanischen Untersuchungen kamen Anleger, die in den neunziger Jahren monatlich im Schnitt 22 Prozent ihres Depots umschichteten, auf eine Nettorendite von 12 Prozent pro Jahr. Auf eine Nettorendite von 19 Prozent kamen hingegen Anleger, die monatlich nur 0,2 Prozent hinzukauften und verkauften.

Falscher Rhythmus

Von dramatischer Bedeutung ist der sogenannte Dispositionseffekt. Danach verkaufen Anleger gewinnbringende Wertpapiere zu früh und halten Verlustbringer zu lange.

Erste Gewinne werden rasch realisiert, um sich ein Glücksgefühl zu verschaffen, bei den Nieten im Depot überwiegt die Hoffnung, dass diese sich wieder erholen.

Das vertraute Zuhause

Besonders absurd in der aktuellen globalisierten Welt erscheint der Heimatfokus, auch Home Bias genannt.

Danach sind nicht nur deutsche Anleger zu sehr auf inländische Aktien fixiert und teilen ihr Vermögen nicht sinnvoll international auf. Sie glauben, die Kursentwicklung heimischer Unternehmen besser beurteilen zu können. Dieser Heimatfokus, so das Ergebnis einer Studie der RWTH Aachen, schmälert die Rendite um mehr als einen Prozentpunkt pro Jahr.

© SZ vom 2./3.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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