"Project Loon":Internet aus der Luft

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Flugleitung: Heliumballons sollen das hurrikangeplagte Puerto Rico mit Internet versorgen. (Foto: dpa)

Die Heliumballons von Alphabet ermöglicht den Menschen im hurrikangeplagten Puerto Rico Zugang zu Textnachrichten und einfachen Netzdiensten.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Zugegeben: Die Bilder sind nicht ganz so spektakulär wie jene, auf denen Neil Armstrong von der Treppe des Apollo Lunar Module auf die Oberfläche des Mondes hüpft - und doch betrachtet man sie mit offenem Mund: Da schweben zwei solarbetriebene Heliumballons von einer Basis in Nevada aus in Richtung der knapp 5000 Kilometer entfernten US-Insel Puerto Rico. Sie sollen dort dafür sorgen, dass die Menschen in den von den Hurrikans Maria und Irma besonders verwüsteten Gegenden miteinander kommunizieren und an Informationen aus dem Internet gelangen können.

"Project Loon" heißt diese Initiative des Google-Mutterkonzerns Alphabet, der in der Unternehmenssparte X sogenannte Moonshots fördert - also futuristische und bisweilen auch völlig durchgeknallt klingende Ideen, deren Erfolg einer Mondlandung gleichkäme. Bei den Quartalszahlen schwächen diese Projekte meist die Bilanz, weshalb die Konzernmutter den Visionären kürzlich auferlegt hat, die Erfolgsaussichten und Rentabilität doch, bitte schön, zu erhöhen. Die vorübergehende Erlaubnis der amerikanische Aufsichtsbehörde FCC, dass die Ballons über Puerto Rico schweben und eine Breitbandverbindung zum Boden aufbauen dürfen, wird nun als bedeutsamer Erfolg für das Unternehmen gewertet.

Seit dem ersten Test im Jahr 2013 haben die solarbetriebenen Internet-Ballons Teststrecken von mehr als 26 Millionen Kilometer zurückgelegt, es gab Trainingseinheiten in Neuseeland und Brasilien, kürzlich hielt sich ein Ballon 98 Tage lang über Peru. Alastair Westgarth, Chef von Project Loon schrieb am vergangenen Freitag in einem Blogeintrag: "Wir haben noch nie in diesem Tempo eine Internetverbindung von Grund auf neu erschaffen. Es ist noch immer eine experimentelle Technologie und wir wissen noch nicht genau, wie gut sie funktionieren wird." Viele Probleme sind in der Tat noch längst nicht gelöst.

Die ersten beiden Ballons mit den Namen HBAL199 und HBAL237 scheinen zu funktionieren: Am Montag vermeldete das Technologieunternehmen AT&T, Partner von Alphabet bei diesem Projekt, dass aufgrund der Ballons übers Wochenende zwölf Millionen Anrufe und sechs Millionen Textnachrichten möglich gewesen seien. Vereinfacht ausgedrückt erhalten die Ballons per Funk ein Signal von einer Bodenstation. In der Stratosphäre, in einer Höhe von 20 Kilometern, bauen die schwebenden Ballons untereinander ein Netzwerk auf und schicken wieder ein Signal an spezielle Antennen am Boden und damit zu den Menschen. Eine Kette von Ballons kann also eine Strecke überbrücken, in der es keine Festnetzleitungen oder Funkmasten gibt. Wer ein moderneres Smartphone (etwa vom iPhone 5c an oder ein ähnliches Modell anderer Anbieter) besitzt, der hat dann über das LTE-Netzwerk (auch 4G genannt) Zugang zu Textnachrichten und einfachen Internetdiensten.

Der Hurrikan zerstörte die Hälfte aller Mobilfunkmasten

Die Ballons werden über einen Algorithmus in unterschiedliche Höhen und damit in die gewünschte Position navigiert, aufgrund des Solarantriebs können sie allerdings nur tagsüber ein Signal senden. "Wir lernen noch immer, wie wir die Ballons präzise navigieren können", schreibt Westgarth: "Wir werden im Laufe der Zeit immer mehr über die wechselnden Winde in der Region lernen und hoffen nun, dass wir die Ballons so lange wie nötig in der Luft halten können." Die Behörde FCC hat die Nutzung des Netzwerks für sechs Monate erlaubt und Alphabet gestattet, bis zu 30 Ballons nach Puerto Rico zu schicken.

Die US-Insel wurde von dem Sturm Ende September schlimm getroffen: 49 Menschen sind dabei ums Leben gekommen, mehr als 4000 halten sich laut Berichten der US-Regierung noch immer in provisorisch eingerichteten Notunterkünften auf. Noch immer sind etwa 80 Prozent der Bewohner ohne Elektrizität, die Hälfte der Mobilfunkmasten ist zerstört worden. Mehrere Silicon-Valley-Unternehmen wie Cisco oder Facebook hatten versprochen, beim Wiederaufbau der Infrastruktur zu helfen. Natürlich aber sind solche Aktionen auch eine gute Werbung für die beteiligten Unternehmen.

"Wir wollen dieses Notfall-Internet so lange aufrecht erhalten, wie es den Menschen nützt und solange wir es können", schreibt Westgarth: "Wir hoffen, dass Information und Kommunikation den Menschen hilft, diese unglaublich schwierige Zeit zu überstehen." Es gibt nun Bilder von Menschen in Puerto Rico, die über dieses notdürftig eingerichtete Netz erfahren, dass Angehörige noch am Leben sind und wo sie sich aufhalten. Für sie sind diese Nachrichten und der Zugang zu womöglich lebenswichtigen Informationen mindestens so spektakulär wie eine Mondlandung.

© SZ vom 25.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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