Privatisierung:Gründlich verschätzt

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Die Treuhand setzte auf den schnellen Ausverkauf des DDR-Vermögens - am Ende blieben horrende Schulden.

Von Steffen Uhlmann, Berlin

Jeder DDR-Bürger sollte seinen Anteil am Volkseigentum erhalten. Das war die Idee, die die Bürgerrechtsbewegung um den Theologen Wolfgang Ullmann im Februar 1990 vorlegte: Sie wollte eine Treuhandgesellschaft gründen, die sicherstellen sollte, dass mit dem Einzug der Marktwirtschaft und der damit anstehenden Privatisierung der ostdeutschen Unternehmen die Ansprüche der DDR-Bürger nicht unter den Tisch fallen. Jeder von ihnen sollte mit Anteilsscheinen am Verkauf beteiligt werden.

Der Vorschlag rief eine heftige Debatten hervor zwischen der Bürgerrechtbewegung und der damaligen DDR-Regierung unter der Führung von Hans Modrow. Trotzdem konstituiert sich noch im März 1990 eine "Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums". An ihrer Spitze steht der ostdeutsche Liberaldemokrat Peter Moreth. Viel zu tun aber bekommt sie nicht. Nur der Streit geht weiter: zunächst zwischen den in der ersten frei gewählten Volkskammer vertretenen Parteien, später dann auch zwischen ost- und westdeutschen Politikern.

Heraus kommt ein verändertes Treuhandgesetz, das am 17. Juni 1990 von den Abgeordneten der Regierungskoalition in der Volkskammer verabschiedet wird. Von einer "Volksaktie" für alle Ostdeutschen ist darin, nicht zuletzt auf Druck der westdeutschen Politiker, keine Rede mehr. Stattdessen wird nun ohne Beteiligung der Bevölkerung auf "schnelle Privatisierung" gesetzt, wie der damalige Finanzminister Theo Waigel (CSU) von der ostdeutschen Regierung fordert. Allerdings müsse dazu eine "schlagkräftige Beteiligungsverwaltung" aufgebaut werden. Und so wird schon ein Monat nach Verabschiedung des veränderten Treuhandgesetz Ex-Bahnchef Reiner Maria Gohlke zum Treuhand-Präsidenten ernannt. Und der westdeutsche Manager kann kurz darauf an das Kanzleramt den "Privatisierungsdurchbruch" vermelden. Mehr als 9000 Anträge auf Unternehmensprivatisierung, so Gohlke, seien bereits gestellt, in mehr als 1000 Fällen sei die Privatisierung von Betrieben sogar schon abgeschlossen.

Von "Durchbruch" kann keine Rede sein. Die "größte Holding der Welt" steht vor der Mammutaufgabe, 8500 volkseigene Betriebe mit mehr als vier Millionen Beschäftigten in die Privatwirtschaft zu bringen. Hinzu kommen Tausende Hotels, Läden und Gaststätten sowie mehr als 1,7 Millionen Hektar Land, die saniert und umstrukturiert, an Investoren übergeben oder abgewickelt werden müssen.

Den Ostdeutschen aber sollte die Veräußerung von Volkseigentum so gut wie gar nichts bringen. Dabei hatte Gohlke-Nachfolger Detlev Karsten Rohwedder, der im April 1991 ermordet wurde, kurz nach seinem Amtsantritt im August 1990 den "ganzen Salat aus der DDR-Hinterlassenschaft" auf 600 Milliarden D-Mark geschätzt. Rohwedder freilich war nicht der Einzige, der sich damals gründlich verschätzte. Viereinhalb Jahre später, zum Jahresende 1994, legte Rohwedder-Nachfolgerin Birgit Breuel eine ernüchternde Treuhandbilanz vor: Knapp 4000 Ost-Betriebe waren geschlossen worden. Mehr als zweieinhalb Millionen Menschen hatten dadurch ihren Arbeitsplatz verloren. Statt Privatisierungsgewinne hatte die Anstalt mehr als 250 Millionen D-Mark Schulden gemacht. Und was an "Volkseigentum" mehr oder weniger erfolgreich privatisiert wurde, befand sich nun zu mehr als 80 Prozent in westdeutschen und zu zehn Prozent in ausländischen Händen. Den Ostdeutschen blieb nur der kümmerliche Rest.

© SZ vom 16.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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