Praxistest:Eine Chance für Karina

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Jugendliche ohne Schulabschluss oder mit schlechten Noten erhalten oft keinen Ausbildungsplatz. Eon und die Agentur für Arbeit wollen das ändern - mit Erfolg.

Hans-Willy Bein und Simone Lankhorst

Der Lebensweg von Karina Behr verlief alles andere als geradlinig. Mit 18 flog die Bochumerin von der Gesamtschule, "so aus Doofheit, weil ich nie da war, wo ich eben hätte sein sollen." Sie machte ihr freiwilliges soziales Jahr im Altenheim, holte ihr Fach-Abi nach. Dann jobbte sie drei Jahre. "Das musste sein, weil ich von zu Hause ausgezogen war." Aber einen richtigen Beruf lernte sie zunächst nicht.

Jugendliche ohne Schulabschluss, mit schlechten Noten oder gebrochenem Lebenslauf haben kaum Chancen, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Selbst Schüler mit ordentlichem Haupt- oder Realschulabschluss haben es schwer. Viele Betriebe scheuen die Kosten und die Risiken. Doch es geht auch anders, wenn es Menschen und Unternehmen gibt, die solche jungen Leute nicht allein lassen. Das zeigt zum Beispiel das Projekt "Mit Energie dabei", das die Agentur für Arbeit, die von der evangelischen Kirche getragenen Gesellschaft für Arbeitsförderung, berufliche Bildung und Soziokultur (Gabs) und der Eon-Konzern auf die Beine gestellt haben.

Seit mittlerweile zehn Jahren macht "Mit Energie dabei" junge Menschen bis 25 Jahre fit für den Arbeitsmarkt - mit großem Erfolg. Inzwischen läuft das Projekt bundesweit mit 22 Standorten und derzeit mehr als 460 Teilnehmern wie noch vor ein paar Monaten Karina Behr.

Im Januar 2007 hatte die 21-Jährige ihr Vorstellungsgespräch bei der Gabs in Bochum. Sie wurde genommen, "und dann hat mich wieder der Ehrgeiz gepackt", erzählt die junge Frau. Das nachfolgende Hotel-Praktikum war zwar nichts, was sie dauerhaft machen wollte, und der zweite Praktikumsbetrieb, ein Reisebüro, hatte nicht die Kapazitäten, Auszubildende aufzunehmen. Aber über das Internet fand sie schließlich die Stellenanzeige des Restaurants "Hopfengarten" in Bochum. Dort ist sie nun Azubi im ersten Lehrjahr. Die Bochumerin, die von sich selbst sagt "Ich kann mich schwer festlegen", hatte bei der Gabs gelernt, worum es geht: "Dort haben sie gesagt: 'Karina, du musst Dich endlich entscheiden'."

So ähnlich wie ein Trainingslager

Restaurant-Inhaber Mirko Wuttig (30) kann sich noch gut an seinen ersten Eindruck von Karina beim Vorstellungsgespräch erinnern: "Wir sind ein junges, kreatives Team. Karina war genau so, dass sie zu uns passte: extrovertiert, sehr kommunikativ, gutes Auftreten." Karina ist so viel Lob vom Chef etwas peinlich. Aber sie fühlt sich sichtlich wohl an ihrem Arbeitsplatz: Selbstbewusst trägt sie ihr Kellner-Outfit, ein schwarzes T-Shirt mit dem Aufdruck "Blutwurst und Ananas", das Motto des Restaurants, welches in der Kneipe vorne rustikale Hausmannskost und im schicken Hinterbereich exotische Küche serviert. Karina mag ihren Beruf, fühlt sich gefordert, und - was für sie ganz wichtig ist - sie bekommt Verantwortung übertragen.

Die Zeit bei Gabs ist für die Jugendlichen so etwas wie ein Trainingslager. Drei Monate werden sie in einem Lehrgang fachlich und sozial geschult. Es folgt ein siebenmonatiges Praktikum in einem Betrieb, den sie sich vorher selbst gesucht haben. Im Idealfall können die jungen Leute hier danach eine Ausbildung beginnen, "Klebeeffekte" nennen das die Macher von "Mit Energie dabei."

"Es ist nicht unser Ziel, die Jugendlichen zu übernehmen und die Besten herauszupicken", sagt Christoph Dänzer-Vanotti, Personalvorstand und Arbeitsdirektor des Eon-Konzerns. "Für uns ist es ein viel größerer Erfolg, dass die allermeisten Jugendlichen in dem Betrieb unterkommen, bei dem sie das Betriebspraktikum absolvieren." Die Kooperation mit Eon hat für Berufsberater Klaus Lindenberg von der Arbeitsagentur in Gelsenkirchen einen "besonderen Charme". Dadurch gebe es mehr finanziellen Spielraum, stark an der beruflichen Praxis orientierte Praktikumsplätze zu finden, sagt er.

Bei Kevin Pietron (18) aus Marl hat das auch geklappt. Nach seinem Hauptschulabschluss hat er sich als Industriemechaniker beworben, später auch für andere Berufe. "Ich hab insgesamt über 100 Bewerbungen geschrieben. Aber es kamen immer nur Absagen." Irgendwann wandte sich Kevin an das Arbeitsamt, dort erfuhr er von dem Projekt bei der Gabs. "Ich wurde sofort genommen und habe auch direkt einen Praktikumsplatz bekommen." Allerdings nicht in der Industrie, sondern bei einem Marler Bäckermeister. Nach dem einjährigen Bäcker-Praktikum war Kevins Chef so zufrieden, dass der junge Mann direkt einen Ausbildungsvertrag bekam.

Es gebe in Deutschland leider viel zu viele Jugendliche, deren Akten man zu schnell unter "schlecht vermittelbar" abhefte. " Das können wir nicht einfach hinnehmen", sagt Eon-Personalchef Dänzer-Vanotti. "Wenn Sie sich am Anfang der Maßnahme mit den Jugendlichen unterhalten, erleben Sie viel Enttäuschung und sehen, dass viele Teilnehmer wirklich nicht ausbildungsreif sind. Diesen Jugendlichen wollen wir eine neue Chance geben."

Damit die Betriebe, wie im Fall von Kevin, mitziehen, übernimmt Eon die Kosten, die während des Praktikums anfallen, inklusive der Vergütung für die Jugendlichen von 325 Euro. Seit 1997 hat der Konzern dafür fast acht Millionen Euro locker gemacht. "Allein im letzten Jahr lag unser Budget bei 2,8 Millionen", sagt Dänzer-Vanotti. Nicht mitgerechnet das Engagement der Eon-Mitarbeiter, die "Mit Energie dabei" vorantreiben. Dänzer-Vanotti spricht von einem "Erfolgsmodell", was Berufsberater Lindenberg sofort bestätigt: Rund 1100 Teilnehmer haben inzwischen das Programm absolviert. 75 Prozent sind in Arbeit oder Ausbildung gekommen.

Nachahmer gesucht

Dieses Ziel hat auch der Ausbildungspkat, den schon vor Jahren die Spitzenverbände der Wirtschaft und die Bundesregierung geschlossen haben. Nachahmer für Einzelprojekte wie "Mit Energie dabei" sind dagegen gesucht. Gerade für kleine und mittlere Betriebe hat das Projekt den Vorteil, dass sie sich ein gutes Bild von ihrem potentiellen Auszubildenden machen können. Klappt es gut mit den Praktikanten, ist der Betrieb bereit, in die Ausbildung zu investieren. Jeder zweite Teilnehmer der "Mit Energie dabei"-Maßnahme bleibt als Azubi in seinem Praktikumsbetrieb.

Wie Kevin und Karina hat auch Sarah Stute von dem Projekt profitiert. Die 20-jährige Essenerin begann 2005 eine Ausbildung zur Zahnarzthelferin, brach nach zwei Monaten aber entnervt ab. Nach Jobs bei einem Supermarkt und einer Fast-Food-Kette stieß sie im Januar 2006 in der Zeitung auf eine Annonce für "Mit Energie dabei". Die Essenerin freut sich heute noch, wie schnell dann alles ging: Das obligatorische Praktikum absolvierte sie in einem Ingenieurbüro in Essen. Das Projekt kannte ihr Chef nicht, aber da er nichts bezahlen musste, ließ er sich darauf ein. "Hinterher war er richtig begeistert", erzählt Sarah. So begeistert, dass er die junge Frau nach dem Praktikum behielt.

© SZ vom 01./02.12.2007/mah - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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