Praxistest:Der elektronische Patient

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2008 sollen alle Versicherten die Gesundheitskarte erhalten, doch die Technik funktioniert noch längst nicht einwandfrei - zum Ärger der Krankenkassen und Ärzte.

Jahel Mielke

Die Zukunft des Gesundheitswesens besteht aus einer Plastikkarte und einem kleinen grauen Kasten. Doch jetzt in diesem Augenblick scheint diese Zukunft unglaublich kompliziert.

Karte im Test: Der Start der Gesunheitskarte könnte sich weiter verzögern, befürchten Kritiker. (Foto: Foto: dpa)

Martin Litsch steht in der Arztpraxis des Urologen Hans-Peter Peters in Bochum und schiebt das kreditkartengroße Plastikstück in das kleine graue Lesegerät. Die Karte mit Foto und Speicherchip ist die neue elektronische Gesundheitskarte, die in Zukunft alle Versicherten, Arztpraxen, Krankenhäuser und Apotheken vernetzen soll. Nach einigem Hin und Her erkennt das Gerät die Karte, der Patient wird im Computer mit seinen Versichertendaten angezeigt.

In der Praxis von Peters wird seit Juni erprobt, was eigentlich schon Realität sein sollte: Seit 2006 sollte die elektronische Gesundheitskarte in den Portemonnaies der Versicherten stecken. Nun bekommen jeweils 10.000 Patienten die Karte in der Testregion Bochum-Essen und in sechs anderen Gebieten Deutschlands zur Probe. Im nächsten Frühjahr sollen alle Bürger sie erhalten. Die Einführung kostet den Bund etwa 1,6 Milliarden Euro. Doch der schwierigste Patient ist die Gesundheitskarte selbst.

Geheimes neues System

In Bochum haben gerade einmal 2000 Patienten ihre Karte erhalten, die dazugehörigen Geheimzahlen wurden erst Mitte September verschickt. Geheim soll es sein, das neue System. Auch die Patientenkarte funktioniert nur, wenn sie gleichzeitig mit dem Heilberufsausweis des Arztes im Lesegerät steckt. Erst wenn beide ihre Geheimzahlen eingeben sind die Daten lesbar.

In der Theorie soll die Karte viel können: zum Beispiel Krankendaten speichern, um Wechselwirkungen, Doppeluntersuchungen und falsche Diagnosen zu verhindern. Auf der Karte sollen alle Rezepte gespeichert sein - genauso wie wichtige Notfalldaten. Mit dem schnellen Zugriff auf die Blutgruppe oder Allergien gegen Arzneien sind bei einem Unfall lebensbedrohliche Fehler besser vermeidbar. Doch zur Zeit wird in den Tests nur eine abgespeckte Karte verwendet. Diese Version ist noch nicht vernetzt, die Ärzte können nur Notfalldaten und bald auch elektronische Rezepte auf dem Chip speichern. Damit kann der Patient in der Apotheke Medikamente abholen.

Akte nicht lesbar

Selbst das will aber in Bochum nicht richtig funktionieren. "Eigentlich sollte ich jetzt Notfalldaten eintragen können", sagt die Arzthelferin in Peters' Praxis und klickt im Programm herum. Eine Kollegin kommt zu Hilfe, kann aber in den Unterlagen nichts finden. Der Patient Martin Litsch, selbst Leiter der Arbeitsgemeinschaft elektronische Gesundheitskarte und Vorstand der AOK Westfalen-Lippe, versucht, den Ausweis ein letztes Mal einzustecken. Aber es tut sich nichts - die Mitarbeiter kennen das Programm noch nicht gut genug.

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Mehr noch: Nur wenige der 180 Ärzte, die in Nordrhein-Westfalen seit Juni am Modellversuch teilnehmen sollen, haben wie Peters überhaupt die Software, um die Karte richtig einsetzen zu können. Das liegt daran, dass Ärzte, Krankenkassen und Apotheken unterschiedliche Systeme verwenden.

Jedes dieser hundert EDV-Programme braucht spezielle Anwendungen für die elektronische Gesundheitskarte, die die Computerfirmen erst ergänzen müssen. "Die Verzögerungen hängen auch an der Industrie. Wir sind auf deren Zulieferung angewiesen", sagt Daniel Poeschkens von der Gematik. Die Organisation, 2005 von Spitzenverbänden des Gesundheitswesens gegründet, kontrolliert die technische Entwicklung der Karte und errechnet Kosten. 6000 Euro Zuschuss erhalten Ärzte, die sich am Modellversuch beteiligen, von der Gematik. Damit können sie Lesesysteme für die Karten einrichten und Software bestellen.

Kritiker prophezeien Start erst 2010

Die wichtigste Neuerung für Ärzte und Patienten funktioniert allerdings noch nicht: Bisher ist es nicht möglich, auf dem PC in jeder Praxis eine elektronische Krankenakte aufzurufen. Dafür muss die Karte online funktionieren. Und das tut sie nicht.

Eigentlich brauchen Ärzte und Krankenhäuser dafür nur einen Internetzugang. Peters' Praxis ist mit modernen Computern ausgestattet. "Aber wir können nicht unverschlüsselt ins Netz gehen." Der AOK-Bundesverband hält es deshalb für unsinnig, dass überhaupt die abgespeckte Offline-Version ausgegeben wird. Das Gesundheitsministerium will 2008 erste Online-Tests mit der Karte machen. Skeptiker befürchten, dass eine wirkliche Daten-Vernetzung von Patient und Arzt frühestens 2010 möglich sein wird.

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Peters hat genau ein Lesegerät in seiner Praxis, das steht vorne am Empfang. Wie er gemeinsam mit dem Patienten Daten auf die Karte schreiben soll, weiß er nicht. Jedes Mal müssten beide nach vorne laufen, um Zugang zur Akte zu bekommen. Schließlich soll der Patient selbst entscheiden, welche Daten der Arzt sehen darf; er muss nicht seine gesamte Krankheitsgeschichte offenlegen. Sicherheitsbedenken hat Peters nicht. Das neue System haben Datenschützer mitentwickelt und verschlüsselt.

Die Ärztevertretung Marburger Bund sorgt sich aber um die Speicherung der Daten auf den Servern. "Solche Mengen an Informationen wecken Begehrlichkeiten, das haben wir bei der Maut gesehen", sagt Geschäftsführer Armin Ehl. Er schlägt vor, per Gesetz auszuschließen, dass die Daten von Patienten in andere Hände gelangen können.

Aber das ist nicht das Einzige, was die Ärzte derzeit umtreibt. Sie haben Angst davor, dass die Karte und das aufwändige Prozedere auf Unverständnis bei den Patienten stößt und das Verhältnis zum Doktor stören könnte. Außerdem sehen sie hohe Kosten für das Installieren der Systeme auf sich zukommen.

Auch der Marburger Bund kritisiert die Offline-Version der Karte. "Das ist, als würden Sie eine riesige Autobahn bauen, um dann einen Trabi darauf fahren zu lassen", sagt Ehl. Von solchen Bedenken hält Peters wenig. Teuer werde es nur für Ärzte, die technisch schlecht ausgerüstet seien. In seiner Praxis stehen keine Massen von Patientenkarteien mehr, alles läuft elektronisch. "Mit konsequentem Einsatz der Karte gibt es durchaus Einsparpotenzial", sagt der Urologe.

Viel wichtiger sei es zu klären, wer in Zukunft für das Eintragen der Daten und Beraten des Patienten im Umgang mit der Karte bezahle. "Dafür", glaubt Peters, "zahlen sicherlich die Versicherten die Zeche''.

© SZ vom 29.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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