Porträt:Die soziale Rebellin

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Reinhold Würth überführte sein Schraubenimperium schon früh in eine Familienstiftung. Seine Tochter Bettina leitet und kontrolliert das Top-Management der Würth Gruppe.

Von Dagmar Deckstein

Bettina Würth, 55, hat in ihrer Bodenständigkeit bis heute alles andere im Sinn, als sich einen Ferrari anzuschaffen. Die vierfache Mutter, seit 2006 Beiratsvorsitzende des väterlichen Familienbetriebs im baden-württembergischen Künzelsau, könnte sich natürlich allerlei kostspielige Sperenzchen leisten, aber wieso sollte sie im Ferrari durch Hohenlohe brausen?

Die Tochter des "Schraubenkönigs" Reinhold Würth, die "Königin der Schrauben", wie sie schon mal tituliert wurde, hält überhaupt nichts von Neureichen-Protz in Form sauteurer Sportwagen. Geschweige denn ihr Vater Reinhold Würth. Der baute schon 1987 vor - da war er gerade mal 52 Jahre alt. Seinen Antrieb zur Gründung einer Familienstiftung fasste Würth einmal in der Aussage zusammen: "Die Kinder und Enkel sollen das Vermögen nicht in Ferraris verjubeln können." Die Chancen, dass das passieren könnte, gehen seither gegen null.

Reinhold Würth, der heute 82-jährige Firmenpatriarch, hatte 1954, nach dem frühen Tod seines Vaters, mit gerade mal 19 Jahren von seinen Eltern Adolf und Alma eine Handlung für Schrauben, Muttern und Nägeln übernommen. In den folgenden Jahrzehnten machte er aus dem Zwei-Mann-Laden ein international agierendes Unternehmen der Befestigungs- und Montagetechnik. Mit heute 71 400 Mitarbeitern und einem Umsatz von 11,8 Milliarden Euro im Jahr 2016. Keine Frage, dass so ein lukratives Schraubenimperium Begehrlichkeiten jeglicher Art innerhalb und außerhalb der Familie wecken könnte.

Es war ja nicht allein die Ferrari-Frage, die Reinhold Würth schon in seinen Mittvierzigern umtrieb. Ihm ging es vor allem darum, wie er das Erbe seines Unternehmens bestmöglich bewahren könnte. Er habe durch eine frühe Lösung vermeiden wollen, in Altersstarrsinn das Unternehmen zugrunde zu richten, sagte der Schwabe einst. Aus diesem Grund gliederte er sein Lebenswerk 1987 in die nach seinem Vater benannte Adolf-Würth-Stiftung ein, welche die vier Familienstiftungen seiner Frau Carmen und seiner drei Kinder Bettina, Marion und Markus zusammenfasst.

Destinatäre, also die Empfänger der Stiftungsausschüttungen, sind die Kinder und Enkel von Würth. Mit der Stiftungslösung wollte Würth die Unternehmensgruppe vor allem vor den Folgen eines Problems bewahren, das schon so manches Familienunternehmen in den Ruin getrieben hat: einen möglichen Grabenkampf der Erben, der beispielsweise dazu führen kann, dass ein Familienstamm mit Firmengeld teuer ausbezahlt werden muss. Die Stiftung soll derartiges verhindern. Sie gehört nämlich sich selbst, die Erben können keinerlei Eigentumsansprüche stellen. Mit den regelmäßigen Zuwendungen an die Nachkömmlinge ist zudem deren finanzielle Zukunft gesichert, ohne dass das Unternehmen ausgenommen werden kann.

Mit der sorgfältig konzipierten Stiftungsstruktur nutzte Würth die Möglichkeit der unternehmensverbundenen Familienstiftung, um seiner Firma sowohl ein Dach als auch eine undurchdringliche Mauer zu geben. Ein Dach, unter dem das Unternehmen ganz im Sinne des Unternehmensgründers wachsen und gedeihen kann, und eine Mauer, hinter der es vor den Konsequenzen geschützt ist, die sowohl GmbHs als auch AGs sonst regelmäßig ereilen können: von der Erbstreitigkeit über die Veräußerung von Anteilen zugunsten eines hedonistischen Lebensstils bis hin zu feindlichen Übernahmeversuchen durch Konkurrenz oder Investoren.

"Mit diesen Zeugnissen nimmt dich keiner. Du fängst bei mir an."

Gesellschaftsrechtlich treten die Carmen Würth-, Bettina Würth-, Marion Würth- und Markus Würth-Familienstiftung als Kommanditisten der Adolf Würth GmbH & Co. KG auf. Die Stiftungen sind also Gesellschafter einer Kommanditgesellschaft und stellen damit eine Holding-Struktur her. Und da Stiftungen grundsätzlich nur sich selbst gehören, bestehen an den Würth-Familienstiftungen keinerlei Beteiligungsrechte oder -pflichten. Damit muss kein Erbe rechtliche Verantwortung fürs Vermögen übernehmen - aber gleichzeitig kann auch kein Erbe der jetzigen oder späteren Generation Schritte ergreifen, die dem Betriebsvermögen schaden könnten. Außerdem ist die Versorgung aller Nachkommen so lange gesichert, wie die Unternehmensgruppe Geld erwirtschaftet.

Über alledem thront der Beirat, geführt von Bettina Würth. Das elfköpfige Gremium genehmigt die Unternehmensplanung und die Verwendung der Finanzmittel, berät in strategischen Fragen und bestellt das Top-Management. Beirats-Mitglieder sind Manager anderer Unternehmen, Reinhold Würth fungiert als Ehrenvorsitzender. Was aus einem kleinen Schraubenhändler alles werden kann, hat Reinhold Würth eindrucksvoll bewiesen. Dass aus Tochter Bettina eine mächtige Firmenlenkerin werden kann, hat das "Töchterle", wie er sie nennt, ebenfalls gezeigt. Zumal Vater Reinhold noch vor deren Inthronisation als Beiratsvorsitzende einmal sagte: "Zwischen uns ist abgesprochen, dass sie nicht die Nummer eins wird, weil ich ihr das als vierfacher Mutter gar nicht zumuten möchte."

Die jüngste Tochter Bettina rebellierte einst gegen die strenge Schule und den dominanten Vater, indem sie mit 16 die Schule abbrach, in München als Kindergärtnerin im Problemviertel Hasenbergl arbeitete, lila Latzhosen trug und in der Buchhandlung Hugendubel am Marienplatz Bücher über emotionale Intelligenz las. "Die Rebellion war wichtig für mich, sagt sie heute, "damals habe ich gelernt, mich zu positionieren." Erst mit 23 Jahren tauschte sie Latzhose gegen Kostüm. Sie hatte an eine Banklehre gedacht, doch der Vater sagte: "Mit diesen Zeugnissen nimmt dich keiner. Du fängst bei mir an." Von der Lehre zur Industriekauffrau arbeitete sie sich bis zur Konzernspitze hoch. Und der bis heute allgegenwärtige Vater? "Natürlich ist er in der Firma noch präsent. Aber zwischen uns gibt es kein Kompetenzgerangel."

Vom Beirat aus steuert sie das Milliardenunternehmen, stets mit der strategischen Perspektive: "Was muss ich tun, damit das Unternehmen auch in zehn Jahren erfolgreich ist?" Dass es da manchmal zu Diskussionen zwischen Vater und Tochter kommen kann, liegt auf der Hand. Aber die fänden stets hinter verschlossenen Türen statt, heißt es.

Vom Vater, dem Kunstmäzen, hat Tochter Bettina offenbar auch das Gemeinnützigkeits-Gen geerbt. Sie gründete 2006 in Künzelsau die Freie Schule Anne-Sophie, eine auf reformpädagogische Schulbildung ausgerichtete Ganztagsschule. Deren Name geht auf ein tragisches Unglück zurück: 1998 wurde Bettinas älteste Tochter beim Familienurlaub in Davos beim Rollschuhlaufen von einem Auto überfahren. Ein schwerer Schlag für die Familie.

Reinhold Würth sagte einmal, er habe sich immer an einem Werk des Spätimpressionisten Giovanni Segantini mit dem Titel "Das Werden, das Sein, das Vergehen" orientiert, und sein Unternehmen solle möglichst lange im Zustand des Werdens erhalten bleiben. Es spricht nichts dafür, dass der Würth-Gruppe in absehbarer Zeit das Vergehen droht. Dafür sorgt nicht nur die ausgeklügelte Familienstiftung, sondern auch die vierfache Mutter Bettina Würth.

© SZ vom 05.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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