Porträt:Der Mutmacher

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22 Jahre lang hat Jürgen Domian in seinem WDR-Talk Verzweifelten Mut zugesprochen. Dann hat er eine Entscheidung getroffen, mit der viele hadern würden: Er hat aufgehört.

Von David Denk

Nach dem Ende seines nächtlichen Call-in-Talks hat Jürgen Domian sich zu einer Art Gesprächstherapie überreden lassen. "Domian redet" hieß die Veranstaltungsreihe, mit der er Anfang 2017 durch Nordrhein-Westfalen getourt ist. Auf der Bühne in Krefeld oder Marl tat der 60-Jährige, was er bei " Domian" konzeptgemäß meist den Anrufern überließ: Er erzählte aus seinem Leben mit der und ohne jene Sendung, die er in der Nacht vom 16. auf den 17. Dezember 2016 zum letzten Mal moderiert hatte. Im Sendegebiet des WDR-Jugendradios Eins Live kannte jeder halbwegs junge Mensch diese Stimme und durch die parallele TV-Übertragung im dritten Programm auch sein Gesicht, und jeder von ihnen erinnert sich an das eine oder andere Schicksal, das hier im Schutze der Dunkelheit ausgebreitet wurde.

Die Tour war die Idee seines Chefs, Domians Reaktion zunächst skeptisch. Ein Abend im Zeichen einer Sendung, die es gar nicht mehr gibt? Wer soll denn da hinkommen? Und dann waren die Shows reihenweise ausverkauft, und das Publikum begrüßte ihn mit Standing Ovations. "So eine Euphorie hatte ich noch nie erlebt", sagt er, "im Nachhinein empfinde ich das als sehr schönes Abschiedsgeschenk" (das der WDR am 5. Januar um 23.30 Uhr in einem einstündigen Zusammenschnitt zeigt).

Dies ist die Geschichte eines Abschieds, der selbstgewählt war, aber keineswegs freiwillig: Nach drei Hörstürzen und wiederkehrenden Herzrhythmusstörungen, Domian spricht von "Warnschüssen", ist er dem Rat seiner Ärzte gefolgt und hat das kräftezehrende Nachtleben drangegeben, diese Parallelwelt, in der er sich 22 Jahre lang permanent bewegte, außer in den Sommerferien. "Aus der Nacht rauszukommen, war und ist eine Befreiung", sagt er. Nun kann er sich wieder zum Abendessen verabreden oder zum Interview, ohne in Gedanken schon die nächste Sendung vorzubereiten. 22 Jahre - das ist mehr als die Hälfte der durchschnittlichen Lebensarbeitszeit. Hat ihn die Entscheidung Mut gekostet? Domian zögert: "Nein, Mut erfordert es etwa, einem Menschen zu helfen, der gerade zusammengeschlagen wird." Lieber spricht er von der "Herausforderung, diese Entscheidung dann auch in die Tat umzusetzen". Da sei Konsequenz gefragt. Im Nachhinein freut er sich, den Absprung so würdevoll geschafft zu haben "und nicht rausgetragen werden zu müssen wie so viele Kollegen". Mehr als 20 000 Telefongespräche hat Domian in all den Jahren geführt, von denen aber weniger die schiere Masse in Erinnerung bleibt als vielmehr ihre Intensität. Domian weiß um die Lücke, die das Ende von "Domian" gerissen hat, in seinem eigenen Leben, in dem er nun mit weitaus weniger Input auskommen muss, vor allem aber bei den Anrufern, denen er mit beinahe unverwüstlicher Empathie begegnete. Für deren Sorgen und Nöte war Domian oft die letzte Zuflucht. Umso erleichterter ist er, dass ihm die Entscheidung, aufzuhören, "in keiner einzigen von Tausenden Zuschriften übel genommen" wurde.

Es gibt nicht viele Fernsehmenschen, die Sätze über sich mit der Bemerkung "Vielleicht haben Sie es verfolgt" einleiten. Domian ist eitel genug, sich ins Fernsehen zu setzen, aber nicht eitel genug, um das Studium seiner Vita als selbstverständlich vorauszusetzen. Er kann und will sich zurücknehmen. Wahrscheinlich hat der damalige WDR-Intendant Fritz Pleitgen das gespürt, als er Domian 1995 die Sendung ermöglichte. Der nennt sie "ein großes berufliches Glück". Er will sicher nicht undankbar klingen, wenn er dennoch sagt: "Ich habe mich nicht definiert über diese Sendung, am Anfang vielleicht, aber das war ein Fehler. Der Mensch ist viel mehr als seine Arbeit."

Domian hat eine ausgeprägte spirituelle Ader, beschäftigt sich seit Jahren mit dem Zen. Wer ihm in seinem Kölner Stammcafé gegenübersitzt, diesem bemerkens-, wenn nicht gar beneidenswert gelassenen Mann, könnte leicht vergessen, dass nicht nur Domian seine Sendung geprägt hat, sondern "Domian" mindestens ebenso sehr ihn. Er habe mit so vielen tollen Leuten sprechen können, wovon er sehr profitiert habe, sagt er: "Vor allem die Menschen, die trotz schwerer Schicksale wacker im Leben standen und aus verzwickten Situationen heraus einen Neuanfang gewagt haben, waren für die Zuschauer wie für mich Vorbilder." Angst vor der Zeit nach der letzten Sendung zu haben, wäre ihm daher läppisch vorgekommen.

Es war wohl gerade diese Win-win-Situation, die Symbiose zwischen dem Moderator und seinem Publikum, die das Format über so viele Jahre lebendig gehalten hat. Wichtiger, als selbst Mut zu tanken, war Domian in der Sendung stets, den Anrufern Mut zu machen - auch wenn es oft schwerfiel: "Wenn ich mit einer Mutter spreche, deren Kind entführt, sexuell missbraucht und ermordet wurde, gibt es keinen Trost." Domian, der ja kein ausgebildeter Therapeut ist, musste sich auf seine Intuition verlassen - und traf meist den richtigen Ton. Sein Publikum schätzte ihn gerade für diese direkte, ungekünstelte Ansprache. Mehr noch: Von vielen wurde er verehrt, von manchen sogar geliebt.

Domian hat nie verbale Almosen verteilt, aber sich auch im Gespräch mit Verzweifelten nach Kräften bemüht, einen Hoffnungsschimmer zu finden. "Auch die reine Anwesenheit kann schon helfen, dass da jemand ist, der zuhört, die Leute ernst nimmt", sagt er, "das musste ich auch erst lernen." Ohnmächtig habe er sich nie gefühlt. Stattdessen schwärmt er von "hochintimen akustischen Momenten": "Man kann Menschen auch mit Worten in den Arm nehmen."

Zu seinen Lesungen kommen viele, um ihm nahe zu sein - wie damals im Autoradio

Sein nächstes Format soll trotzdem eines sein, in dem er seine Gesprächspartner sehen kann. Eine "No-Name-Talkshow", eine mit ganz normalen Menschen, schwebt ihm vor, diesmal nur fürs Fernsehen. Er verhandelt noch, abwartend. Wo ist das Feuer? "Ich werde entflammt sein, sobald die Sache entschieden ist", sagt er. "Klar muss man auch schon in Vorgesprächen mit Elan dabei sein, aber in einem klugen Maß." Zu verkrampfen sei kontraproduktiv: "Erfolg lässt sich nicht erzwingen." Und was, wenn nichts draus wird? "Ich habe mich schon bei meinem Abschied von 'Domian' nicht von Anschlussprojekten abhängig gemacht und habe auch jetzt nicht vor, das zu tun." Dann konzentriere er sich halt auf seine Bücher. Im neuen Jahr geht Domian mit seinem Roman "Dämonen" auf Lesetour.

Viele werden kommen, um ihn zu sehen, ihm nahe zu sein, wie damals im Autoradio oder als sie schlaflos durch die Kanäle zappten. Auch die, die nie im Studio angerufen haben, sind dankbar dafür, dass sie jederzeit hätten anrufen können. Aus einem Radiomoderator ist ein Held geworden, und aus seiner Sendung eine kollektive Erinnerung. "Früher wäre man zack, zack weggewesen", glaubt Domian, "heute hat das einen längeren Nachhall." Die Sendung ist Geschichte. Und doch noch nicht ganz vorbei.

© SZ vom 02.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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