Plagiate:Alles nur geklaut

Lesezeit: 6 min

Produktpiraterie kostet bis zu 70000 Jobs in Deutschland, aber viele Firmen reden nicht gern darüber. Die Seuche grassiert in allen Branchen.

Von Nina Bovensiepen

Einmal hat Manfred Lotze der Müll im Papierkorb gereicht, um den Tätern auf die Spur zu kommen. Es ging um gefälschte Tennisschläger. Ein Händler, der die Imitate vertrieb, hatte einen Scheck für den Lieferanten zerrissen weggeworfen. "Wir mussten nur die Schnipsel zusammensetzen und hatten die Fälscher", sagt Lotze.

Mit gefälschten Produkten ist viel Geld zu verdienen. (Foto: Foto: AP)

Manfred Lotze ist Detektiv, Wirtschaftsermittler, um genau zu sein. So steht es auf der Visitenkarte des Detektiv-Instituts Kocks, bei dem Lotze seit 42 Jahren arbeitet und es heute leitet. Ein freundlicher, 64 Jahre alter Mann ist der Detektiv, schlank, mit weißen Haaren und wachem Blick hinter einer unauffälligen Brille. Unauffällig ist auch die Detektei: Klein, bescheiden und im Grünen liegt sie in Düsseldorf-Kaiserswerth, mitten in einem Wohngebiet.

In seinem Büro, wo auf dem Holzschreibtisch viele Stapel Papier akkurat sortiert sind, empfängt Lotze Mandanten zum ersten Gespräch. Viele Kunden kommen zu ihm, weil sie Hilfe im Kampf gegen Produktfälscher und Markenpiraten suchen. Ob Tennisschläger, Parfums oder T-Shirts, Medikamente, Flugzeugteile oder ganze Autos - das Geschäft der Fälscher boomt. "Das ist ein Markt, der rasant wächst", sagt Lotze. Der deutsche Zoll beschlagnahmte 2006 Produkte im Wert von 1,1 Milliarden Euro - gemessen am Preis der Originale, das war eine Steigerung um 400 Prozent zum Vorjahr.

Spannung bei der IAA

Die Bundesregierung schätzt, dass Fälscher weltweit Produkte im Wert von 150 Milliarden Euro handeln, Annahmen zufolge gehen durch Piraterie allein in Deutschland bis zu 70000 Arbeitsplätze verloren. Kaum eine Branche ist vor Nachahmern sicher. Wenn sich jetzt die Experten auf der weltgrößten Automesse IAA in Frankfurt treffen, blicken sie auf den Stand von China Automobile: Der Importeuer vertreibt die Autos Shuanghuan Ceo und Nobel, die stark an den Geländewagen X5 von BMW sowie den Smart Fortwo von Mercedes erinnern. Wochenlang rätselte man, ob sie erstmals in Deutschland auftauchen - der Ceo ist nun auf der IAA.

Mit komplett nachgemachten Autos hatte Detektiv Lotze es noch nicht zu tun. Gefälschten Bremsbelägen und Felgen war er mit seinen 32 Mitarbeitern schon auf der Spur. Lotzes Arbeit beginnt meist damit, die gefälschten Produkte ausfindig zu machen. Tauchen die Waren auf Flohmärkten auf oder im Internet? In Werkstätten oder im Handel? Danach erforscht er die Herkunft, um Fälscher oder ihre Händler zu finden. Dazu kann tagelanges Observieren gehören. Mülleimer durchsuchen. Oder Kontaktaufnahme unter anderer Identität. Bei den Tennisschlägern trat Lotze als Sportvertreter auf: "Lügen ist nicht strafbar", sagt er über diese Ermittlungsmethode.

Wenn die Detektive die Fälscher und ihre Produktions- oder Lagerstätte entdeckt haben, schalten sie den Gerichtsvollzieher ein, damit er die Ware beschlagnahmt und vernichtet. Einmal hatten Lotze und seine Mitarbeiter endlich ein Lager mit gefälschtem Parfum entdeckt. Sie riefen den Gerichtsvollzieher. Der kam mit seinem Auto an, weil er die Größe des Fundes unterschätzt hatte: Es waren mehr als 5000 Flakons. Die Detektive holten einen Transporter, schafften die Ware unter Aufsicht des Gerichtsvollziehers in ein Lager, das der versiegelte. "Detektivarbeit kann auch einfach Packerei sein", sagt Lotze.

Diskretion gehört zum Geschäft

Die nachgemachten Parfumflaschen wollte der Mandant besonders schnell vom Markt geschafft wissen, weil der Inhalt auf Kleidung Flecken hinterließ. Der Originalhersteller hatte nicht nur finanzielle Verluste, sondern auch einen Imageschaden. Wer kauft schon den neuen Duft einer Marke, wenn der vermeintliche Vorgänger die Bluse versaut hat?

Die Firmen nennt Lotze nicht, Diskretion gehört zum Detektivgeschäft, immerhin redet er überhaupt über Markenpiraterie. Viele schweigen lieber darüber. Sehr verschlossen sind Pharmahersteller und die Autoindustrie. Ein Besuch in der Fachabteilung? Ausgeschlossen in vielen Firmen. Auskünfte über das Vorgehen gegen Piraten? Schwierig. Kurz vor der IAA hat sich die Lage für die Autohersteller aber zugespitzt: BMW hat Klage gegen den Vertrieb des chinesischen Ceo in Deutschland eingereicht. Daimler-Chrysler behält sich rechtliche Schritte vor. Sonst will man nicht viel über das Thema reden. "Wir machen das Produkt sonst bekannter, als es uns lieb ist", sagt ein Autokonzern-Sprecher. Womöglich könnte das zum Kauf von Plagiaten ermuntern, die oft nur ein Bruchteil kosten. Der Ceo ist in China für ein Fünftel des Preises eines X5 zu haben.

Auch über Probleme mit gefälschten Ersatzteilen kommunizieren die Firmen nicht gern. "Da hätten wir viel zu tun", heißt es bei einem Autohersteller. Nur ab und zu dringt etwas nach außen. Etwa, wenn es prominente Opfer gibt, wie 1998 den Formel-1-Piloten Mika Häkkinen. Beim Großen Preis von San Marino schied er wegen Getriebeschadens aus. Schuld war ein gefälschtes Kugellager.

Tabuthema Piraterie

Im schlimmsten Fall können nachgeahmte Produkte Leben kosten. Gefälschte Bauteile können zu Flugzeugabstürzen oder Autounfällen führen, wirkungslose Medikamente zum Tod. Gefährliche Substanzen in Lebensmitteln oder T-Shirts können Krankheiten und Allergien auslösen. Auch wegen solcher Horrorszenarien reden Firmen nicht gern über die Piraterie: Sie wollen den Konsumenten keine Angst machen. Viele Experten halten diese Verschwiegenheit für ein Problem. "Die Firmen sollten sich stärker zur Wehr setzen, dann steigt auch das Risiko für die Kriminellen", sagt Detektiv Lotze. So sieht es auch der Sporthersteller Adidas. "Wir finden es wichtig, darüber zu reden. Fälscherei ist kein Kavaliersdelikt, sondern eine Straftat", sagt eine Sprecherin des Konzerns.

Modeunternehmer Willy Bogner gewährt Einblick in die Suche nach Fälschern. In der Kopernikusstraße in München sitzen in der Anwaltskanzlei Weickmann und Weickmann jede Woche zwei junge Männer stundenlang am PC und filzen eBay und weitere Internet-Foren nach gefälschter Bogner-Ware. Wenn die beiden, die hier Martin Bach und Robert Scholz heißen sollen, weil ihre Identität geheim bleiben muss, gefälschte Skijacken oder Handtaschen entdecken, kann die Kanzlei in die Auktion eingreifen und sie abbrechen. Dazu müssen Bach und Scholz die Fakes aber erst erkennen.

"Die Fälschungen sind oft so gut, dass sie auf den ersten Blick nicht als solche erkennbar sind", sagt Jürgen Lachnit, Patent-Anwalt und Partner der Kanzlei. Bei einer nachgemachten Skijacke fällt nicht gleich ein Arm ab, es baumelt auch das Bogner-B am Reißverschluss, sie ist für Laien optisch kaum zu unterscheiden vom Original. Auf der Piste aber merkt der Käufer, dass die Jacke nicht richtig wärmt oder Wasser durchlässt. "Der Kunde denkt dann, dass Bogner in der Qualität nachgelassen hat", sagt Lachnit. Deshalb sollen Bach und Scholz die Imitate aus dem Internet fischen, ehe sie auf den Markt kommen. "Wir können nicht verhindern, dass irgendwo auf der Welt Bogner-Produkte nachgemacht werden. Aber wir können Schaden von der Marke auf den wichtigsten Märkten abwenden", sagt Lachnit.

Wöchentliche Kontrolle

Die Kanzlei Weickmann und Weickmann, die im Stadtteil Bogenhausen residiert, beschäftigt sich seit 1882 mit Patent- und Markenrecht. Internet und eBay haben die Arbeit des traditionsreichen Hauses verändert. Technische Fertigkeit wird immer wichtiger. Darin sind Bach und Scholz, der eine Jura-, der andere BWL-Student, manch versiertem Anwalt überlegen. Außerdem müssen die Zwei Produkte von Bogner von Fälschungen unterscheiden können. Das können sie inzwischen gut. Auf dem Tisch in der Kanzlei haben sie acht Taschen ausgebreitet. Bach schließt die Augen, Scholz reicht ihm ein Exemplar - nach ein paar Sekunden hat Bach es blind als Original identifiziert. Oft sind es gröbere Nähte oder minderwertiges Material, an denen Nachahmungen erkennbar sind. Details sind natürlich geheim, man will die Fälscher nicht noch anleiten.

Wenn ein Foto bei eBay nicht reicht, um Fälschung und Original zu unterscheiden, ordern die beiden das Angebot - an verdeckte Adressen, denn eine Kanzlei als Empfänger würde Fälscher misstrauisch machen. Wenn klar ist, dass es sich um eine Nachahmung handelt, mahnt Patent-Anwalt Lachnit den Versender ab. Handelt dieser im großen Stil, beantragt Lachnit eine Hausdurchsuchung. Etwa ein dutzend Mal im Jahr kommt es dazu. Das Vorgehen wirkt. Als die Kanzlei für Bogner den Kampf gegen die Fälscher übernahm, seien bei eBay 100 bis 150 gefälschte Skijacken angeboten worden, sagt Lachnit. Heute tauchten dort ab und an zwei oder drei Jacken auf. Sobald gefälschte Ware aus dem Verkehr gezogen ist, wird sie vernichtet.

Der Preis der Dreistigkeit

Lachnits Mitarbeiter jagen Fälscher nicht nur im virtuellen Raum. Je nach Land und Branche geht die Kanzlei vor. In China hat der Patent-Anwalt für einen Mandanten einmal einen TV-Beitrag über die Durchsuchung bei einem Fälscher drehen lassen. Den Film ließen sie im Fernsehen ausstrahlen. "Mit einer öffentlichen Bloßstellung erreichen Sie in China mehr als mit jeder Strafandrohung", sagt Lachnit.

Aus China kommt nach wie vor das Gros der Nachahmungen. In rund einem Drittel der Fälle, in denen der Zoll 2006 zugriff, waren die Waren dort produziert. Doch es wird weltweit abgekupfert und kopiert, oft sind Indien oder China nur Werkbank westlicher Auftraggeber. Wie dreist die Firmen teilweise vorgehen, vermittelt sich im Museum Plagiarius in Solingen. Mehr als 250Plagiate plus Originale sind hier ausgestellt. Darunter Fälschungen der Schneidwaren aus Solingen. Acht Glasvitrinen sind für Haushaltsutensilien reserviert, etwa falsche Alfi-Isolierkannen, die unter Albi firmieren und den Kaffee nicht warm halten. In einer Vitrine steht der Eieröffner "Clack", den Take2 entworfen hat, eine Designagentur aus Rosenheim. Der Pharmakonzern Boehringer Ingelheim wollte ihn als Merchandising-Artikel haben. Mit Take2 kam man aber nicht ins Geschäft. Was machte Boehringer Ingelheim? Der Konzern ließ den Eieröffner in China nachmachen, billiger und vom Original kaum zu unterscheiden.

Für diesen Ideenklau erhielt der Arzneimittelhersteller 2005 den Plagiarius. Diesen Negativ-Preis erfand der Designer Rido Busse vor 30 Jahren. Zuvor hatte er auf einer Messe ein Plagiat einer von ihm entworfenen Soehnle-Küchenwaage entdeckt. Seither kämpft Busse gegen Nachmacher. Alljährlich verleiht er besonders dreisten Fälschern den Plagiarius, einen schwarzen Gartenzwerg mit einer goldenen Nase, wie Plagiateure sie sich verdienen.

© SZ vom 13.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: