Pillen per Post:Versandapotheken wittern das große Geschäft

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Beruhigungspillen sind in deutschen Apotheken dieser Tage besonders gefragt. Und ihre besten Kunden sind die Apotheker selbst. Der Branche geht es nicht gut. Diagnose: Zukunftsangst. Die Symptome: Umsatz- und Gewinnrückgänge.

Von Markus Balser

(SZ vom 18.11.03) — Sechs Wochen vor dem offiziellen Start des Medikamentenversandhandels läuft der Verteilungskampf der Pharmazeuten auf Hochtouren.

Brachte den Stein ins Rollen: DocMorris aus den Niederlanden versendet Medikamente hauptsächlich nach Deutschland. (Foto: Foto: dpa)

Nach jahrelangem Streit erlaubt das von Bundestag und Bundesrat verabschiedete "Gesetz zur Modernisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung" den Medikamentenversand von Januar 2004 an in Deutschland und liberalisiert gleichzeitig die Preise für rezeptfreie Arzneimittel.

Furcht bei Apothekern

Die Neuregelung wirbelt den Markt kräftig durcheinander. Sie sei der Sargnagel für viele der 21.500 Apotheken in Deutschland, fürchten Branchenverbände. Die etablierten Versandapotheken hoffen dagegen auf das große Geschäft.

Doch auch ihre Rabatte müssen schmaler ausfallen. Web-Apotheker buhlen im großen Stil um neue Kunden. Hinter den Kulissen verhandelt Ralf Däinghaus, als Chef der formal niederländischen, aber vor allem in Deutschland operierenden Internetapotheke Doc Morris erklärter Lieblingsfeind deutscher Apotheker, mit gesetzlichen Krankenkassen über exklusive Kooperationen.

Kooperationen

Einen ersten dicken Fisch hat Däinghaus seit Montag an der Angel: "Wir werden mit DocMorris zusammenarbeiten", verriet die Gmünder Ersatzkasse (GEK).

"Die Kooperation sichert uns Medikamente zu niedrigeren Preisen", sagt GEK-Vorstand Dieter Hebel. Der Grund: Die Niederländer müssen sich nicht an die deutsche Preisbindung bei rezeptpflichtigen Medikamenten halten.

Von Januar an sollen deshalb auch die Beitragssätze für GEK-Mitglieder sinken. "Um mindestens 0,3 Prozentpunkte auf 13,6 Prozent", sagte Hebel. Andere Versicherer wollen nachziehen.

Wenn sich Krankenkassen günstige Konditionen bei einzelnen Versendern sichern, brächte das insgesamt Einsparungen von mehr als einer Milliarde Euro, rechnet der Arzneiverordnungs-Report vor.

Neues Preismodell

Patienten könnte der Einstieg in die virtuelle Einkaufswelt leichter fallen, als Apothekern lieb ist. Damit Versicherte ab Januar tatsächlich in Holland bestellen, und nicht in der Apotheke um die Ecke, haben die Niederländer ein neues Preismodell entwickelt.

DocMorris will von 2004 an nur die Hälfte der dann in Deutschland fälligen Zuzahlung von bis zu zehn Euro pro Medikament verlangen und profitiert dabei von der Rechtslage in den Niederlanden, die eine solche Zuzahlung gar nicht vorsieht. Allerdings spüren auch die Versanapotheken einen raueren Wind.

Spezialisierungen

Neue Wettbewerber wie Pharmakontor oder der Europa Apotheek bringen sich in Position, mancher Rabatt - vor allem in Niedrigpreissegmenten - erweist sich nicht mehr als wirtschaftlich. DocMorris jedenfalls will sich künftig auf Kunden mit regelmäßigem Arzneimittelbedarf spezialisieren.

Macht die Kooperation von Versender und Krankenkasse Schule, könne das ein Apotheken-Massensterben auslösen, fürchten Branchenvertreter. Kampflos wollen stationäre Apotheken der Versandkonkurrenz das Feld nicht überlassen und verbünden sich zu Einkaufsgemeinschaften, um niedrigere Preise bei den Pharmagroßhändlern herauszuschlagen.

Drohende Großkonkurrenz

Doch der Druck wächst von allen Seiten. Denn mit der Gesundheitsreform wird Apothekern erlaubt, bis zu drei Filialen zu eröffnen. Experten erwarten, dass in einem nächsten Schritt auch das Fremdbesitzverbot für Apotheken fallen wird.

Und dann droht Konkurrenz von ganz anderem Kaliber. Pharmagroßhändler wie Phoenix oder Celesio könnten ihre Pläne aus der Schublade holen und über eigene Ketten Medikamente an Endkunden verkaufen. Selbst der US-Riese Wal Mart soll den Einstieg ins Medikamentengeschäft planen.

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