Pharmaindustrie:Projekt Mondpreis

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Eine scheinbar harmlose Zusage an die Pharmaindustrie löst Chaos im Gesundheitssystem aus. Die Unternehmen müssen die tatsächlichen Preise für ihre Pillen nicht mehr angeben. Den Kassen drohen dadurch steigende Ausgaben.

Von Guido Bohsem, Berlin

Es klingt zunächst nach einem harmlosen Gefallen. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hatte den Pharmaunternehmen Vertraulichkeit zugesichert, Vertraulichkeit bei der tatsächlichen Höhe der Preise für ihre Medikamente. Künftig, so der Deal, soll nicht mehr ausgewiesen werden, was die Kassen tatsächlich für die Pillen ihrer Versicherten zahlen. In den offiziellen Listen taucht nach dem Willen des Ministers nur noch der Preis auf, den die Unternehmen gerne für ihre Medikamente hätten, der Mondpreis sozusagen.

Hört sich banal an, für die Pharmakonzerne ist dieser Punkt aber von großer Bedeutung. Immer wieder argumentieren deren Vertreter damit, dass die Preise in Deutschland als Richtschnur dafür dienen, welche Preise sie in zahlreichen anderen Länder für ihre Medikamente nehmen. Ist der Preis in Deutschland hoch, ist er auch in diesen Ländern hoch. Ist er niedrig, sind auch die Margen in den anderen Ländern niedrig. Gewährt Gröhe den Unternehmen also die Möglichkeit, Mondpreise auszuweisen, räumt er ihnen die Gelegenheit ein, in diesen Ländern mehr zu verdienen als sie es eigentlich könnten.

Doch werden diese Mondpreise eben auch die Preise in Deutschland beeinflussen. Das jedenfalls meint der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Je nachdem, wie intensiv die Unternehmen die durch die Mondpreise entstehenden Mechanismen ausnutzen, könnte der Schaden für die Kassen bei mehreren Millionen Euro liegen, sagte der Vize-Chef des GKV-Spitzenverbandes, Johann-Magnus von Stackelberg.

Das kommt so: Der vom Unternehmen ausgewiesene Preis ist in Deutschland zum Beispiel die Grundlage dafür, wie die Apotheker und auch der Pharmagroßhandel bezahlt werden. So erhält der Apotheker für seine Arbeit einen Zuschlag von drei Prozent auf den Abgabepreis des Herstellers. Kostet das Medikament also 300 Euro, nimmt er neun Euro ein. Ist nun ein Mondpreis von 600 Euro die Grundlage für die Kalkulation, steigen die Einnahmen des Apothekers auf 18 Euro. Beim Großhandel ist der Mechanismus ähnlich.

Schlimmer noch, der Preis des Herstellers ist auch die Grundlage für die Umsatzsteuer, die auf das Medikament zu entrichten ist. Auch der Staat würde durch die Regelung also mehr einnehmen als vorher. Steigen würde zudem der Zwangsrabatt der Kassen. Denn diese sieben Prozent Abgabe würde höher ausfallen, wenn der Mondpreis die Grundlage bildet. Stackelberg fordert Gröhe deshalb auf, sein Vorhaben zu überdenken. Falls es doch komme, müsse es zumindest für die Apotheker eine Preis-Obergrenze geben, bis zu der sie abrechnen dürfen.

© SZ vom 14.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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