Pharmaindustrie:Deutschlands Schlaftabletten

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Deutschland galt einmal als Apotheke der Welt. Doch Bayer, Merck, Schering und Co. haben seit langem den Anschluss an die Weltspitze verpasst.

Stefan Weber und Harald Schwarz

Apotheke der Welt - das war ein Titel, mit dem sich der Bayer-Konzern und andere deutsche Pharmaunternehmen lange Zeit gerne schmückten. Und das zu Recht. Denn in der Rangliste der international führenden Arzneimittelanbieter besetzten sie vordere Plätze.

Die größten Pharmakonzerne der Welt rangieren inzwischen weit vor ihren deutschen Konkurrenten. Für die vollständige Grafik auf die Lupe klicken. (Foto: Grafik: SZ)

Das ist lange vorbei. Heute findet sich unter den zehn größten der Branche kein Name aus Deutschland. Stattdessen geben Firmen aus den USA, Frankreich, Großbritannien und der Schweiz den Ton an. Bayer, Schering, Merck und Co. spielen nur noch in der zweiten Liga. Sie haben den Anschluss verpasst.

Das hat mehrere Gründe. Zunächst spielten deutsche Unternehmen bei der Welle der Fusionen und Übernahmen, die die Pharmabranche bereits in den neunziger Jahren erfasste, keine aktive Rolle. Stattdessen waren sie bei dieser Entwicklung entweder Opfer oder Zuschauer.

Aventis blieb nicht lange unabhängig

Prominentester Fall war der Frankfurter Hoechst-Konzern, der 1999 freiwillig mit dem französischen Wettbewerber Rhone-Poulenc zusammenging. Aber auch dieser zur Aventis-Gruppe fusionierte Konzern blieb nicht lange unabhängig.

Der ebenfalls französische Konkurrent Sanofi schluckte Aventis - und es entstand das gemessen am Umsatz weltweit drittgrößte Pharmaunternehmen. An der Spitze rangieren derzeit mit Pfizer und GlaxoSmithKline zwei ebenfalls durch zahlreiche Übernahmen stark gewordene Unternehmen.

Dass der Bayer-Konzern den Kontakt zur Spitze verlor, hat noch einen anderen Grund. Im Sommer 2001 musste das Unternehmen den Cholesterinsenker Lipobay vom Markt nehmen. Dieses Medikament stand in dem Verdacht, schwere Nebenwirkungen auszulösen. Lipobay war nicht nur ein wichtiger Umsatz- und Ertragsbringer, sondern galt als Hoffnungsträger des gesamten Pharmageschäfts von Bayer.

Die Forschungspipeline war leer

Diese Schlappe hätte der Konzern vielleicht noch verschmerzen können, hätte er eine Hand voll aussichtsreicher Produkte besessen, um die entstandene Lücke zu schließen. Aber hier zeigte sich das Dilemma der Leverkusener: Die Forschungspipeline war leer. Zumindest gab es keine Produkte, die schon in naher Zukunft marktreif gewesen wären.

Dieses Beispiel offenbarte in besonderer Weise die Gefahr, der forschende Arzneimittelhersteller ausgesetzt sind. Sie müssen immer wieder mit Rückschlägen bei der Entwicklung und Zulassung von Medikamenten rechnen.

Bis eine Arznei marktreif ist, vergehen meist viele Jahre. Nicht selten investiert ein Unternehmen mehrere 100 Millionen Euro, ehe ein Medikament in der Apotheke erhältlich ist. Dann gilt es, diese Ausgaben möglichst rasch wieder hereinzuholen und zusätzlich eine Rendite zu erwirtschaften.

Doch diese Erntephase fällt immer knapper aus, wie die Pharmaindustrie beklagt. Sie hadert seit langem damit, dass der Patentschutz bröckelt und staatliche Stellen Einfluss auf die Preisgestaltung von Arzneimitteln nehmen.

In Bedrängnis geraten viele Pharmaunternehmen auch durch die zunehmende Konkurrenz von Generika-Anbietern, also Firmen, die gleich nach Ablauf des Patentschutzes Nachahmerprodukte verkaufen.

Risikobegrenzung durch schiere Größe

All diese Risiken lassen sich minimieren durch Größe. Wer einen hohen Umsatz und gute Erträge erwirtschaftet, kann es sich erlauben, viel Geld in die Erforschung und Vermarktung neuer Medikamente zu stecken.

Auch Fehlschläge in der Forschung lassen sich dann leichter verkraften. Denn nach wie vor schafft es nur eines von zehn Arzneimitteln auf den Markt. Branchenbeobachter sind deshalb davon überzeugt, dass die Pharmafirmen in den nächsten Jahren weiter zusammenrücken.

Wachstum schwächt sich ab

Dies auch deshalb, weil sich das Wachstum auf dem Arzneimittelmarkt weltweit abschwächt und die Preise kaum noch steigen. Viele Firmen könnten deshalb versuchen, durch Kooperationen oder auch Zusammenschlüsse ihre Marktposition zu verbessern.

Der Druck, der dabei auf deutschen Pharmafirmen lastet, zeigt derzeit auch das Beispiel Altana. Das mehrheitlich der Quandt-Familie gehörende Unternehmen betonte lange Zeit die Vorzüge einer Strategie, die auf zwei Säulen ruht: dem Spezialchemie- und dem Pharmageschäft. Dieses Bekenntnis hat sich überholt. In diesem Herbst will Altana die Spezialchemie an die Börse bringen, und für das Pharmageschäft wird seit Monaten vergeblich ein Käufer oder strategischer Partner gesucht.

Bayer dagegen will die Entwicklung energisch vorantreiben. Der Traum von einem nationalen Champion, dem viele in der Branche nachhängen, soll endlich Wirklichkeit werden.

Aufstieg aus der zweiten Liga

Dieses Ziel wäre erreicht, wenn Bayer trotz des Störmanövers von Merck bei Schering doch noch zum Zuge käme. An internationalen Maßstäben gemessen wäre Bayer Schering Pharma jedoch kein Anwärter auf einen der vorderen Plätze in der Branchenrangliste. Aber immerhin wäre der Aufstieg aus der zweiten Liga geschafft.

© SZ vom 13.06.06 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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