Patiententourismus:Ins Ausland zum Arzt

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Der Gang zum Arzt jenseits der eigenen Landesgrenze ist für Kassenpatienten, falls überhaupt gestattet, mit hohen bürokratischen Hürden versehen. Der Europäische Gerichtshof entscheidet, ob dies so bleibt.

(SZ vom 12.05.2003) — Mit Spannung erwarten die deutschen Krankenkassen ein Urteil, das der Europäische Gerichtshof in Luxemburg an diesem Dienstag verlesen wird. Die Richter entscheiden dann, ob gesetzliche Krankenversicherungen den Patienten einen Arztbesuch im EU-Ausland in jedem Fall bezahlen müssen, oder ob sie den Patiententourismus weiterhin bremsen dürfen.

Der Besuch bei Zahnarzt im Ausland kann wesentlich billiger kommen, vorausgesetzt die Kasse zahlt. (Foto: dpa)

Bei dem Verfahren vor dem EuGH geht es um zwei niederländische Patientinnen, die von ihrer Kasse ambulante Behandlungen in Deutschland beziehungsweise Belgien nicht erstattet bekamen. Weil die deutschen und niederländischen Krankenversicherungen im Prinzip ähnlich funktionieren, sind die Fälle auch für Patienten und Kassen in der Bundesrepublik interessant.

Die beiden Frauen, V.G. Müller-Fauré und E.E.M. Van Riet, zogen gegen ihre Versicherung vor Gericht und pochten auf den europäischen Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit. 1998 hatte der EuGH in zwei Urteilen genauso argumentiert. Damals verurteilten die Richter die Luxemburger Krankenkassen dazu, nicht nur die inländischen, sondern auch ausländische Arztrechnungen zu erstatten. Die Urteile waren bahnbrechend, ein erster Schritt zum Binnenmarkt im Gesundheitswesen.

Deutsche Kassenpatienten profitierten nicht

In der Praxis aber hatten längst nicht alle europäischen Patienten freie Fahrt zum Arzt ins Ausland. Viele EU-Bürger sind nämlich nach dem so genannten Sachleistungsprinzip versichert, sie zahlen also ihre Arztrechnungen nicht selbst, sondern gehen mit Scheinen oder Versicherungskarten zum Arzt. Für sie galten die Urteile nicht direkt.

Die gesetzlichen Krankenversicherungen in Deutschland spürten so kaum etwas vom prophezeiten Patiententourismus. Die Gesundheitsausgaben für ausländische Leistungen stiegen in der Bundesrepublik von 374 Millionen Euro im Jahr 1998 lediglich auf 406 Millionen Euro 2001, bei Gesamtausgaben von 226 Milliarden Euro für die Kassen bisher kein brisantes Thema.

2001 legten die EuGH-Richter zwar nach. Sie entschieden, dass Krankenkassen trotz Sachleistungsprinzip stationäre Behandlungen im Ausland bezahlen müssen. Die Versicherten müssen sich die Reise von den Kassen zwar vorher genehmigen lassen, diese können die Genehmigung aber nur verweigern, wenn im Inland rechtzeitig eine vergleichbare Behandlung möglich wäre.

Selbst in den Ländern mit akutem Bettenmangel kam es nicht zu großen Patientenwanderungen. Fachleute sprechen von ein paar tausend Fällen. Die Briten schicken Patienten für Hüft- und Prostataoperationen nach Belgien, Frankreich und Deutschland, Niederländer kommen zur OP nun häufiger in flämische und deutsche Kliniken. Die Not treibt sie, nicht die Reiselust.

Experten der deutschen Sozialversicherungen sowie Vertreter der Krankenhäuser sind sich inzwischen einig, dass die meisten Europäer auch nach freizügigen EuGH-Urteilen so schnell nicht zum Arzt ins Ausland reisen.

Chancen stehen nicht gut

Und die EU-Kommission argumentierte im niederländischen Verfahren vor dem EuGH, dass wegen der Sprachhürde und der mit der Reise verbundenen Unannehmlichkeiten letztlich nur wenige Patienten über die Grenzen gingen, das finanzielle Gleichgewicht der Sozialversicherungssysteme durch mehr Freizügigkeit bei ambulanten Arztbesuchen also kaum schwer geschädigt würde.

Die Chancen, dass pflichtversicherte Patienten aus Deutschland demnächst ungehindert zum Zahnarzt nach Österreich oder Belgien gehen können, stehen trotzdem nicht gut. Der Generalanwalt am EuGH, dessen Argumenten die Richter häufig folgen, schlug im vergangenen Oktober vor, den Patiententourismus in EU-Ländern mit Sachleistungsprinzip weiterhin zu bremsen, um die nationalen Gesundheitssysteme nicht zu gefährden.

Das Bundessozialgericht in Kassel hat ähnliche Bedenken. Vergangenen Oktober warnte es öffentlich vor zu großer Freizügigkeit und schickte dem Gerichtshof in Luxemburg drei neue deutsche Fälle zum Thema Patiententourismus. Das EuGH- Urteil am Dienstag wird dafür richtungsweisend sein.(Rs C-385/99)

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