Patente:"Mozart hätte Stehgeiger werden müssen"

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Eine neue Richtlinie zum europäischen Patentrecht hat in den vergangenen Wochen unter Experten für heftigen Streit gesorgt.

Eigentlich sollte die Richtlinie "über die Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen" für Softwarehersteller mehr Klarheit schaffen und eine nötige Rechtsgrundlage für künftige Patententscheidungen in Europa bringen.

Doch mittlerweile laufen Organisationen und Verbände Sturm gegen das geplante Gesetzesvorhaben. "Mozart hätte Stehgeiger werden müssen, wenn Haydn ein Patent auf Symphonien bekommen hätte", polemisiert etwa der Linux Verband gegen die Bestrebungen.

Abstimmung in der kommenden Woche

Am 22. September steht das umstrittene Gesetzeswerk erneut zur Abstimmung. Nach Auffassung der Befürworter wie etwa der britischen Berichterstatterin Arlene McCarthy, Mitglied des EU-Parlaments, könnte die Novelle europäische Wissenschaftler und Unternehmen künftig gegen Konkurrenz vor allem aus den USA besser schützen und auch hier zu Lande Patente auf Software-Entwicklungen ermöglichen.

Bislang, so heißt es, könnten Unternehmen aus den USA und Japan Lizenzgebühren für ihre Erfindungen erheben, während europäische Wissenschaftler und Unternehmen leer ausgingen.

Doch die Kritiker fürchten, dass mit der Richtlinie in Europa "amerikanische Verhältnisse" einkehren, von denen allenfalls Konzerne mit großen Patentrechts-Abteilungen profitieren könnten. "Die Nutznießer dieser Entscheidung wären wenige Unternehmen in Europa, vor allem die US-amerikanischen Software-Konzerne einschließlich ihrer europäischen Niederlassungen", so der LIVE Linux-Verband.

Ins Hintertreffen gerieten dagegen Software-Entwickler, die nicht über die finanzielle und personelle Möglichkeit verfügten, um systematisch nach rechtlich geschützten Codes sowie eventuellen Lizenzansprüchen zu recherchieren. Vor allem aber befürchtet der Verband durch die geplante Gesetzesänderung das Aus für die freie Entwicklergemeinde der Linux-Programmierer.

Ein neues vom Europäischen Patentamt (EPA) in München genehmigtes Patent des Online-Warenhauses Amazon.de GmbH goss Ende August erneut Wasser auf die Mühlen der Kritiker. Das EPA hatte dem Unternehmen ein Patent für ein Verfahren erteilt, mit dem Amazon.de über das Internet bestellte Geschenke an Dritte liefert.

Dies sei nur ein Vorgeschmack auf die durch die geplante Richtlinie drohenden "amerikanischen Verhältnisse", kommentiert der Chaos Computer Club (CCC) die Entscheidung. Das EPA habe nach jahrelanger Prüfung dieses Patent an Amazon erteilt, statt es wegen des "Fehlens eines technischen Beitrags im erfinderischen Schritt" abzulehnen.

"Es kann nicht angehen, dass einfachste Tätigkeiten des menschlichen Lebens unter dem Vorwand des gewerblichen Rechtsschutzes kommerzialisiert werden", sagt Andy Müller-Maguhn, Sprecher des Chaos Computer Clubs (CCC).

Die zur Abstimmung vorliegende EU-Richtlinie gefährde nicht nur mittelständische IT-Unternehmen, sondern auch die gesamte Open Source-Gemeinde und "die Informationsgesellschaft als Ganzes", befürchtet der Verein. Diese Einschätzung teilen auch die Globalisierungsgegner von Attac.

Mit einem eigenen Patentantrag wollen die Kritiker zeigen, zu welchen absurden Entscheidungen das geplante Recht führen kann. Anfang September beantragten Mitglieder von Attac und des Linux Verbands ein Patent für im Internet erstellte Unterschriftenlisten und rechnen sich gute Chancen aus.

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