Parlamentarier:Prinzip Pingpong

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Auf sie wird es 2021 ankommen - und wie: EZB-Präsidentin Christine Lagarde. (Foto: Frederick Florin /AFP)

Erstmals wird die Chefin der EZB von einem deutsch-französischen Gremium befragt. Das ist ein ungewöhnliches Treffen.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Können wir anfangen? Wolfgang Schäuble sitzt am Montagnachmittag im Bundestag an seinem Schreibtisch und ist ein bisschen nervös. Er schaut nach oben, noch weiter nach oben und wieder runter, dahin, wo sein Manuskript liegen sollte. Alors, alle da? Ja, scheint so. Also los.

Eigentlich hätten sich in dieser Minute in der Paulskirche in Frankfurt je 50 deutsche und französische Parlamentarier, also die Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung, treffen sollen, um mit Christine Lagarde über Geldpolitik zu diskutieren. Ein historischer Ort, wie Schäuble sagt, weil dort vor sehr vielen Jahren schon mal europäische Anleihen beschlossen worden seien, kurzfristig und begrenzt freilich. Dieser örtliche Kontext fehlt nun, wegen der steigenden Corona-Infektionszahlen sitzt man auf Abstand und digital beieinander. Und Schäuble muss abwechselnd auf verschiedene Bildschirme schauen, um sich der Anwesenheit der anderen zu versichern. Und dann, verflixt, ist auch noch der Sprechzettel weg, der analog auf dem Tisch liegen müsste. Wo ist er, fragt Schäuble, ach, okay, da.

Man merkt dann schnell, dass es dem früheren Finanzminister einige Freude bereitet, dieses ungewöhnliche Treffen einzuleiten. Denn erst einmal war da ja die große Frage: Dürfen Abgeordnete aus Paris und Berlin die Präsidentin der EZB überhaupt zu einer Anhörung einladen? Oder nur zu einer Diskussion? Darf Christine Lagarde eine solche Einladung annehmen? Schließlich soll die Notenbankpräsidentin ausdrücklich politisch unabhängig agieren.

Von den Überredungskünsten, derer es bedurft hatte, um Lagarde zu überzeugen, mit den Abgeordneten zu diskutieren, ist am Montag nichts zu spüren. Schäuble geht elegant darüber hinweg, gemeinsame Anleihen seien ja wie erwähnt nichts Neues, sagt er. Aber: "Neu ist die hochpolitische Rolle der politisch unabhängigen Zentralbank". Soll heißen: Wenn die Zentralbank tief in das tägliche Leben der Bürger eingreift, muss deren Chefin sich anhören, was die Bürgervertreter zu sagen haben.

Madame Lagarde hat natürlich eine persönliche Anmerkung mitgebracht. Sie habe die sehr guten Vorbemerkungen von Schäuble ohne Übersetzung verstehen können, das zeige, "wie groß die Anstrengungen sein müssen, die wir leisten müssen". Soll heißen: Ich habe Deutsch gelernt, die Deutschen könnten auch etwas lernen, etwa, dass man statt Sparbuchsparen mit Aktien vorsorgen kann. Natürlich sagt sie das so nicht. Sondern schlägt einen großen Bogen von dem Pandemieaufkaufprogramm über den digitalen Euro und grünen Anleihen bis zur Brücke, die Kehl und Straßburg verbindet.

Auch der heikle Teil, die Befragung, die nicht so genannt werden darf, geht recht stabil über die Bühne. Was auch den strikten Regeln geschuldet ist, die Schäuble als "Fraktionspingpongprinzip" vorstellt: Jede Fraktion komme dran, abwechselnd Franzosen und Deutsche, jede Fraktion habe je nach Größe ein Zeitbudget, wenn es um ist, isch over.

Das Fraktionspingpongprinzip führt in Kombination mit der dreifachen Videoschalte freilich zu kuriosen Bildern. EZB-Chefin Lagarde ist auf dem großen Screen zu sehen, sie trägt eine schwarze Bluse, halb rechts oben scheint da eine bunte Brosche zu leuchten - aber nein, tatsächlich ist es das Minifenster der zugeschalteten Assemblee Nationale. Und das andere Minifenster? Ist unterhalb der eingeblendeten EZB-Türme - es scheint, als würde Schäuble im Keller der Notenbank sitzen. So viel Symbolik kann man gar nicht planen.

Inhaltlich gibt es keine Überraschungen. Lagarde verteidigt die Geldpolitik, gerade in der Corona-Pandemie. Die Zentralbank habe "das Pulver nicht verschossen", sie werde bei Bedarf weitere geldpolitische Anreize setzen, um für Preisstabilität zu sorgen und die Eurozone zu stützen. Man verfolge sehr genau das dritte Quartal. "Der EZB-Rat ist weiterhin bereit, alle seine Instrumente gegebenenfalls anzupassen."

© SZ vom 22.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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