Orangen-Anbau in Spanien:Radikal freundlich

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Die beiden Firmenchefs von El Carmen, die Brüder Gabriel (links) und Gonzalo Úrcolo. (Foto: OH)

Die Nachfrage sinkt, die Konkurrenz durch Südfrüchte-Konzerne ist groß. Trotzdem baut eine Familie aus der spanischen Region Valencia erfolgreich Bio-Orangen an.

Von Thomas Urban, Bétera

Ein paar rasche Schnitte mit dem Obstmesser, schon füllt ein schwerer süßlicher Duft den ganzen Raum, das Speisezimmer im Herrenhaus des Landguts El Carmen in Bétera wenige Kilometer nördlich von Valencia. "Ein betörendes Aroma, das nur wenige Menschen kennen", sagt Gabriel Úrculo, einer der Chefs. Denn die allermeisten Liebhaber von Südfrüchten essen halbreif geerntete, gespritzte, oft sogar eingewachste Orangen, die fast geruchslos sind und leicht süßsauer bis charakterlos schmecken. Die Orangen von El Carmen sind dagegen nicht nur ausgereift, sondern auch naturbelassen: keine Pestizide, weder Herbizide noch Fungizide, ebenso wenig Konservierungs- oder Aromamittel.

Das Herrenhaus im Schatten großer Bäume mutet an wie ein kleines Palais, eingerichtet ist es mit reich verzierten, dunkel lackierten Möbeln, an den Wänden hängen alte Gemälde und prachtvolle Keramikteller. Es steht inmitten von Apfelsinenplantagen, rund 100 000 Bäume sind es.

Mehrere Zehntausend Produzenten sind dezentral organisiert - das macht es schwer

Drei Brüder betreiben die Finca, sie sind jung und schon in der Welt herumgekommen: Gabriel Úrculo, 32 Jahre alt, hat in Madrid einen Master in Architektur und Industriedesign erworben, der zwei Jahre jüngere Gonzalo studierte Betriebswirtschaft, darunter ein Semester in Berlin, der 27-jährige Fernando absolvierte nach dem Jura-Studium ein Praktikum bei einer Bank in Frankfurt. Gelegentlich hilft das jüngste Familienmitglied, die 25-jährige Patricia, die ansonsten noch studiert. Ursprünglich hatte keiner von ihnen Orangen im Lebensplan. Doch nach dem Tod des Vaters beschlossen sie, den Familienbetrieb gemeinsam weiterzuführen, aber unter anderen Vorzeichen, nämlich ganz auf Bio-Basis.

El Carmen ist aber nur einer von vielen Orangenproduzenten im Umland von Valencia und bei Weitem nicht der größte. Allein in der Region Valencia sind mehrere Zehntausend registriert, meist handelt es sich um Kleinbetriebe mit wenigen Angestellten. Sie sind in rund 600 Kooperativen organisiert. Diese Zersplitterung auf der Erzeugerseite erleichtert es dem Großhandel und den Supermarktketten, die Konkurrenten gegeneinander auszuspielen und die Preise zu drücken. Der spanische Bauernverband AVA gibt an, dass die Kosten für die Produktion eines Kilos nach traditioneller Methode, also mit Einsatz von Chemikalien, rund 20 Cent betragen. Doch die Preise sind zuletzt so gefallen, dass manche Grossisten den Bauern nur 12 Cent pro Kilo anbieten.

Auf El Carmen ist man auch von der Preisdrückerei betroffen, aber die Brüder Úrculo haben erfolgreich Gegenmaßnahmen ergriffen. Das Geschäftsmodell ist simpel: Online können Orangen und andere Biofrüchte bestellt werden, direkt vom Baum oder Feld werden sie per Kurier an den Kunden ausgeliefert. Spätestens drei Tage nach der Bestellung können sich die Kunden in den Ländern nördlich der Alpen ihre reifen Apfelsinen genießen. Mittlerweile wird auf diese Weise die Hälfte der Gesamtproduktion vertrieben, 70 Prozent davon gehen nach Deutschland, Österreich und die Schweiz, 20 Prozent bleiben in Spanien, zehn Prozent nehmen französische Kunden ab, Tendenz in allen Ländern stark wachsend. Bei der anderen Hälfte aber müssen sie sich weiterhin dem Preisdiktat der Grossisten beugen.

Die Jahresproduktion der Brüder liegt bei 800 Tonnen, nur ein Bruchteil der 3,4 Millionen Tonnen, die im ganzen Land im vergangenen Jahr geerntet wurden. Knapp 40 000 Tonnen spanische Orangen verzehrten 2015 die Deutschen; Spanien, der größte Produzent Europas und weltweit auf Platz sechs nach Brasilien, den USA, China, Indien und Mexiko, deckt somit rund 80 Prozent des Konsums in der Bundesrepublik ab. Mit großem Abstand folgen auf dem deutschen Markt die EU-Staaten Italien und Griechenland. Die Tendenz ist hier allerdings deutlich fallend: Zu Beginn des neuen Jahrtausends verspeisten die Deutschen pro Kopf und Jahr knapp 5,7 Kilo Orangen, zuletzt waren es nur noch 4,85 Kilo.

Die Ursache sehen Ernährungspsychologen nicht nur im milden Winterklima der vergangenen Jahre, das den Drang nach Vitamin-C-Zufuhr dämpft, sondern auch in der steigenden Beliebtheit anderer Südfrüchte. Den spanischen Produzenten jedenfalls macht dieser Rückgang sehr zu schaffen, Deutschland ist ihr wichtigster Abnehmer. Überdies fiel der russische Markt weg, Folge der wechselseitigen Sanktionen zwischen EU und Moskau nach der Krim-Annexion. Zwar stiegen die Exporte in die USA, die Spanier profitieren hier von der langen Dürre in Kalifornien. Doch sollten sich die Anbaugebiete jenseits des Atlantiks erholen, so haben die Spanier allen Grund, das Freihandelsabkommen TTIP zu fürchten, denn dann werden die kalifornischen und brasilianischen Massenproduzenten auch Europa ins Visier nehmen.

Die Feuerwanze vernichtet Schädlinge, eine Biowaffe sozusagen

Von El Carmen kommt rund 0,05 Prozent der an die Deutschen verkauften spanischen Orangen. Doch im Gegensatz zu den spanischen Grossisten hat der Familienbetrieb in der Provinz Valencia mit ihrem milden Klima im Winter zuletzt stark zugelegt. "Wir profitieren vom wachsenden Bewusstsein für gesunde Ernährung", sagt Gabriel Úrculo."

Vor einem halben Jahrzehnt haben sie klein angefangen, Bio-Messen im deutschsprachigen Raum besucht, meist per Mund-zu-Mund-Reklame sind es mittlerweile rund 2000 Stammkunden geworden. Oft sind es Food-Coms, kleine Gemeinschaften, Familien, Freunde, Arbeitskollegen, die zusammen eine größere Bestellung aufgeben, um die Transportkosten gering zu halten. Die Statistik zeigt, dass die Produkte ankommen: Lediglich fünf Prozent der Kunden bestellen nur einmal, die anderen bleiben dabei. Dazu gehören sogar mehrere Krankenhäuser.

Im deutschen Supermarkt kostet das Kilo spanischer Orangen im Sonderangebot mitunter nur 70 Cent. Ohne die Transportkosten verlangt El Carmen rund 1,50 Euro. Die Bio-Produktion ist aufwendig, denn gegen Schädlinge wird von Hand vorgegangen, und es kommen "Biowaffen" zum Einsatz: die gemeine Feuerwanze, auch Schusterkäfer genannt. Diese Wanzen vertilgen die Eier von Schädlingen, die den Orangenbäumen zu schaffen machen. Auf El Carmen hat man längst gelernt, dass es unsinnig ist, den Boden um die Bäume unkrautfrei zu halten, wie es viele Produzenten machen, im Gegenteil: In der Ackerwinde etwa, die sich gern auf den Plantagen breitmacht, siedeln mit Vorliebe die nützlichen Feuerwanzen.

Auch andere Insekten kommen zum Arbeitseinsatz: Bienen. Sie sind nicht nur Indikator für die Schadstoffbelastung, sondern liefern auch einen Biohonig mit starkem Aroma. Um Schwankungen bei der Orangenproduktion auszugleichen, werden auch Zitronen und Pampelmusen sowie mehrere Gemüsesorten angebaut.

Um sich von anderen kleinen Bioproduzenten zu unterscheiden und den anonymen Rahmen des Internets zu verlassen, haben die Brüder sich ein neues Konzept zur langfristigen Kundenbindung einfallen lassen: Patenschaften für Orangenbäume. Der Einsatz beträgt 80 Euro, dann sind jährlich 36 Euro zu berappen. Ab dem fünften Jahr beginnt der junge Baum, Früchte zu tragen, bezahlen muss der Pate nur den Transport einer vertraglich festgelegten Menge. Die Idee funktioniert: Bislang haben 1300 der Biobäume einen Paten, vier Fünftel aus Deutschland. Viele der Besitzer kommen auf der Urlaubsreise vorbei, um nach ihrem Baum zu schauen und ein paar Kilo zu ernten.

Die Brüder von El Carmen haben auf diese Weise eine Nische gefunden, die mit viel Einsatz gepflegt wird. Sie werben mit einem weiteren Argument: Experten hätten ausgerechnet, dass EU-weit ein Drittel der Gesamtproduktion an Obst und Gemüse verrottet oder vernichtet wird. Auf El Carmen bewegt sich der Anteil der Produktion, der als verdorben oder unverkäuflich in den Kompost geht, im niedrigen einstelligen Prozentbereich und bleibt im Naturkreislauf.

© SZ vom 28.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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