Opel:"Flexibilität in alle Richtungen"

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Warum Opel-Chef Forster mehr will als die 30-Stunden-Woche.

Von Ulrich Schäfer

(SZ vom 6.11.03) — Natürlich musste Carl-Peter Forster sich an diesem Abend ein paar Witze gefallen, natürlich gab es ein paar Frotzeleien.

Ob er denn zu dieser späten Uhrzeit noch im Dienst sei? Die 30-Stunden-Woche sei für ihn, den Chef von Opel, doch längst vorbei sei?

Es war ein Zufall, dass der Chef des Autokonzerns ausgerechnet an jenem Tag, als selbst der Kanzler viel Lob für Opel fand, in Berlin war.

Eigentlich wollte der Vorstandschef bei Ochsenbrustfilet und Rotwein über die neuen Opel-Modelle reden, über Absatzzahlen und neue technische Raffinessen.

Wieviel Arbeit ist nötig?

Doch stattdessen ging es in der Hauptstadtniederlassung des Konzerns vor allem um ein hochpolitisches Thema: Wie viel müssen die Deutschen in Zeiten der Globalisierung arbeiten? Welche Veränderungen sind nötig, damit die drittgrößte Industrienation der Welt ihren Wohlstand halten kann?

Nirgendwo lässt sich das Für und Wider dieser Frage wohl besser beobachten als bei Opel. Am Dienstag hatten Betriebsrat und Vorstand ein revolutionäres Arbeitszeitmodell für das Werk Rüsselsheim vereinbart: Die Mitarbeiter in der Produktion werden, weil der Absatz von Vectra und Sigma nicht wie gewünscht läuft, nur noch 30 statt 35 Stunden pro Woche arbeiten und auch einen Teil ihres Lohns einbüßen.

Weil es sich, wie Forster betont, um "ein solidarisches Modell" handelt, werden neben den Männer und Frauen am Fließband auch die Führungskräfte verzichten (auf zwei Urlaubstage) und die Entwickler und Verwaltungsmitarbeiter jeden Tag zehn Minuten später Feierabend haben.

Mehr Produktivität gefordert

Nur so lassen sich Entlassungen vermeiden, sagt Forster: "Wir müssen mindestens fünf Prozent produktiver werden pro Jahr". Und dies bedeute: "Entweder wir produzieren jedes Jahr fünf Prozent mehr Autos - oder wir haben pro Jahr einen fünfprozentigen Überhang an Mitarbeitern."

Deshalb verhandelt die Opel-Führung mit dem Betriebsrat nicht nur über die 30-Stunden-Woche, sondern über "ein Menü an Aktivitäten", wie es Forster nennt. So soll den Mitarbeitern angeboten werden, sich in einer "Transfergesellschaft" weiterzubilden, um danach einen anderen Arbeitgeber zu finden.

So plant der Autokonzern "temporäres Insourcing": Wartungs- und Instandhaltungstätigkeiten, die einst ausgelagert wurden, sollen ins Unternehmen zurückgeholt werden. Auch die großzügigen Vorruhestandsregelungen, die der deutsche Staat den Unternehmen einräumt, will Opel nutzen.

Flexibilität geboten

"Wir brauchen Flexibilität in alle Richtungen", erklärt der Opel-Chef. Deswegen ist das, was in Rüsselsheim derzeit geschieht, nur ein Ausschnitt aus der komplexen Arbeitszeitwelt, wie sie bei internationalen Konzernen zunehmend üblich ist.

Im Werk Eisenach etwa, das den Corsa herstellt, platze die Produktion "aus allen Nähten", und in Bochum, wo Astra und Zafira vom Band rollen, ebenfalls.

"Es kann deshalb sein, dass wir in Rüsselsheim die 30-Stunden-Woche einführen und in Bochum Sonderschichten fahren". Gleichzeitig will das Unternehmen in Eisenach Arbeitszeitkonten einführen, um flexibler reagieren zu können. Im Grunde müsse man, sagt Forster, in einer konjunkturabhängigen Branche wie der Autoindustrie die Möglichkeit haben, Mehr- und Minderarbeit über einen Zeitraum von vier bis fünf Jahren auszugleichen.

Der Druck, solch flexible Lösungen zu finden, wird nach Ansicht des Opel-Chefs in den nächsten Jahren noch wachsen - im Gefolge der EU-Osterweiterung.

Bereits jetzt wanderten die Zulieferer "mit rapider Geschwindigkeit nach Osten ab". Jahr für Jahr verlagere sich ein Zuliefervolumen von 500 Millionen Euro, das der Mutterkonzern General Motors europaweit einkaufe, von Westeuropa nach Polen, Ungarn, Tschechien oder Rumänien.

Lohnkosten in Osteuropa günstiger

"Man kann sich ausrechnen, was das bei einem Gesamtvolumen von zehn Milliarden Euro heißt", sagt Forster. Der Grund ist klar: Die Lohnkosten in Osteuropa sind weitaus günstiger - und zwar nicht nur für die Zulieferer.

Im Opelwerk in Polen, rechnet Forster vor, lägen die Lohnkosten 85 Prozent unter dem Niveau von Eisenach - und dies bei gleicher Qualität und Produktivität.

Gleichwohl werde kein Opel-Werk in Deutschland geschlossen: "Wir wollen unsere Autos da produzieren, wo unsere Kunden sind", sagt Forster, "außerdem ist die Lohnhöhe nicht der einzig endscheidende Faktor". Klar sei aber auch: "Das nächste neue Werk entsteht nicht hier, sondern in Osteuropa."

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