Opel Bochum:Schwarze Vögel über der Blume im Revier

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Nicht nur Bochum, sondern das ganze Ruhrgebiet leidet, wenn tausende Opel-Mitarbeiter ihre Jobs verlieren.

Von Michael Kläsgen und Hans-Jörg Heims

Am Tag fünf des Protests macht sich vor dem Bochumer Opel-Werk Galgenhumor breit. Über dem Werksgebäude aus rotem Backstein kreist an diesem Morgen minutenlang ein Schwarm schwarzer Vögel.

Vorerst geht es im Opelwerk noch nicht weiter mit der Arbeit. (Foto: Foto: dpa)

Einige lassen sich auf dem E des OPEL-Schriftzugs nieder, andere setzen sich daneben auf das Firmenemblem, den Kreis mit dem waagerechten Blitz. "Das sind Raben, keine Pleitegeier", kalauert ein Arbeiter. Das Lachen der umherstehenden Kollegen ist kaum hörbar.

Vor Tor 1 ist an diesem Montagmorgen nur noch ein Häuflein Durchhaltewilliger versammelt. Die meisten der 1800 Männer und Frauen der Frühschicht befinden sich im roten Backstein-Gebäude, sie arbeiten aber nicht.

"Ich verstehe, dass die Kollegen Angst haben", sagt ein bulliger junger Mann mit Pferdeschwanz. Man erzählt sich, mit welchen "Einschüchterungsmaßnahmen" die Geschäftsführung auf den Ausstand der Belegschaft reagiere.

Statt Streik gibt es Informationsveranstaltungen

Angeblich sind die Protestierenden an Tor 3 und 5 gefilmt oder fotografiert worden, auch der Mann mit dem Pferdeschwanz musste sich als "arbeitsunwillig" bei seinem Abteilungsleiter abmelden, als er wieder nach draußen zur Schranke am Werkseingang wollte. Sein Name, den er nicht in der Zeitung gedruckt wissen will, wurde registriert.

"Hasse nich' gesagt: Dafür bin ich aber informationswillig?", fragt ihn ein Betriebsratsmitglied. Denn informieren dürfen sich die Opelaner, nur streiken nicht, weil die Gewerkschaften dazu nicht aufgerufen haben.

Deswegen wird der Ausstand nach wie vor als "Informationsveranstaltung" deklariert. "Und so eine Informationsveranstaltung kann fünf Minuten, aber auch fünf Stunden oder Tage dauern", sagt Hans Rainer Rost, Mitglied des Betriebsrats.

Einen so harten Arbeitskampf wie diesen hat er noch nie erlebt. "Diesmal geht es ans Eingemachte", meint auch Dieter Peters, der seit 1973 bei Opel arbeitet. "Die Schmerzgrenze ist erreicht." Die Kollegen am Werkstor stimmen ihm zu. "Das ist wie eine Bombe, die man über dem Ruhrgebiet abgeworfen hat", sagt Betriebsrat Rolf Plumhoff-Klein.

Der ganze Pott betroffen

Ein Blick auf die Kennzeichen der Autos auf dem Parkplatz lässt erahnen, was er meint. Opel gibt den Menschen nicht nur in Bochum, sondern auch in Dortmund, Castrop-Rauxel, Gelsenkirchen, Essen und anderen Städten Arbeit - alles Orte, in denen die Erwerbslosenquote meistens bereits über 14 Prozent liegt.

Im massigen Rathaus von Bochum hetzt derweil die neu gewählte Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz von Sitzung zu Sitzung.

Eigentlich wollte die SPD-Politikerin am Wochenende ihren Schreibtisch einräumen, an diesem Donnerstag wird sie vereidigt und tritt ihr Amt an. Aber die Ereignisse der vorigen Woche haben der 56-Jährigen kaum Zeit gelassen.

"Bochum ist Zukunft" hatte sie auf ihren Wahlplakaten versprochen, für "einen starken Wirtschaftsstandort mit zukunftssicheren Arbeitsplätzen" und "eine lebendige, attraktive Innenstadt" geworben. Selten dürften Wahlversprechen von der Realität so schnell überholt worden sein.

Seit General Motors verkündet hat, am Standort Bochum 4000 Arbeitsplätze streichen zu wollen, sieht die Zukunft der Ruhrgebietskommune düster aus. Entsprechend ist die Stimmung am Montag, als Ottilie Scholz mit ihren Dezernenten in Klausur geht. "Das ist nicht dramatisch, sondern katastrophal", beschreibt das neue Stadtoberhaupt die Lage.

Zu einer "Standort-Konferenz" will Ottilie Scholz Politiker, Vertreter der Handelskammern und Gewerkschafter aus den anderen deutschen Opel-Standorten Rüsselsheim, Eisenach und Kaiserslautern einladen, um ein "Band der Solidarität" zu schmieden.

Zum zweiten Mal hat es die Stadt kalt erwischt

Bochum steht womöglich vor einem Umbruch, vergleichbar jenem vor 40 Jahren, als die ersten Kohlezechen schlossen. Im Wahlkampf war indes nicht davon die Rede, dass der Stadt mit ihren 380000 Einwohnern zum zweiten Mal nach dem Zweiten Weltkrieges das wirtschaftliche Rückgrat zu brechen droht.

"Die Krise hat uns kalt erwischt", räumt der Chef der SPD-Ratsfraktion, Hans-Jürgen Fleskes, ein. Einst waren hier 45000 Menschen in 17 Kohle-Zechen beschäftigt. Als 1959 die Grube "Friedlicher Nachbar" schloss, wurden im Geheimen bereits Pläne für die Ansiedlung des Opel-Werkes geschmiedet.

Willkommen waren die Autobauer allerdings damals nicht bei allen, fürchteten die einflussreichen Kohle- und Stahlbarone doch einen Wettbewerb um Löhne. Auch bei Opel war man sich nicht sicher, ob ein stillgelegtes Zechengelände sich als Standort eines modernen Werkes eignen würde.

Getarnt in Mercedes-Pkw fuhren Opel-Manager nach Bochum. Die Entscheidung wurde ihnen dann erleichtert durch die Zusage der Stadt, 100 Millionen DM in die Erschließung und den Bau von Straßen zu investieren. Es sollte eine Investition in die Zukunft sein.

Grönemeyers Lied

Das Opel-Werk half, den schmerzhaften Strukturwandel nach dem Niedergang des Bergbaus besser zu verkraften, als es in mancher Nachbarstadt möglich war. Vielleicht liegt es daran, dass Bochum als "die Schweiz des Potts" gilt, sicher ein Vergleich, der hinkt. "Du bist keine Schönheit", sang Herbert Grönemeyer, aber auch: "Du Blume im Revier".

Das Schauspielhaus in Bochum, wo Grönemeyers Karriere begann, erlangte dank der Regisseure Claus Peymann und Peter Zadek einen Ruf weit über das Ruhrgebiet hinaus. Die Jahrhunderthalle, eine zum Theater umfunktionierte Industrieruine, in der während der Ruhr-Triennale Aufführungen auf Welt-Niveau stattfanden, tat das Ihre.

Bochum war ein Hoffnungsschimmer. Doch der droht jetzt zu verblassen. Bochum und das Ruhrgebiet sind wieder zum Synonym für Krise geworden.

Vor dem Werkstor liegen am Boden neben abgebrannten Teelichtern Blätter, auf denen zum Protestmarsch an diesem Dienstag aufgerufen wird. "Siemens, Karstadt, Opel - und dann du", steht darauf geschrieben.

Nordrhein-Westfalen hat es in den vergangenen Monaten hart getroffen. In Kamp-Lintfort und Bocholt zitterten Siemens-Mitarbeiter wochenlang um ihren Arbeitsplatz, dann kündigte Karstadt in Essen massenhaften Stellenabbau an - und jetzt Bochum.

Um sechs Uhr in Früh hat die OpelBelegschaft am Montag entschieden, die Arbeitsniederlegungen fortzusetzen. Es ist noch dunkel, als ein Betriebsrat das Ergebnis der Abstimmung an Tor 1 bekannt gibt, die Anwesenden klatschen und pfeifen.

Existenz der Familie steht auf dem Spiel

Trotz der Zuversicht, die manche ausstrahlen, ist die Verzweiflung doch unverkennbar. Ehefrauen, Kinder, Väter und Mütter von Beschäftigten versammeln sich vor dem Werkstor, um den Opelanern beizustehen.

Weil sie um die Existenz ihrer Familien oder Kinder fürchten, ärgern sie sich, wenn sie merken, dass die Not der Beschäftigten von manchen ausgenutzt wird, um sich zu profilieren, wie die Betriebsrätin Fatma Emre sagt, eine Türkin. Halblaut spricht sie von "Marxisten-Leninisten", die sich "einmischen".

Aber nicht nur denen gilt ihre Kritik. Kurz darauf ist Fatma Emre zu beobachten, wie sie mit einer CDU-Frau streitet, die einen Stand mit CDU-Schirm am Werkstor aufgebaut hat. Doch hier geht es nicht um Trittbrettfahrerei, sondern darum, dass die CDU-Frau türkische Kekse verteilt - "und das, wo Frau Merkel gegen den Beitritt der Türkei ist".

© SZ vom 19.10.04 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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